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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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vergeblich. Ihr ist's, als müßte jene wiederkehren und
dieser gehn, wenn sie sich nur recht angestrengt mühte,
dieses Kehren und Gehn zu bemerken. Und dabei kann
sie doch noch daran denken, wie plötzlich das gekommen
ist, was sie so sehr beängstigt. Wie das Aennchen auf
einmal im Bette neben ihrem wie mit fremder Stimme
aufgeschrien, dann nicht mehr hat sprechen können; wie sie
aufgesprungen und sich angekleidet; wie sie in der Angst
den Valentin, und dieser, ohne ihr Wissen, den Apollonius
geweckt. Daß der alte Gesell alle Schlüssel im Hause
probirt, bis sich ergab, der Schuppenschlüssel schließe die
Hinterthür; das wußte sie nicht. Desto lebendiger stand's
vor ihr, wie Apollonius hereingetreten, wie ihr bei
seinem unerwarteten Kommen gewesen, wie sie voll
Schreck und Scham und doch voll wunderbarer Be¬
ruhigung sich gefühlt. Apollonius hatte sogleich den
Arzt, und sodann Arzneien geholt. Er hatte an dem
Bettchen gestanden und sich über das Aennchen gebeugt,
wie jetzt sie that. Er hatte sie voll Schmerz angesehn
und gesagt, Aennchen's Krankheit komme von dem ehe¬
lichen Zerwürfniß, und es werde nicht gesund, höre dieß
nicht auf. Er hatte von den Wundern erzählt, die
einer Mutter möglich würden, und wie sich der Mensch
bezwingen könne und müsse. Dann hatte er dem Va¬
lentin noch Manches des Aennchen's wegen anbefohlen;
und war gegangen aus Sorge, der Bruder könnte sonst
in seinem Irrwahn glauben, er wolle ihn auch von dem

vergeblich. Ihr iſt's, als müßte jene wiederkehren und
dieſer gehn, wenn ſie ſich nur recht angeſtrengt mühte,
dieſes Kehren und Gehn zu bemerken. Und dabei kann
ſie doch noch daran denken, wie plötzlich das gekommen
iſt, was ſie ſo ſehr beängſtigt. Wie das Aennchen auf
einmal im Bette neben ihrem wie mit fremder Stimme
aufgeſchrien, dann nicht mehr hat ſprechen können; wie ſie
aufgeſprungen und ſich angekleidet; wie ſie in der Angſt
den Valentin, und dieſer, ohne ihr Wiſſen, den Apollonius
geweckt. Daß der alte Geſell alle Schlüſſel im Hauſe
probirt, bis ſich ergab, der Schuppenſchlüſſel ſchließe die
Hinterthür; das wußte ſie nicht. Deſto lebendiger ſtand's
vor ihr, wie Apollonius hereingetreten, wie ihr bei
ſeinem unerwarteten Kommen geweſen, wie ſie voll
Schreck und Scham und doch voll wunderbarer Be¬
ruhigung ſich gefühlt. Apollonius hatte ſogleich den
Arzt, und ſodann Arzneien geholt. Er hatte an dem
Bettchen geſtanden und ſich über das Aennchen gebeugt,
wie jetzt ſie that. Er hatte ſie voll Schmerz angeſehn
und geſagt, Aennchen's Krankheit komme von dem ehe¬
lichen Zerwürfniß, und es werde nicht geſund, höre dieß
nicht auf. Er hatte von den Wundern erzählt, die
einer Mutter möglich würden, und wie ſich der Menſch
bezwingen könne und müſſe. Dann hatte er dem Va¬
lentin noch Manches des Aennchen's wegen anbefohlen;
und war gegangen aus Sorge, der Bruder könnte ſonſt
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[160/0169] vergeblich. Ihr iſt's, als müßte jene wiederkehren und dieſer gehn, wenn ſie ſich nur recht angeſtrengt mühte, dieſes Kehren und Gehn zu bemerken. Und dabei kann ſie doch noch daran denken, wie plötzlich das gekommen iſt, was ſie ſo ſehr beängſtigt. Wie das Aennchen auf einmal im Bette neben ihrem wie mit fremder Stimme aufgeſchrien, dann nicht mehr hat ſprechen können; wie ſie aufgeſprungen und ſich angekleidet; wie ſie in der Angſt den Valentin, und dieſer, ohne ihr Wiſſen, den Apollonius geweckt. Daß der alte Geſell alle Schlüſſel im Hauſe probirt, bis ſich ergab, der Schuppenſchlüſſel ſchließe die Hinterthür; das wußte ſie nicht. Deſto lebendiger ſtand's vor ihr, wie Apollonius hereingetreten, wie ihr bei ſeinem unerwarteten Kommen geweſen, wie ſie voll Schreck und Scham und doch voll wunderbarer Be¬ ruhigung ſich gefühlt. Apollonius hatte ſogleich den Arzt, und ſodann Arzneien geholt. Er hatte an dem Bettchen geſtanden und ſich über das Aennchen gebeugt, wie jetzt ſie that. Er hatte ſie voll Schmerz angeſehn und geſagt, Aennchen's Krankheit komme von dem ehe¬ lichen Zerwürfniß, und es werde nicht geſund, höre dieß nicht auf. Er hatte von den Wundern erzählt, die einer Mutter möglich würden, und wie ſich der Menſch bezwingen könne und müſſe. Dann hatte er dem Va¬ lentin noch Manches des Aennchen's wegen anbefohlen; und war gegangen aus Sorge, der Bruder könnte ſonſt in ſeinem Irrwahn glauben, er wolle ihn auch von dem

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/169>, abgerufen am 19.05.2024.