Verständnisse war, wurde zu ihm gelassen. Der alte Herr, der dem Gast, wie jedem Andern, sein Inneres verbarg, errieth bei diesem dieselbe Verstellung, und be¬ stärkte sich daran in der Meinung, daß er durch Fragen nichts erfahren und nur seine Hülflosigkeit offenbar machen könne. Je heißer es in ihm kochte, desto eisiger erschien sein Aeußeres. Es war ein Zustand, der in völligen Wahnsinn übergehen mußte, schlug nicht die Außenwelt eine Brücke zu ihm und riß ihn mit Gewalt aus seiner Vereinzelung heraus.
Diese Gewalt geschah ihm heute. Er saß eben wieder brütend auf seinem Stuhle, als den Valentin seine Angst zu ihm hineintrieb. Den Gesellen zwang die alte Gewohnheit, ohne daß er es wußte, die Thüre leis zu öffnen und eben so hereinzutreten; aber der alte Herr empfand mit seinem krankhaft verschärften Gefühle sogleich das Ungewöhnliche. Seine Erwartung nahm natürlich denselben Gang, den all sein Denken verfolgte. Es war eine dem Hause drohende Schmach, was die sonst immer gleiche Weise Valentins veränderte; es mußte eine entsetzliche sein, da sie den alten Gesellen aus der Fassung brachte und seine Verstellung durch¬ brach. Der alte Herr zitterte, als er aufstand von sei¬ nem Stuhl. Er kämpfte mit sich, ob er fragen sollte. Es war nicht nöthig. Der alte Gesell beichtete unge¬ fragt. Er erzählte mit fliegender Brust seine Befürch¬ tungen und was sie rechtfertigte. Der alte Herr er¬
Verſtändniſſe war, wurde zu ihm gelaſſen. Der alte Herr, der dem Gaſt, wie jedem Andern, ſein Inneres verbarg, errieth bei dieſem dieſelbe Verſtellung, und be¬ ſtärkte ſich daran in der Meinung, daß er durch Fragen nichts erfahren und nur ſeine Hülfloſigkeit offenbar machen könne. Je heißer es in ihm kochte, deſto eiſiger erſchien ſein Aeußeres. Es war ein Zuſtand, der in völligen Wahnſinn übergehen mußte, ſchlug nicht die Außenwelt eine Brücke zu ihm und riß ihn mit Gewalt aus ſeiner Vereinzelung heraus.
Dieſe Gewalt geſchah ihm heute. Er ſaß eben wieder brütend auf ſeinem Stuhle, als den Valentin ſeine Angſt zu ihm hineintrieb. Den Geſellen zwang die alte Gewohnheit, ohne daß er es wußte, die Thüre leis zu öffnen und eben ſo hereinzutreten; aber der alte Herr empfand mit ſeinem krankhaft verſchärften Gefühle ſogleich das Ungewöhnliche. Seine Erwartung nahm natürlich denſelben Gang, den all ſein Denken verfolgte. Es war eine dem Hauſe drohende Schmach, was die ſonſt immer gleiche Weiſe Valentins veränderte; es mußte eine entſetzliche ſein, da ſie den alten Geſellen aus der Faſſung brachte und ſeine Verſtellung durch¬ brach. Der alte Herr zitterte, als er aufſtand von ſei¬ nem Stuhl. Er kämpfte mit ſich, ob er fragen ſollte. Es war nicht nöthig. Der alte Geſell beichtete unge¬ fragt. Er erzählte mit fliegender Bruſt ſeine Befürch¬ tungen und was ſie rechtfertigte. Der alte Herr er¬
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Verſtändniſſe war, wurde zu ihm gelaſſen. Der alte
Herr, der dem Gaſt, wie jedem Andern, ſein Inneres
verbarg, errieth bei dieſem dieſelbe Verſtellung, und be¬
ſtärkte ſich daran in der Meinung, daß er durch Fragen
nichts erfahren und nur ſeine Hülfloſigkeit offenbar
machen könne. Je heißer es in ihm kochte, deſto eiſiger
erſchien ſein Aeußeres. Es war ein Zuſtand, der in
völligen Wahnſinn übergehen mußte, ſchlug nicht die
Außenwelt eine Brücke zu ihm und riß ihn mit Gewalt
aus ſeiner Vereinzelung heraus.
Dieſe Gewalt geſchah ihm heute. Er ſaß eben
wieder brütend auf ſeinem Stuhle, als den Valentin
ſeine Angſt zu ihm hineintrieb. Den Geſellen zwang
die alte Gewohnheit, ohne daß er es wußte, die Thüre
leis zu öffnen und eben ſo hereinzutreten; aber der
alte Herr empfand mit ſeinem krankhaft verſchärften
Gefühle ſogleich das Ungewöhnliche. Seine Erwartung
nahm natürlich denſelben Gang, den all ſein Denken
verfolgte. Es war eine dem Hauſe drohende Schmach,
was die ſonſt immer gleiche Weiſe Valentins veränderte;
es mußte eine entſetzliche ſein, da ſie den alten Geſellen
aus der Faſſung brachte und ſeine Verſtellung durch¬
brach. Der alte Herr zitterte, als er aufſtand von ſei¬
nem Stuhl. Er kämpfte mit ſich, ob er fragen ſollte.
Es war nicht nöthig. Der alte Geſell beichtete unge¬
fragt. Er erzählte mit fliegender Bruſt ſeine Befürch¬
tungen und was ſie rechtfertigte. Der alte Herr er¬
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/206>, abgerufen am 04.12.2024.
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