sich allein beimessen zu können. Oder er hielt seinen Vater für den hülflosen Blinden, der nichts mehr war und nichts mehr vermochte, als höchstens ihn zu hindern. Und das vergab ihm der alte Herr noch weniger -- trotz seines Schmerzes um den Todten, der der Sohn ihm bereits war. Er wurde immer überzeugter, er selbst hätte es nicht soweit kommen lassen, wenn er darum gewußt und die Sache in seine Hand genommen, und Apollonius dürfe Niemand seines Mordes anklagen, als den eigenen Vorwitz. Diese Gedanken mußten natürlich vor dem zunächst Nothwendigen zurücktreten. Was er bis jetzt von der Vorgeschichte des bruder¬ mörderischen Gedankens wußte, konnte den entstandenen Verdacht verstärken, aber ihn nicht entstehen machen, wenn nicht ein Anderes, das ihm noch unbekannt war, dazu trat. Er mußte von dem schuldigen Sohne selbst erfahren, ob es solch ein Anderes gab. Sein Entschluß war für alle Fälle gefaßt. Er verlangte Hut und Stock. Ein andermal wäre Valentin über diesen Befehl er¬ staunt, vielleicht sogar erschrocken. Ist man durch ein Außerordentliches aufgeregt, wie es der Gesell eben war, kommt nur das unerwartet, was sonst das Gewöhnliche hieß, was an den alten ruhigen Zustand erinnert. Indeß Valentin das Befohlene herbeibrachte und der alte Herr sich zum Ausgehen bereitete, zeigte dieser ihm noch einmal, wie grundlos und thöricht seine Befürchtungen seien. "Wer weiß," sagte der alte Herr
ſich allein beimeſſen zu können. Oder er hielt ſeinen Vater für den hülfloſen Blinden, der nichts mehr war und nichts mehr vermochte, als höchſtens ihn zu hindern. Und das vergab ihm der alte Herr noch weniger — trotz ſeines Schmerzes um den Todten, der der Sohn ihm bereits war. Er wurde immer überzeugter, er ſelbſt hätte es nicht ſoweit kommen laſſen, wenn er darum gewußt und die Sache in ſeine Hand genommen, und Apollonius dürfe Niemand ſeines Mordes anklagen, als den eigenen Vorwitz. Dieſe Gedanken mußten natürlich vor dem zunächſt Nothwendigen zurücktreten. Was er bis jetzt von der Vorgeſchichte des bruder¬ mörderiſchen Gedankens wußte, konnte den entſtandenen Verdacht verſtärken, aber ihn nicht entſtehen machen, wenn nicht ein Anderes, das ihm noch unbekannt war, dazu trat. Er mußte von dem ſchuldigen Sohne ſelbſt erfahren, ob es ſolch ein Anderes gab. Sein Entſchluß war für alle Fälle gefaßt. Er verlangte Hut und Stock. Ein andermal wäre Valentin über dieſen Befehl er¬ ſtaunt, vielleicht ſogar erſchrocken. Iſt man durch ein Außerordentliches aufgeregt, wie es der Geſell eben war, kommt nur das unerwartet, was ſonſt das Gewöhnliche hieß, was an den alten ruhigen Zuſtand erinnert. Indeß Valentin das Befohlene herbeibrachte und der alte Herr ſich zum Ausgehen bereitete, zeigte dieſer ihm noch einmal, wie grundlos und thöricht ſeine Befürchtungen ſeien. „Wer weiß,“ ſagte der alte Herr
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ſich allein beimeſſen zu können. Oder er hielt ſeinen
Vater für den hülfloſen Blinden, der nichts mehr war
und nichts mehr vermochte, als höchſtens ihn zu hindern.
Und das vergab ihm der alte Herr noch weniger —
trotz ſeines Schmerzes um den Todten, der der Sohn
ihm bereits war. Er wurde immer überzeugter, er ſelbſt
hätte es nicht ſoweit kommen laſſen, wenn er darum
gewußt und die Sache in ſeine Hand genommen, und
Apollonius dürfe Niemand ſeines Mordes anklagen,
als den eigenen Vorwitz. Dieſe Gedanken mußten
natürlich vor dem zunächſt Nothwendigen zurücktreten.
Was er bis jetzt von der Vorgeſchichte des bruder¬
mörderiſchen Gedankens wußte, konnte den entſtandenen
Verdacht verſtärken, aber ihn nicht entſtehen machen,
wenn nicht ein Anderes, das ihm noch unbekannt war,
dazu trat. Er mußte von dem ſchuldigen Sohne ſelbſt
erfahren, ob es ſolch ein Anderes gab. Sein Entſchluß
war für alle Fälle gefaßt. Er verlangte Hut und Stock.
Ein andermal wäre Valentin über dieſen Befehl er¬
ſtaunt, vielleicht ſogar erſchrocken. Iſt man durch ein
Außerordentliches aufgeregt, wie es der Geſell eben
war, kommt nur das unerwartet, was ſonſt das
Gewöhnliche hieß, was an den alten ruhigen Zuſtand
erinnert. Indeß Valentin das Befohlene herbeibrachte
und der alte Herr ſich zum Ausgehen bereitete, zeigte
dieſer ihm noch einmal, wie grundlos und thöricht ſeine
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/211>, abgerufen am 04.12.2024.
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