abzulehnen gewußt. Der ältere Neffe besteht darauf, der alte Herr soll an der Spitze bleiben. Der alte Herr will nicht. Er hat einen Theil der Verlassenschaft des alten Bauherrn, den er beerbt, für den Rest seines Lebens zurückbehalten; alles Andere -- und es ist nicht wenig; Herr Nettenmair gilt für einen reichen Mann -- übergibt er den Neffen; das Zurückbehaltene fällt nach seinem Tode an das neue Bürgerhospital. Er hat sein Wort wahr gemacht; der Deckhammer über seinem Sarge wird ehrenblank sein wie über wenigen.
Die junge Braut wehrt sich, Alles anzunehmen, was die künftige Schwiegermutter ihr geben will. Wenn diese Alles gibt, Eins wird sie behalten. Das Eine ist eine Blechkapsel mit einer dürren Blume. Sie liegt bei Bibel und Gesangbuch und ist ihrer Besitzerin so heilig, als diese.
Die Glocken rufen noch immer. Die Rosen an den hochstämmigen Bäumchen duften, ein Grasmück¬ chen sitzt auf dem Busche unter dem alten Birnbaum und singt; ein heimliches Regen zieht durch das ganze Gärtchen, und selbst der starkstielige Buchsbaum um die gezirkelten Beete bewegt seine dunkeln Blätter. Der alte Herr sieht sinnend nach dem Thurmdach von Sankt Georg; das schöne Matronengesicht lauscht durch das Bohnengelände nach ihm hin. Die Glocken rufen es, das Grasmückchen singt es, die Rosen duften es, das leise Regen durch das Gärtchen flüstert es,
abzulehnen gewußt. Der ältere Neffe beſteht darauf, der alte Herr ſoll an der Spitze bleiben. Der alte Herr will nicht. Er hat einen Theil der Verlaſſenſchaft des alten Bauherrn, den er beerbt, für den Reſt ſeines Lebens zurückbehalten; alles Andere — und es iſt nicht wenig; Herr Nettenmair gilt für einen reichen Mann — übergibt er den Neffen; das Zurückbehaltene fällt nach ſeinem Tode an das neue Bürgerhospital. Er hat ſein Wort wahr gemacht; der Deckhammer über ſeinem Sarge wird ehrenblank ſein wie über wenigen.
Die junge Braut wehrt ſich, Alles anzunehmen, was die künftige Schwiegermutter ihr geben will. Wenn dieſe Alles gibt, Eins wird ſie behalten. Das Eine iſt eine Blechkapſel mit einer dürren Blume. Sie liegt bei Bibel und Geſangbuch und iſt ihrer Beſitzerin ſo heilig, als dieſe.
Die Glocken rufen noch immer. Die Roſen an den hochſtämmigen Bäumchen duften, ein Grasmück¬ chen ſitzt auf dem Buſche unter dem alten Birnbaum und ſingt; ein heimliches Regen zieht durch das ganze Gärtchen, und ſelbſt der ſtarkſtielige Buchsbaum um die gezirkelten Beete bewegt ſeine dunkeln Blätter. Der alte Herr ſieht ſinnend nach dem Thurmdach von Sankt Georg; das ſchöne Matronengeſicht lauſcht durch das Bohnengelände nach ihm hin. Die Glocken rufen es, das Grasmückchen ſingt es, die Roſen duften es, das leiſe Regen durch das Gärtchen flüſtert es,
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abzulehnen gewußt. Der ältere Neffe beſteht darauf,
der alte Herr ſoll an der Spitze bleiben. Der alte
Herr will nicht. Er hat einen Theil der Verlaſſenſchaft
des alten Bauherrn, den er beerbt, für den Reſt ſeines
Lebens zurückbehalten; alles Andere — und es iſt nicht
wenig; Herr Nettenmair gilt für einen reichen Mann
— übergibt er den Neffen; das Zurückbehaltene fällt
nach ſeinem Tode an das neue Bürgerhospital. Er
hat ſein Wort wahr gemacht; der Deckhammer über
ſeinem Sarge wird ehrenblank ſein wie über wenigen.
Die junge Braut wehrt ſich, Alles anzunehmen,
was die künftige Schwiegermutter ihr geben will.
Wenn dieſe Alles gibt, Eins wird ſie behalten. Das
Eine iſt eine Blechkapſel mit einer dürren Blume. Sie
liegt bei Bibel und Geſangbuch und iſt ihrer Beſitzerin
ſo heilig, als dieſe.
Die Glocken rufen noch immer. Die Roſen an
den hochſtämmigen Bäumchen duften, ein Grasmück¬
chen ſitzt auf dem Buſche unter dem alten Birnbaum
und ſingt; ein heimliches Regen zieht durch das ganze
Gärtchen, und ſelbſt der ſtarkſtielige Buchsbaum um
die gezirkelten Beete bewegt ſeine dunkeln Blätter.
Der alte Herr ſieht ſinnend nach dem Thurmdach von
Sankt Georg; das ſchöne Matronengeſicht lauſcht
durch das Bohnengelände nach ihm hin. Die Glocken
rufen es, das Grasmückchen ſingt es, die Roſen duften
es, das leiſe Regen durch das Gärtchen flüſtert es,
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/328>, abgerufen am 24.11.2024.
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