ihre Liebe sehn und -- gehn. Gehn und ein anderer Mensch werden, ein besserer, ein glücklicherer! Der Kleine erwacht; er meint, die Mutter hat ihn gerufen. Lächelnd öffnet er die großen Augen und -- erschrickt. Vor dem Mann an seinem Bette fürchtet er sich. Es ist ein fremder Mann. Ein schlimmerer Mann, als ein fremder Mann. O nur ein zu bekannter Mann! Und doch fremder als fremd. Es ist der Mann, der das Kind so oft zornig angeblickt, der Mann, vor dem die Mutter schützend es in die Kammer schloß, weil es nicht sehen sollte, was der Mann ihr that. Und dann stand es zitternd und horchte an der Thür, dann ballten sich die kleinen Händchen im ohnmächtigen Zorn. Er hat ja das Kind ihn hassen gelehrt, nicht ihn lieben. "Fritz," sagte der Vater voll Angst: "Ich gehe fort; ich komme nicht wieder. Aber ich schicke dir schöne Aepfel und Bilderbücher und denke jeden Augenblick tausend¬ mal an dich." ""Ich will nichts von dir,"" sagte der Knabe furchtsam trotzig. ""Onkel Lonius gibt mir Aepfel; ich mag deine nicht."" "Hast auch du mich nicht lieb?" sagt der Vater mit brechender Stimme am zweiten Bettchen. Der kleine Georg flieht zum Bruder in dessen Bett. Dort halten sich die Kinder in Angst umschlungen. Dennoch ist er trotzig, und so¬ viel Widerwillen, als ein Kindesauge fassen kann, blickt aus dem seinen. ""Die Mutter hab' ich lieb, den
ihre Liebe ſehn und — gehn. Gehn und ein anderer Menſch werden, ein beſſerer, ein glücklicherer! Der Kleine erwacht; er meint, die Mutter hat ihn gerufen. Lächelnd öffnet er die großen Augen und — erſchrickt. Vor dem Mann an ſeinem Bette fürchtet er ſich. Es iſt ein fremder Mann. Ein ſchlimmerer Mann, als ein fremder Mann. O nur ein zu bekannter Mann! Und doch fremder als fremd. Es iſt der Mann, der das Kind ſo oft zornig angeblickt, der Mann, vor dem die Mutter ſchützend es in die Kammer ſchloß, weil es nicht ſehen ſollte, was der Mann ihr that. Und dann ſtand es zitternd und horchte an der Thür, dann ballten ſich die kleinen Händchen im ohnmächtigen Zorn. Er hat ja das Kind ihn haſſen gelehrt, nicht ihn lieben. „Fritz,“ ſagte der Vater voll Angſt: „Ich gehe fort; ich komme nicht wieder. Aber ich ſchicke dir ſchöne Aepfel und Bilderbücher und denke jeden Augenblick tauſend¬ mal an dich.“ „„Ich will nichts von dir,““ ſagte der Knabe furchtſam trotzig. „„Onkel Lonius gibt mir Aepfel; ich mag deine nicht.““ „Haſt auch du mich nicht lieb?“ ſagt der Vater mit brechender Stimme am zweiten Bettchen. Der kleine Georg flieht zum Bruder in deſſen Bett. Dort halten ſich die Kinder in Angſt umſchlungen. Dennoch iſt er trotzig, und ſo¬ viel Widerwillen, als ein Kindesauge faſſen kann, blickt aus dem ſeinen. „„Die Mutter hab' ich lieb, den
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ihre Liebe ſehn und — gehn. Gehn und ein anderer
Menſch werden, ein beſſerer, ein glücklicherer! Der
Kleine erwacht; er meint, die Mutter hat ihn gerufen.
Lächelnd öffnet er die großen Augen und — erſchrickt.
Vor dem Mann an ſeinem Bette fürchtet er ſich. Es
iſt ein fremder Mann. Ein ſchlimmerer Mann, als
ein fremder Mann. O nur ein zu bekannter Mann!
Und doch fremder als fremd. Es iſt der Mann, der
das Kind ſo oft zornig angeblickt, der Mann, vor dem
die Mutter ſchützend es in die Kammer ſchloß, weil es
nicht ſehen ſollte, was der Mann ihr that. Und dann
ſtand es zitternd und horchte an der Thür, dann ballten
ſich die kleinen Händchen im ohnmächtigen Zorn. Er hat
ja das Kind ihn haſſen gelehrt, nicht ihn lieben. „Fritz,“
ſagte der Vater voll Angſt: „Ich gehe fort; ich
komme nicht wieder. Aber ich ſchicke dir ſchöne Aepfel
und Bilderbücher und denke jeden Augenblick tauſend¬
mal an dich.“ „„Ich will nichts von dir,““ ſagte der
Knabe furchtſam trotzig. „„Onkel Lonius gibt mir
Aepfel; ich mag deine nicht.““ „Haſt auch du mich
nicht lieb?“ ſagt der Vater mit brechender Stimme
am zweiten Bettchen. Der kleine Georg flieht zum
Bruder in deſſen Bett. Dort halten ſich die Kinder
in Angſt umſchlungen. Dennoch iſt er trotzig, und ſo¬
viel Widerwillen, als ein Kindesauge faſſen kann,
blickt aus dem ſeinen. „„Die Mutter hab' ich lieb, den
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/257>, abgerufen am 28.11.2024.
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