Der alte Herr saß in seiner kleinen Stube. Wie er sich immer tiefer in die Wolken einspann, die ihn von der Welt außer ihm trennten, wurde ihm zuletzt auch das Gärtchen fremd. Besonders hatte ihn die ewige Frage: Wie geht's Herr Nettenmair? dort vertrieben. Er fühlte, man konnte ihm sein "Ich leide etwas an den Augen, aber es hat nichts zu sagen" nicht mehr glauben, und seitdem hörte er in jener Frage eine Verhöhnung. Apollonius war, so sehr er mit ihm litt, das Zurückziehen des alten Herrn und seine zu¬ nehmende Menschenscheu nicht unwillkommen. Je tiefer der Bruder fiel, desto schwerer war es geworden, dem alten Herrn den Zustand des Hauses zu verbergen und etwaige Zuträger abzuhalten, von denen er in sei¬ nem Gärtchen nicht abzuschließen war; es schien zuletzt unmöglich. Apollonius wußte freilich nicht, daß der alte Herr in seinem Stübchen an Qualen litt, die, wenn auch auf bloßer Einbildung beruhend, denen gleich kamen, vor denen er ihn schützen wollte. Hier saß der alte Herr den langen Tag zusammen gesunken hinter dem Tische auf seinem Lederstuhl, und brütete nach seiner alten Weise über allen Möglichkeiten von Unehre, die sein Haus treffen konnten oder schritt mit hastigen Schritten hin und her, und das Roth seiner eingefallenen Wangen und die heftig kämpfende Bewegung seiner Arme zeigte, wie er in Gedanken das Aeußerste that, die drohenden ab¬ zuwenden. Nur der Bauherr, der mit Apollonius im
Der alte Herr ſaß in ſeiner kleinen Stube. Wie er ſich immer tiefer in die Wolken einſpann, die ihn von der Welt außer ihm trennten, wurde ihm zuletzt auch das Gärtchen fremd. Beſonders hatte ihn die ewige Frage: Wie geht's Herr Nettenmair? dort vertrieben. Er fühlte, man konnte ihm ſein „Ich leide etwas an den Augen, aber es hat nichts zu ſagen“ nicht mehr glauben, und ſeitdem hörte er in jener Frage eine Verhöhnung. Apollonius war, ſo ſehr er mit ihm litt, das Zurückziehen des alten Herrn und ſeine zu¬ nehmende Menſchenſcheu nicht unwillkommen. Je tiefer der Bruder fiel, deſto ſchwerer war es geworden, dem alten Herrn den Zuſtand des Hauſes zu verbergen und etwaige Zuträger abzuhalten, von denen er in ſei¬ nem Gärtchen nicht abzuſchließen war; es ſchien zuletzt unmöglich. Apollonius wußte freilich nicht, daß der alte Herr in ſeinem Stübchen an Qualen litt, die, wenn auch auf bloßer Einbildung beruhend, denen gleich kamen, vor denen er ihn ſchützen wollte. Hier ſaß der alte Herr den langen Tag zuſammen geſunken hinter dem Tiſche auf ſeinem Lederſtuhl, und brütete nach ſeiner alten Weiſe über allen Möglichkeiten von Unehre, die ſein Haus treffen konnten oder ſchritt mit haſtigen Schritten hin und her, und das Roth ſeiner eingefallenen Wangen und die heftig kämpfende Bewegung ſeiner Arme zeigte, wie er in Gedanken das Aeußerſte that, die drohenden ab¬ zuwenden. Nur der Bauherr, der mit Apollonius im
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Der alte Herr ſaß in ſeiner kleinen Stube. Wie
er ſich immer tiefer in die Wolken einſpann, die ihn
von der Welt außer ihm trennten, wurde ihm zuletzt
auch das Gärtchen fremd. Beſonders hatte ihn
die ewige Frage: Wie geht's Herr Nettenmair? dort
vertrieben. Er fühlte, man konnte ihm ſein „Ich leide
etwas an den Augen, aber es hat nichts zu ſagen“
nicht mehr glauben, und ſeitdem hörte er in jener Frage
eine Verhöhnung. Apollonius war, ſo ſehr er mit ihm
litt, das Zurückziehen des alten Herrn und ſeine zu¬
nehmende Menſchenſcheu nicht unwillkommen. Je tiefer
der Bruder fiel, deſto ſchwerer war es geworden, dem
alten Herrn den Zuſtand des Hauſes zu verbergen
und etwaige Zuträger abzuhalten, von denen er in ſei¬
nem Gärtchen nicht abzuſchließen war; es ſchien zuletzt
unmöglich. Apollonius wußte freilich nicht, daß der alte
Herr in ſeinem Stübchen an Qualen litt, die, wenn auch
auf bloßer Einbildung beruhend, denen gleich kamen, vor
denen er ihn ſchützen wollte. Hier ſaß der alte Herr den
langen Tag zuſammen geſunken hinter dem Tiſche auf
ſeinem Lederſtuhl, und brütete nach ſeiner alten Weiſe über
allen Möglichkeiten von Unehre, die ſein Haus treffen
konnten oder ſchritt mit haſtigen Schritten hin und her,
und das Roth ſeiner eingefallenen Wangen und die
heftig kämpfende Bewegung ſeiner Arme zeigte, wie
er in Gedanken das Aeußerſte that, die drohenden ab¬
zuwenden. Nur der Bauherr, der mit Apollonius im
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/205>, abgerufen am 04.12.2024.
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