Dort lag er lang. Der Blitz, der ihn dahingestreckt, hatte zurückgeleuchtet mit grausamer Klarheit; und er hatte die Beiden unschuldig gesehn, die er verfolgt. Und keine Schuld, als die seine. Er allein hat das Elend aufgethürmt, das erdrückend auf ihm liegt, Last auf Last, Schuld auf Schuld. Des Kindes Tod ist der Gipfel. Und vielleicht ist er's noch nicht! Der Elende sieht, er muß zurück. Er hascht nach jedem Strohhalm von Gedanken, der ihn retten könnte. Da hört er die weichen Klänge wieder, denen er gestern sein Herz verschlossen: "Du hast gemeint, wenn er kommt, wird er wieder sein wie er sonst war, eh du krank geworden bist. Deine Mutter will's auch." -- Die Klänge waren eine weiche Hand, die die Seele der Frau nach seiner Seele ausstreckte und zur Ver¬ söhnung bot. Sein Schmerz, seine Angst faßten hastig nach der ausgestreckten. Er sah das Kind im Hemd¬ chen an der Kammerthür stehn, wo es so oft gestanden, wenn seine Heftigkeit es aus dem Schlummer geweckt; die Händchen gefalten, die Augen so schmerzlich flehend: er solle doch gut sein mit der Mutter; und so ängstlich zugleich: er soll doch nicht zürnen, daß es fleht. Nun, da's zu spät war, sah er, das Kind wollte sein Engel sein. Aber es war ja noch nicht zu spät! Er hörte den leisen Schritt seiner Frau auf der Flur der Stuben¬ thüre nahn. Er hörte sie die Thüre öffnen. Stand Aennchen jetzt in der Kammerthür, es mußte lächeln.
Dort lag er lang. Der Blitz, der ihn dahingeſtreckt, hatte zurückgeleuchtet mit grauſamer Klarheit; und er hatte die Beiden unſchuldig geſehn, die er verfolgt. Und keine Schuld, als die ſeine. Er allein hat das Elend aufgethürmt, das erdrückend auf ihm liegt, Laſt auf Laſt, Schuld auf Schuld. Des Kindes Tod iſt der Gipfel. Und vielleicht iſt er's noch nicht! Der Elende ſieht, er muß zurück. Er haſcht nach jedem Strohhalm von Gedanken, der ihn retten könnte. Da hört er die weichen Klänge wieder, denen er geſtern ſein Herz verſchloſſen: „Du haſt gemeint, wenn er kommt, wird er wieder ſein wie er ſonſt war, eh du krank geworden biſt. Deine Mutter will's auch.“ — Die Klänge waren eine weiche Hand, die die Seele der Frau nach ſeiner Seele ausſtreckte und zur Ver¬ ſöhnung bot. Sein Schmerz, ſeine Angſt faßten haſtig nach der ausgeſtreckten. Er ſah das Kind im Hemd¬ chen an der Kammerthür ſtehn, wo es ſo oft geſtanden, wenn ſeine Heftigkeit es aus dem Schlummer geweckt; die Händchen gefalten, die Augen ſo ſchmerzlich flehend: er ſolle doch gut ſein mit der Mutter; und ſo ängſtlich zugleich: er ſoll doch nicht zürnen, daß es fleht. Nun, da's zu ſpät war, ſah er, das Kind wollte ſein Engel ſein. Aber es war ja noch nicht zu ſpät! Er hörte den leiſen Schritt ſeiner Frau auf der Flur der Stuben¬ thüre nahn. Er hörte ſie die Thüre öffnen. Stand Aennchen jetzt in der Kammerthür, es mußte lächeln.
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Dort lag er lang. Der Blitz, der ihn dahingeſtreckt,
hatte zurückgeleuchtet mit grauſamer Klarheit; und er
hatte die Beiden unſchuldig geſehn, die er verfolgt.
Und keine Schuld, als die ſeine. Er allein hat das
Elend aufgethürmt, das erdrückend auf ihm liegt, Laſt
auf Laſt, Schuld auf Schuld. Des Kindes Tod iſt
der Gipfel. Und vielleicht iſt er's noch nicht! Der
Elende ſieht, er muß zurück. Er haſcht nach jedem
Strohhalm von Gedanken, der ihn retten könnte. Da
hört er die weichen Klänge wieder, denen er geſtern
ſein Herz verſchloſſen: „Du haſt gemeint, wenn er
kommt, wird er wieder ſein wie er ſonſt war, eh du
krank geworden biſt. Deine Mutter will's auch.“ —
Die Klänge waren eine weiche Hand, die die Seele
der Frau nach ſeiner Seele ausſtreckte und zur Ver¬
ſöhnung bot. Sein Schmerz, ſeine Angſt faßten haſtig
nach der ausgeſtreckten. Er ſah das Kind im Hemd¬
chen an der Kammerthür ſtehn, wo es ſo oft geſtanden,
wenn ſeine Heftigkeit es aus dem Schlummer geweckt;
die Händchen gefalten, die Augen ſo ſchmerzlich flehend:
er ſolle doch gut ſein mit der Mutter; und ſo ängſtlich
zugleich: er ſoll doch nicht zürnen, daß es fleht. Nun,
da's zu ſpät war, ſah er, das Kind wollte ſein Engel
ſein. Aber es war ja noch nicht zu ſpät! Er hörte
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thüre nahn. Er hörte ſie die Thüre öffnen. Stand
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/180>, abgerufen am 04.12.2024.
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