Apollonius' Vorsicht eine Entdeckung herbeizuführen drohten. Er ließ seine Zurückhaltung, so schwer dies ihm fiel, diesmal beiseite, und Apollonius mußte, ge¬ fragt, sagen, was er wußte. Es war Folgendes. Den ersten Tag hatte Apollonius in Brambach nur die Leiter gebraucht. Der Geselle war in dem Wirths¬ haus gewesen, als er ankam. Denselben Abend noch hatte er ihn über den Hof schleichen sehn. Am andern Morgen fehlte das Seil. Er hatte sogleich Verdacht auf den Gesellen, aber nach seiner gewissenhaften Weise zögerte er, ihn auszusprechen. Auf dem Heimwege, vor dem Thor der Stadt, erfuhr er das Unglück, das ihn getroffen. Zugleich, daß der Gesell bei keinem Meister gestanden, sondern auf eigene Hand die kleine Reparatur an dem Schieferdache in Tambach unter¬ nommen. Ein Stück des von ihm hinterlassenen Hand¬ werkszeugs, ein Zimmerbeil, war schon von dem recht¬ mäßigen Besitzer als ihm entwendet beansprucht worden. Bald darauf machte die Warnung Christianens ihn gewiß, das Seil, durch dessen Zerreißen der Gesell verunglückt, war das seine. Wie die Sache nun stand, durfte er sich natürlich nicht zu dem Eigenthumsrechte daran bekennen; er mußte seiner Ehrlichkeit sogar den Zwang anthun, durch Erdichtungen fremder Vermuthung der Wahrheit zuvorzukommen. Der alte Herr gebot dem Sohne, weiter zu lesen. Apollonius that es, aber im Geiste waren Beide wiederum bei andern Dingen.
Apollonius' Vorſicht eine Entdeckung herbeizuführen drohten. Er ließ ſeine Zurückhaltung, ſo ſchwer dies ihm fiel, diesmal beiſeite, und Apollonius mußte, ge¬ fragt, ſagen, was er wußte. Es war Folgendes. Den erſten Tag hatte Apollonius in Brambach nur die Leiter gebraucht. Der Geſelle war in dem Wirths¬ haus geweſen, als er ankam. Denſelben Abend noch hatte er ihn über den Hof ſchleichen ſehn. Am andern Morgen fehlte das Seil. Er hatte ſogleich Verdacht auf den Geſellen, aber nach ſeiner gewiſſenhaften Weiſe zögerte er, ihn auszuſprechen. Auf dem Heimwege, vor dem Thor der Stadt, erfuhr er das Unglück, das ihn getroffen. Zugleich, daß der Geſell bei keinem Meiſter geſtanden, ſondern auf eigene Hand die kleine Reparatur an dem Schieferdache in Tambach unter¬ nommen. Ein Stück des von ihm hinterlaſſenen Hand¬ werkszeugs, ein Zimmerbeil, war ſchon von dem recht¬ mäßigen Beſitzer als ihm entwendet beanſprucht worden. Bald darauf machte die Warnung Chriſtianens ihn gewiß, das Seil, durch deſſen Zerreißen der Geſell verunglückt, war das ſeine. Wie die Sache nun ſtand, durfte er ſich natürlich nicht zu dem Eigenthumsrechte daran bekennen; er mußte ſeiner Ehrlichkeit ſogar den Zwang anthun, durch Erdichtungen fremder Vermuthung der Wahrheit zuvorzukommen. Der alte Herr gebot dem Sohne, weiter zu leſen. Apollonius that es, aber im Geiſte waren Beide wiederum bei andern Dingen.
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Apollonius' Vorſicht eine Entdeckung herbeizuführen
drohten. Er ließ ſeine Zurückhaltung, ſo ſchwer dies
ihm fiel, diesmal beiſeite, und Apollonius mußte, ge¬
fragt, ſagen, was er wußte. Es war Folgendes.
Den erſten Tag hatte Apollonius in Brambach nur
die Leiter gebraucht. Der Geſelle war in dem Wirths¬
haus geweſen, als er ankam. Denſelben Abend noch
hatte er ihn über den Hof ſchleichen ſehn. Am andern
Morgen fehlte das Seil. Er hatte ſogleich Verdacht
auf den Geſellen, aber nach ſeiner gewiſſenhaften Weiſe
zögerte er, ihn auszuſprechen. Auf dem Heimwege,
vor dem Thor der Stadt, erfuhr er das Unglück, das
ihn getroffen. Zugleich, daß der Geſell bei keinem
Meiſter geſtanden, ſondern auf eigene Hand die kleine
Reparatur an dem Schieferdache in Tambach unter¬
nommen. Ein Stück des von ihm hinterlaſſenen Hand¬
werkszeugs, ein Zimmerbeil, war ſchon von dem recht¬
mäßigen Beſitzer als ihm entwendet beanſprucht worden.
Bald darauf machte die Warnung Chriſtianens ihn
gewiß, das Seil, durch deſſen Zerreißen der Geſell
verunglückt, war das ſeine. Wie die Sache nun ſtand,
durfte er ſich natürlich nicht zu dem Eigenthumsrechte
daran bekennen; er mußte ſeiner Ehrlichkeit ſogar den
Zwang anthun, durch Erdichtungen fremder Vermuthung
der Wahrheit zuvorzukommen. Der alte Herr gebot
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/253>, abgerufen am 29.11.2024.
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