machten ihn unfähig, den Bruder zu retten. Der Sturz des Bruders machte dessen Weib frei. Er wußte das, als er den Bruder stürzen ließ. Deßhalb ja hatte er ihn im Traume gestürzt. Nun war es ja, wie in dem schlimmen Traum, der Bruder war todt und er hatte sein Weib. Nimmt er des Bruders Weib, die frei wurde durch den Sturz, so hat er ihn hinabgestürzt. Hat er den Lohn der That, so hat er auch die That. Nimmt er sie, wird das Gefühl ihn nicht lassen; er wird unglücklich sein, und sie mit unglück¬ lich machen. Um ihret- und seinetwillen muß er sie lassen. Und will er das, dann erkennt er, wie halt¬ los diese Schlüsse sind vor den klaren Augen des Geistes, und will er wiederum das Glück ergreifen, so schwebt das dunkle Schuldgefühl von Neuem wie ein eisiger Reif über seiner Blume, und der Geist vermag nichts gegen seine vernichtende Gewalt. Daneben mahnten immer lauter die Glockenschläge von Sankt Georg. Immer fieberischer wurde die Unruhe, daß der Fehler noch nicht gebessert war. Aeußere Anlässe schärften noch den Drang. Es hatte anhaltend geregnet, die Lücke schluckte, die Verschalung sog das Wasser gierig ein; das Holz mußte verfaulen. Trat die Winterkälte stärker ein, fror die Nässe im Holz, so warf sich die Verschalung und verletzte die Schiefer. Die Stadt, die seiner Pflichtreue vertraute, litt Schaden durch ihn. Jede Nacht weckte ihn der Stundenschlag Zwei.
machten ihn unfähig, den Bruder zu retten. Der Sturz des Bruders machte deſſen Weib frei. Er wußte das, als er den Bruder ſtürzen ließ. Deßhalb ja hatte er ihn im Traume geſtürzt. Nun war es ja, wie in dem ſchlimmen Traum, der Bruder war todt und er hatte ſein Weib. Nimmt er des Bruders Weib, die frei wurde durch den Sturz, ſo hat er ihn hinabgeſtürzt. Hat er den Lohn der That, ſo hat er auch die That. Nimmt er ſie, wird das Gefühl ihn nicht laſſen; er wird unglücklich ſein, und ſie mit unglück¬ lich machen. Um ihret- und ſeinetwillen muß er ſie laſſen. Und will er das, dann erkennt er, wie halt¬ los dieſe Schlüſſe ſind vor den klaren Augen des Geiſtes, und will er wiederum das Glück ergreifen, ſo ſchwebt das dunkle Schuldgefühl von Neuem wie ein eiſiger Reif über ſeiner Blume, und der Geiſt vermag nichts gegen ſeine vernichtende Gewalt. Daneben mahnten immer lauter die Glockenſchläge von Sankt Georg. Immer fieberiſcher wurde die Unruhe, daß der Fehler noch nicht gebeſſert war. Aeußere Anläſſe ſchärften noch den Drang. Es hatte anhaltend geregnet, die Lücke ſchluckte, die Verſchalung ſog das Waſſer gierig ein; das Holz mußte verfaulen. Trat die Winterkälte ſtärker ein, fror die Näſſe im Holz, ſo warf ſich die Verſchalung und verletzte die Schiefer. Die Stadt, die ſeiner Pflichtreue vertraute, litt Schaden durch ihn. Jede Nacht weckte ihn der Stundenſchlag Zwei.
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machten ihn unfähig, den Bruder zu retten. Der
Sturz des Bruders machte deſſen Weib frei. Er
wußte das, als er den Bruder ſtürzen ließ. Deßhalb
ja hatte er ihn im Traume geſtürzt. Nun war es ja,
wie in dem ſchlimmen Traum, der Bruder war todt
und er hatte ſein Weib. Nimmt er des Bruders
Weib, die frei wurde durch den Sturz, ſo hat er ihn
hinabgeſtürzt. Hat er den Lohn der That, ſo hat er
auch die That. Nimmt er ſie, wird das Gefühl ihn
nicht laſſen; er wird unglücklich ſein, und ſie mit unglück¬
lich machen. Um ihret- und ſeinetwillen muß er ſie
laſſen. Und will er das, dann erkennt er, wie halt¬
los dieſe Schlüſſe ſind vor den klaren Augen des Geiſtes,
und will er wiederum das Glück ergreifen, ſo ſchwebt das
dunkle Schuldgefühl von Neuem wie ein eiſiger Reif
über ſeiner Blume, und der Geiſt vermag nichts gegen
ſeine vernichtende Gewalt. Daneben mahnten immer
lauter die Glockenſchläge von Sankt Georg. Immer
fieberiſcher wurde die Unruhe, daß der Fehler noch
nicht gebeſſert war. Aeußere Anläſſe ſchärften noch den
Drang. Es hatte anhaltend geregnet, die Lücke
ſchluckte, die Verſchalung ſog das Waſſer gierig ein;
das Holz mußte verfaulen. Trat die Winterkälte
ſtärker ein, fror die Näſſe im Holz, ſo warf ſich die
Verſchalung und verletzte die Schiefer. Die Stadt,
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/292>, abgerufen am 25.11.2024.
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