sich sagte, und als besänne sie sich, wen wohl es be¬ treffen möge. Sie ahnte wohl, es war Schreck und Schmerz, wenn sie dahinter kam, aber sie wußte in dem Augenblicke nicht, was Schreck ist und Schmerz; ein traumhaftes Vorausgefühl von Händezusammen¬ schlagen, Erbleichen, Umsinken, Aufspringen, hände¬ ringendem Umhergehn, Müdigkeit, die auf jeden Stuhl, an dem sie vorbeiwankt, niedersinken möchte, und doch weiter getrieben wird, von fortwährendem wilden Zu¬ rückbäumen und wieder matt nach vorn auf die Brust Sinken des Kopfes; ein traumhaftes Vorausgefühl von alle dem wandelte in der Stube vor ihr wie ihr eigenes undeutliches fernes Spiegelbild hinter einem bergenden Florschleier. Näher und unterscheidbarer war ein dumpfer Druck über der Herzgrube, der zum stechenden Schmerze wuchs, und das angstvolle Wissen, er müsse sie ersticken, könne sie das Weinen nicht finden, das Alles heilen müsse. So saß sie lange regungslos und hörte nichts von alle dem, was der alte Valentin in seiner Angst ihr vorsprach. Es war nichts daran ver¬ loren; der Alte glaubte selbst nicht an seine Trost¬ gründe, wenn er ihr beweisen wollte, Apollonius könne nicht verunglückt sein; er sei zu vorsichtig dazu und zu brav. Und vollends die Geschichte aus seiner Jugend, wo sich Leute, die nun lange todt sind, von einem ähn¬ lichen Gerüchte vergeblich hatten schrecken lassen! Er wußte es und erzählte doch immer fort und beschrieb
Ludwig, Zwischen Himmel und Erde. 15
ſich ſagte, und als beſänne ſie ſich, wen wohl es be¬ treffen möge. Sie ahnte wohl, es war Schreck und Schmerz, wenn ſie dahinter kam, aber ſie wußte in dem Augenblicke nicht, was Schreck iſt und Schmerz; ein traumhaftes Vorausgefühl von Händezuſammen¬ ſchlagen, Erbleichen, Umſinken, Aufſpringen, hände¬ ringendem Umhergehn, Müdigkeit, die auf jeden Stuhl, an dem ſie vorbeiwankt, niederſinken möchte, und doch weiter getrieben wird, von fortwährendem wilden Zu¬ rückbäumen und wieder matt nach vorn auf die Bruſt Sinken des Kopfes; ein traumhaftes Vorausgefühl von alle dem wandelte in der Stube vor ihr wie ihr eigenes undeutliches fernes Spiegelbild hinter einem bergenden Florſchleier. Näher und unterſcheidbarer war ein dumpfer Druck über der Herzgrube, der zum ſtechenden Schmerze wuchs, und das angſtvolle Wiſſen, er müſſe ſie erſticken, könne ſie das Weinen nicht finden, das Alles heilen müſſe. So ſaß ſie lange regungslos und hörte nichts von alle dem, was der alte Valentin in ſeiner Angſt ihr vorſprach. Es war nichts daran ver¬ loren; der Alte glaubte ſelbſt nicht an ſeine Troſt¬ gründe, wenn er ihr beweiſen wollte, Apollonius könne nicht verunglückt ſein; er ſei zu vorſichtig dazu und zu brav. Und vollends die Geſchichte aus ſeiner Jugend, wo ſich Leute, die nun lange todt ſind, von einem ähn¬ lichen Gerüchte vergeblich hatten ſchrecken laſſen! Er wußte es und erzählte doch immer fort und beſchrieb
Ludwig, Zwiſchen Himmel und Erde. 15
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0234"n="225"/>ſich ſagte, und als beſänne ſie ſich, wen wohl es be¬<lb/>
treffen möge. Sie ahnte wohl, es war Schreck und<lb/>
Schmerz, wenn ſie dahinter kam, aber ſie wußte in<lb/>
dem Augenblicke nicht, was Schreck iſt und Schmerz;<lb/>
ein traumhaftes Vorausgefühl von Händezuſammen¬<lb/>ſchlagen, Erbleichen, Umſinken, Aufſpringen, hände¬<lb/>
ringendem Umhergehn, Müdigkeit, die auf jeden Stuhl,<lb/>
an dem ſie vorbeiwankt, niederſinken möchte, und doch<lb/>
weiter getrieben wird, von fortwährendem wilden Zu¬<lb/>
rückbäumen und wieder matt nach vorn auf die Bruſt<lb/>
Sinken des Kopfes; ein traumhaftes Vorausgefühl<lb/>
von alle dem wandelte in der Stube vor ihr wie ihr eigenes<lb/>
undeutliches fernes Spiegelbild hinter einem bergenden<lb/>
Florſchleier. Näher und unterſcheidbarer war ein<lb/>
dumpfer Druck über der Herzgrube, der zum ſtechenden<lb/>
Schmerze wuchs, und das angſtvolle Wiſſen, er müſſe<lb/>ſie erſticken, könne ſie das Weinen nicht finden, das<lb/>
Alles heilen müſſe. So ſaß ſie lange regungslos und<lb/>
hörte nichts von alle dem, was der alte Valentin in<lb/>ſeiner Angſt ihr vorſprach. Es war nichts daran ver¬<lb/>
loren; der Alte glaubte ſelbſt nicht an ſeine Troſt¬<lb/>
gründe, wenn er ihr beweiſen wollte, Apollonius könne<lb/>
nicht verunglückt ſein; er ſei zu vorſichtig dazu und zu<lb/>
brav. Und vollends die Geſchichte aus ſeiner Jugend,<lb/>
wo ſich Leute, die nun lange todt ſind, von einem ähn¬<lb/>
lichen Gerüchte vergeblich hatten ſchrecken laſſen! Er<lb/>
wußte es und erzählte doch immer fort und beſchrieb<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Ludwig</hi>, Zwiſchen Himmel und Erde. 15<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[225/0234]
ſich ſagte, und als beſänne ſie ſich, wen wohl es be¬
treffen möge. Sie ahnte wohl, es war Schreck und
Schmerz, wenn ſie dahinter kam, aber ſie wußte in
dem Augenblicke nicht, was Schreck iſt und Schmerz;
ein traumhaftes Vorausgefühl von Händezuſammen¬
ſchlagen, Erbleichen, Umſinken, Aufſpringen, hände¬
ringendem Umhergehn, Müdigkeit, die auf jeden Stuhl,
an dem ſie vorbeiwankt, niederſinken möchte, und doch
weiter getrieben wird, von fortwährendem wilden Zu¬
rückbäumen und wieder matt nach vorn auf die Bruſt
Sinken des Kopfes; ein traumhaftes Vorausgefühl
von alle dem wandelte in der Stube vor ihr wie ihr eigenes
undeutliches fernes Spiegelbild hinter einem bergenden
Florſchleier. Näher und unterſcheidbarer war ein
dumpfer Druck über der Herzgrube, der zum ſtechenden
Schmerze wuchs, und das angſtvolle Wiſſen, er müſſe
ſie erſticken, könne ſie das Weinen nicht finden, das
Alles heilen müſſe. So ſaß ſie lange regungslos und
hörte nichts von alle dem, was der alte Valentin in
ſeiner Angſt ihr vorſprach. Es war nichts daran ver¬
loren; der Alte glaubte ſelbſt nicht an ſeine Troſt¬
gründe, wenn er ihr beweiſen wollte, Apollonius könne
nicht verunglückt ſein; er ſei zu vorſichtig dazu und zu
brav. Und vollends die Geſchichte aus ſeiner Jugend,
wo ſich Leute, die nun lange todt ſind, von einem ähn¬
lichen Gerüchte vergeblich hatten ſchrecken laſſen! Er
wußte es und erzählte doch immer fort und beſchrieb
Ludwig, Zwiſchen Himmel und Erde. 15
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/234>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.