und von meinen Enkeln nicht, daß ihr Vater auf dem Blutgerüst oder im Zuchthause gestorben ist. Du betest jetzt ein Vaterunser, wenn du noch beten kannst. Dann wend'st du dich, als wolltest du wieder zu deiner Arbeit gehn, und trittst mit dem rechten Fuß über die Rüstung. Sag' ich, der Schreck über seines Bruders Unglück hat ihn schwindeln gemacht: mir glauben's die Gerichte und die Stadt. Das ist's, was ein Leben einbringt, das anders gewesen ist, als dein's. Thust du's nicht gutwillig, so stürz' ich mit dir hinab und du hast auch mich auf deinem Gewissen. Die Leute wissen, ich leide an den Augen; ich bin gestrauchelt und hab' mich an dir anhalten wollen und hab' dich mitgerissen. Meines Lebens ist nach dem, was ich heut erfahren hab', keine Dauer mehr und kein Werth; ich bin am Ende, aber die Kinder fangen erst an. Und auf den Kindern soll keine Schande haften, so wahr ich Nettenmair heiße. Nun besinn' dich, wie es werden soll. Ich zähle fünfzehn Paar Schläge an dem Perpendikel dort.""
Fritz Nettenmair hatte mit wachsendem Entsetzen die Rede des Vaters angehört. Daß seine That noch nicht öffentlich bekannt war, gab ihm Hoffnung. Die Angst vor dem gedrohten Tode weckte einen Theil seiner Kräfte wieder. Er flüchtete sich wieder in seinen Trotz. Hastig sagte er, nachdem der Alte ausgeredet hatte: "Ich weiß nicht, was du willst. Ich bin un¬
und von meinen Enkeln nicht, daß ihr Vater auf dem Blutgerüſt oder im Zuchthauſe geſtorben iſt. Du beteſt jetzt ein Vaterunſer, wenn du noch beten kannſt. Dann wend'ſt du dich, als wollteſt du wieder zu deiner Arbeit gehn, und trittſt mit dem rechten Fuß über die Rüſtung. Sag' ich, der Schreck über ſeines Bruders Unglück hat ihn ſchwindeln gemacht: mir glauben's die Gerichte und die Stadt. Das iſt's, was ein Leben einbringt, das anders geweſen iſt, als dein's. Thuſt du's nicht gutwillig, ſo ſtürz' ich mit dir hinab und du haſt auch mich auf deinem Gewiſſen. Die Leute wiſſen, ich leide an den Augen; ich bin geſtrauchelt und hab' mich an dir anhalten wollen und hab' dich mitgeriſſen. Meines Lebens iſt nach dem, was ich heut erfahren hab', keine Dauer mehr und kein Werth; ich bin am Ende, aber die Kinder fangen erſt an. Und auf den Kindern ſoll keine Schande haften, ſo wahr ich Nettenmair heiße. Nun beſinn' dich, wie es werden ſoll. Ich zähle fünfzehn Paar Schläge an dem Perpendikel dort.““
Fritz Nettenmair hatte mit wachſendem Entſetzen die Rede des Vaters angehört. Daß ſeine That noch nicht öffentlich bekannt war, gab ihm Hoffnung. Die Angſt vor dem gedrohten Tode weckte einen Theil ſeiner Kräfte wieder. Er flüchtete ſich wieder in ſeinen Trotz. Haſtig ſagte er, nachdem der Alte ausgeredet hatte: „Ich weiß nicht, was du willſt. Ich bin un¬
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und von meinen Enkeln nicht, daß ihr Vater auf dem
Blutgerüſt oder im Zuchthauſe geſtorben iſt. Du
beteſt jetzt ein Vaterunſer, wenn du noch beten
kannſt. Dann wend'ſt du dich, als wollteſt du wieder
zu deiner Arbeit gehn, und trittſt mit dem rechten Fuß
über die Rüſtung. Sag' ich, der Schreck über ſeines
Bruders Unglück hat ihn ſchwindeln gemacht: mir
glauben's die Gerichte und die Stadt. Das iſt's,
was ein Leben einbringt, das anders geweſen iſt, als
dein's. Thuſt du's nicht gutwillig, ſo ſtürz' ich mit dir
hinab und du haſt auch mich auf deinem Gewiſſen.
Die Leute wiſſen, ich leide an den Augen; ich bin
geſtrauchelt und hab' mich an dir anhalten wollen und
hab' dich mitgeriſſen. Meines Lebens iſt nach dem,
was ich heut erfahren hab', keine Dauer mehr und kein
Werth; ich bin am Ende, aber die Kinder fangen erſt
an. Und auf den Kindern ſoll keine Schande haften,
ſo wahr ich Nettenmair heiße. Nun beſinn' dich, wie
es werden ſoll. Ich zähle fünfzehn Paar Schläge an
dem Perpendikel dort.““
Fritz Nettenmair hatte mit wachſendem Entſetzen
die Rede des Vaters angehört. Daß ſeine That noch
nicht öffentlich bekannt war, gab ihm Hoffnung. Die
Angſt vor dem gedrohten Tode weckte einen Theil
ſeiner Kräfte wieder. Er flüchtete ſich wieder in ſeinen
Trotz. Haſtig ſagte er, nachdem der Alte ausgeredet
hatte: „Ich weiß nicht, was du willſt. Ich bin un¬
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/225>, abgerufen am 04.12.2024.
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