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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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In der Glut des Fiebers vermischten sich die Schat¬
ten. Die Vorwürfe des innern und äußern Sauber¬
keitsbedürfnisses floßen in einander. Immer unwider¬
stehlicher forderte die offene Wunde das Gericht; das
gähnende Grab den, der es schloß. Und er war es,
den der Stundenschlag zum Gerichte rief: er, der das
Grab schließen mußte, eh' das gehämmerte Unheil auf
ein unschuldig Haupt fiel. Sich selbst hatte er das kom¬
mende Unheil fertig gehämmert. Er mußte hinauf, den
Fehler zu bessern. Und wenn er oben war, dann
schlug es Zwei, dann packte ihn der Schwindel und
riß ihn hinab, dem Bruder nach.

Der alte wackere Bauherr drang in den Leidenden;
er hatte sich das Recht erworben, sein Vertraun zu
fordern. Apollonius lächelte trüb; er schlug ihm sein
Verlangen nicht ab, aber er schob die Erfüllung von
Tag zu Tag weiter hinaus. Von Tag zu Tag, von
Stunde zu Stunde sah die schöne junge Braut ihn
bleicher werden und blich ihm nach. Nur der alte
Herr in seiner Blindheit sah die Wolke nicht, die mit
dem Schlimmsten droht. Es war wieder schwül ge¬
worden und wurde noch immer schwüler, das Leben in
dem Hause mit den grünen Laden. Kein Mensch
sieht's dem rosigen Hause an, wie schwül es einmal
darin war.


In der Glut des Fiebers vermiſchten ſich die Schat¬
ten. Die Vorwürfe des innern und äußern Sauber¬
keitsbedürfniſſes floßen in einander. Immer unwider¬
ſtehlicher forderte die offene Wunde das Gericht; das
gähnende Grab den, der es ſchloß. Und er war es,
den der Stundenſchlag zum Gerichte rief: er, der das
Grab ſchließen mußte, eh' das gehämmerte Unheil auf
ein unſchuldig Haupt fiel. Sich ſelbſt hatte er das kom¬
mende Unheil fertig gehämmert. Er mußte hinauf, den
Fehler zu beſſern. Und wenn er oben war, dann
ſchlug es Zwei, dann packte ihn der Schwindel und
riß ihn hinab, dem Bruder nach.

Der alte wackere Bauherr drang in den Leidenden;
er hatte ſich das Recht erworben, ſein Vertraun zu
fordern. Apollonius lächelte trüb; er ſchlug ihm ſein
Verlangen nicht ab, aber er ſchob die Erfüllung von
Tag zu Tag weiter hinaus. Von Tag zu Tag, von
Stunde zu Stunde ſah die ſchöne junge Braut ihn
bleicher werden und blich ihm nach. Nur der alte
Herr in ſeiner Blindheit ſah die Wolke nicht, die mit
dem Schlimmſten droht. Es war wieder ſchwül ge¬
worden und wurde noch immer ſchwüler, das Leben in
dem Hauſe mit den grünen Laden. Kein Menſch
ſieht's dem roſigen Hauſe an, wie ſchwül es einmal
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[284/0293] In der Glut des Fiebers vermiſchten ſich die Schat¬ ten. Die Vorwürfe des innern und äußern Sauber¬ keitsbedürfniſſes floßen in einander. Immer unwider¬ ſtehlicher forderte die offene Wunde das Gericht; das gähnende Grab den, der es ſchloß. Und er war es, den der Stundenſchlag zum Gerichte rief: er, der das Grab ſchließen mußte, eh' das gehämmerte Unheil auf ein unſchuldig Haupt fiel. Sich ſelbſt hatte er das kom¬ mende Unheil fertig gehämmert. Er mußte hinauf, den Fehler zu beſſern. Und wenn er oben war, dann ſchlug es Zwei, dann packte ihn der Schwindel und riß ihn hinab, dem Bruder nach. Der alte wackere Bauherr drang in den Leidenden; er hatte ſich das Recht erworben, ſein Vertraun zu fordern. Apollonius lächelte trüb; er ſchlug ihm ſein Verlangen nicht ab, aber er ſchob die Erfüllung von Tag zu Tag weiter hinaus. Von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde ſah die ſchöne junge Braut ihn bleicher werden und blich ihm nach. Nur der alte Herr in ſeiner Blindheit ſah die Wolke nicht, die mit dem Schlimmſten droht. Es war wieder ſchwül ge¬ worden und wurde noch immer ſchwüler, das Leben in dem Hauſe mit den grünen Laden. Kein Menſch ſieht's dem roſigen Hauſe an, wie ſchwül es einmal darin war.

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/293>, abgerufen am 25.11.2024.