grimmig, "was der Nachbar gesehen hat. Wie will er bei Nacht einen erkennen, der so weit entfernt von ihm ist? Und Er dazu mit seinen Beilstichen! Nun dürfte dem Jungen in Brambach das Seil gerissen sein oder er müßte sonst zufällig verunglückt sein, so wird Er sich steif und fest einbilden, es sind seine eingebildeten Beil¬ stiche schuld gewesen, und der hat sie gemacht, den der Nachbar, der so einfältig ist, als Er, will haben in den Schuppen schleichen gesehn. Und sagt Er ein Wort davon, oder ist Er so klug, daß Er in Räthseln zu verstehen gibt, was Er sich einbildet in seinem alten Narrenschädel, so ist den andern Tag die ganze Stadt voll davon. Nicht weil's wahrscheinlich wäre, was Er da ausgeheckt hat, und kein vernünftiger Mensch glauben kann, sondern weil die Leute froh sind, einem Andern das Schlimmste nachzureden. Gott wird ja vor sein, daß der Junge nicht zu Unglück kommt, aber es kann geschehn, und es ist vielleicht schon geschehn. Wie leicht kommt einer hinter dem Ofen dazu, geschweige ein Schieferdecker, der zwischen Himmel und Erde schwebt wie ein Vogel, aber keine Flügel hat wie ein Vogel. Darum mit ist die edle Schieferdeckerkunst eine so edle Kunst, weil der Schieferdecker das sichtlichste Bild ist, wie die Fürsehung den Menschen in ihren Händen hält, wenn er in seinem ehrlichen Berufe handthiert. Und läßt sie ihn fallen, so weiß sie, warum; und der Mensch soll nicht Gespinnste d'rum hängen, die über einen Andern Un¬
grimmig, „was der Nachbar geſehen hat. Wie will er bei Nacht einen erkennen, der ſo weit entfernt von ihm iſt? Und Er dazu mit ſeinen Beilſtichen! Nun dürfte dem Jungen in Brambach das Seil geriſſen ſein oder er müßte ſonſt zufällig verunglückt ſein, ſo wird Er ſich ſteif und feſt einbilden, es ſind ſeine eingebildeten Beil¬ ſtiche ſchuld geweſen, und der hat ſie gemacht, den der Nachbar, der ſo einfältig iſt, als Er, will haben in den Schuppen ſchleichen geſehn. Und ſagt Er ein Wort davon, oder iſt Er ſo klug, daß Er in Räthſeln zu verſtehen gibt, was Er ſich einbildet in ſeinem alten Narrenſchädel, ſo iſt den andern Tag die ganze Stadt voll davon. Nicht weil's wahrſcheinlich wäre, was Er da ausgeheckt hat, und kein vernünftiger Menſch glauben kann, ſondern weil die Leute froh ſind, einem Andern das Schlimmſte nachzureden. Gott wird ja vor ſein, daß der Junge nicht zu Unglück kommt, aber es kann geſchehn, und es iſt vielleicht ſchon geſchehn. Wie leicht kommt einer hinter dem Ofen dazu, geſchweige ein Schieferdecker, der zwiſchen Himmel und Erde ſchwebt wie ein Vogel, aber keine Flügel hat wie ein Vogel. Darum mit iſt die edle Schieferdeckerkunſt eine ſo edle Kunſt, weil der Schieferdecker das ſichtlichſte Bild iſt, wie die Fürſehung den Menſchen in ihren Händen hält, wenn er in ſeinem ehrlichen Berufe handthiert. Und läßt ſie ihn fallen, ſo weiß ſie, warum; und der Menſch ſoll nicht Geſpinnſte d'rum hängen, die über einen Andern Un¬
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grimmig, „was der Nachbar geſehen hat. Wie will
er bei Nacht einen erkennen, der ſo weit entfernt von
ihm iſt? Und Er dazu mit ſeinen Beilſtichen! Nun dürfte
dem Jungen in Brambach das Seil geriſſen ſein oder
er müßte ſonſt zufällig verunglückt ſein, ſo wird Er ſich
ſteif und feſt einbilden, es ſind ſeine eingebildeten Beil¬
ſtiche ſchuld geweſen, und der hat ſie gemacht, den der
Nachbar, der ſo einfältig iſt, als Er, will haben in
den Schuppen ſchleichen geſehn. Und ſagt Er ein
Wort davon, oder iſt Er ſo klug, daß Er in Räthſeln
zu verſtehen gibt, was Er ſich einbildet in ſeinem
alten Narrenſchädel, ſo iſt den andern Tag die ganze
Stadt voll davon. Nicht weil's wahrſcheinlich wäre,
was Er da ausgeheckt hat, und kein vernünftiger Menſch
glauben kann, ſondern weil die Leute froh ſind, einem
Andern das Schlimmſte nachzureden. Gott wird ja
vor ſein, daß der Junge nicht zu Unglück kommt, aber
es kann geſchehn, und es iſt vielleicht ſchon geſchehn. Wie
leicht kommt einer hinter dem Ofen dazu, geſchweige
ein Schieferdecker, der zwiſchen Himmel und Erde ſchwebt
wie ein Vogel, aber keine Flügel hat wie ein Vogel.
Darum mit iſt die edle Schieferdeckerkunſt eine ſo edle Kunſt,
weil der Schieferdecker das ſichtlichſte Bild iſt, wie die
Fürſehung den Menſchen in ihren Händen hält, wenn er
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/212>, abgerufen am 04.12.2024.
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