Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

sich sein ganzes Denken um die Stunde, wo die Söhne
erwachsen waren und er das schuldenfreie Geschäft
ihnen übergab, wo Aennchen aussah wie ihre Mutter
und er ihre jungfräuliche Hand in die Hand eines
braven Mannes legte. Aennchens rosiges Gesicht stand
vor ihm, so oft er aufsah von seinen Schieferplatten.
Als es ihn so schalkhaft anlachte, war es sein Liebling;
wie das Gesichtchen immer trüber und bleicher wurde,
war sie's nur immer mehr; er sah sie oft doppelt
durch das Wasser in seinen Augen. Jetzt -- o manch¬
mal war's ihm, als arbeite er nun umsonst! Und es
war noch etwas hinzugekommen, was ihn immer mehr
beängstigte. Aus dem Mitleid mit der gequälten Frau,
die um ihn gequält wurde, blühte die Blume seiner
Jugendliebe wieder auf und entfaltete sich von Tag
zu Tage mehr. Und was des Bruders Hohn und
Undankbarkeit gegen ihn nicht vermocht, das gelang
seinem Benehmen gegen die Frau. Apollonius fühlte
sein Herz erkalten gegen den Bruder. Es trieb ihn,
die Frau zu schützen; aber er wußte, seine Einmischung
gab sie nur härteren Mißhandlungen preis. Er konnte
nicht mehr für sie thun, als daß er sich so entfernt
hielt von ihr, als möglich. Und nicht allein wegen
des Bruders; auch um ihrer selbst willen, wenn er
richtig gesehn hatte. Hatte er richtig gesehn? Er sagt
sich hundertmal Nein. Er sagt sich's mit Schmerzen;
desto öfter und dringender sagte er sich's, und fühlte,

ſich ſein ganzes Denken um die Stunde, wo die Söhne
erwachſen waren und er das ſchuldenfreie Geſchäft
ihnen übergab, wo Aennchen ausſah wie ihre Mutter
und er ihre jungfräuliche Hand in die Hand eines
braven Mannes legte. Aennchens roſiges Geſicht ſtand
vor ihm, ſo oft er aufſah von ſeinen Schieferplatten.
Als es ihn ſo ſchalkhaft anlachte, war es ſein Liebling;
wie das Geſichtchen immer trüber und bleicher wurde,
war ſie's nur immer mehr; er ſah ſie oft doppelt
durch das Waſſer in ſeinen Augen. Jetzt — o manch¬
mal war's ihm, als arbeite er nun umſonſt! Und es
war noch etwas hinzugekommen, was ihn immer mehr
beängſtigte. Aus dem Mitleid mit der gequälten Frau,
die um ihn gequält wurde, blühte die Blume ſeiner
Jugendliebe wieder auf und entfaltete ſich von Tag
zu Tage mehr. Und was des Bruders Hohn und
Undankbarkeit gegen ihn nicht vermocht, das gelang
ſeinem Benehmen gegen die Frau. Apollonius fühlte
ſein Herz erkalten gegen den Bruder. Es trieb ihn,
die Frau zu ſchützen; aber er wußte, ſeine Einmiſchung
gab ſie nur härteren Mißhandlungen preis. Er konnte
nicht mehr für ſie thun, als daß er ſich ſo entfernt
hielt von ihr, als möglich. Und nicht allein wegen
des Bruders; auch um ihrer ſelbſt willen, wenn er
richtig geſehn hatte. Hatte er richtig geſehn? Er ſagt
ſich hundertmal Nein. Er ſagt ſich's mit Schmerzen;
deſto öfter und dringender ſagte er ſich's, und fühlte,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0185" n="176"/>
&#x017F;ich &#x017F;ein ganzes Denken um die Stunde, wo die Söhne<lb/>
erwach&#x017F;en waren und er das &#x017F;chuldenfreie Ge&#x017F;chäft<lb/>
ihnen übergab, wo Aennchen aus&#x017F;ah wie ihre Mutter<lb/>
und er ihre jungfräuliche Hand in die Hand eines<lb/>
braven Mannes legte. Aennchens ro&#x017F;iges Ge&#x017F;icht &#x017F;tand<lb/>
vor ihm, &#x017F;o oft er auf&#x017F;ah von &#x017F;einen Schieferplatten.<lb/>
Als es ihn &#x017F;o &#x017F;chalkhaft anlachte, war es &#x017F;ein Liebling;<lb/>
wie das Ge&#x017F;ichtchen immer trüber und bleicher wurde,<lb/>
war &#x017F;ie's nur immer mehr; er &#x017F;ah &#x017F;ie oft doppelt<lb/>
durch das Wa&#x017F;&#x017F;er in &#x017F;einen Augen. Jetzt &#x2014; o manch¬<lb/>
mal war's ihm, als arbeite er nun um&#x017F;on&#x017F;t! Und es<lb/>
war noch etwas hinzugekommen, was ihn immer mehr<lb/>
beäng&#x017F;tigte. Aus dem Mitleid mit der gequälten Frau,<lb/>
die um ihn gequält wurde, blühte die Blume &#x017F;einer<lb/>
Jugendliebe wieder auf und entfaltete &#x017F;ich von Tag<lb/>
zu Tage mehr. Und was des Bruders Hohn und<lb/>
Undankbarkeit gegen ihn nicht vermocht, das gelang<lb/>
&#x017F;einem Benehmen gegen die Frau. Apollonius fühlte<lb/>
&#x017F;ein Herz erkalten gegen den Bruder. Es trieb ihn,<lb/>
die Frau zu &#x017F;chützen; aber er wußte, &#x017F;eine Einmi&#x017F;chung<lb/>
gab &#x017F;ie nur härteren Mißhandlungen preis. Er konnte<lb/>
nicht mehr für &#x017F;ie thun, als daß er &#x017F;ich &#x017F;o entfernt<lb/>
hielt von ihr, als möglich. Und nicht allein wegen<lb/>
des Bruders; auch um ihrer &#x017F;elb&#x017F;t willen, wenn er<lb/>
richtig ge&#x017F;ehn hatte. Hatte er richtig ge&#x017F;ehn? Er &#x017F;agt<lb/>
&#x017F;ich hundertmal Nein. Er &#x017F;agt &#x017F;ich's mit Schmerzen;<lb/>
de&#x017F;to öfter und dringender &#x017F;agte er &#x017F;ich's, und fühlte,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0185] ſich ſein ganzes Denken um die Stunde, wo die Söhne erwachſen waren und er das ſchuldenfreie Geſchäft ihnen übergab, wo Aennchen ausſah wie ihre Mutter und er ihre jungfräuliche Hand in die Hand eines braven Mannes legte. Aennchens roſiges Geſicht ſtand vor ihm, ſo oft er aufſah von ſeinen Schieferplatten. Als es ihn ſo ſchalkhaft anlachte, war es ſein Liebling; wie das Geſichtchen immer trüber und bleicher wurde, war ſie's nur immer mehr; er ſah ſie oft doppelt durch das Waſſer in ſeinen Augen. Jetzt — o manch¬ mal war's ihm, als arbeite er nun umſonſt! Und es war noch etwas hinzugekommen, was ihn immer mehr beängſtigte. Aus dem Mitleid mit der gequälten Frau, die um ihn gequält wurde, blühte die Blume ſeiner Jugendliebe wieder auf und entfaltete ſich von Tag zu Tage mehr. Und was des Bruders Hohn und Undankbarkeit gegen ihn nicht vermocht, das gelang ſeinem Benehmen gegen die Frau. Apollonius fühlte ſein Herz erkalten gegen den Bruder. Es trieb ihn, die Frau zu ſchützen; aber er wußte, ſeine Einmiſchung gab ſie nur härteren Mißhandlungen preis. Er konnte nicht mehr für ſie thun, als daß er ſich ſo entfernt hielt von ihr, als möglich. Und nicht allein wegen des Bruders; auch um ihrer ſelbſt willen, wenn er richtig geſehn hatte. Hatte er richtig geſehn? Er ſagt ſich hundertmal Nein. Er ſagt ſich's mit Schmerzen; deſto öfter und dringender ſagte er ſich's, und fühlte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/185
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/185>, abgerufen am 19.05.2024.