Gange vom Wohnzimmer bis zum Schuppen hin und her. Es waren in der Nähe Diebstähle vorgekommen; der Gesell stand Wache: Fritz Nettenmair war daheim ein ängstlicher Mann geworden. Die übrigen Leute wunderten sich über das Vertraun Fritz Nettenmair's zu dem Gesellen. Apollonius warnte ihn wiederholt. Freilich! Er hatte Gründe, die Wache nicht zu wün¬ schen, am allerwenigsten von dem Gesellen, der ihm nicht gewogen war. Und das eben war Fritz Netten¬ mair's Grund, dem Gesellen zu vertraun, und auf die Warnungen nicht zu hören. Als Fritz Nettenmair zu dem Bruder gesagt: es thut mir leid, war er des Gesellen gewahr geworden. In seinem Grinsen hatte er gelesen, der Gesell durchschaute ihn. Er wußte, was Fritz Nettenmair fürchtete. Da biß er die Zähne aufeinander; eine halbe Stunde später übertrug er ihm die Wache und die Stellvertretung in Schuppen und Grube. Es kostete wenig Worte. Der Geselle ver¬ stand, was Fritz ihm sagte, daß er sollte; er verstand auch, was Fritz nicht sagte und er dennoch sollte. Fritz Nettenmair traute seiner Redlichkeit im Geschäfte so wenig als Apollonius. Er wußte, der Geselle würde dort mißbrauchen, daß er etwas wußte, was außer ihm und Fritz Nettenmair Niemand wußte und Niemand wissen durfte. Die Unredlichkeit des Gesellen dort haftete ihm für seine Redlichkeit, wo er sie nöthiger brauchte. Es war die Sorglosigkeit fieber¬
Gange vom Wohnzimmer bis zum Schuppen hin und her. Es waren in der Nähe Diebſtähle vorgekommen; der Geſell ſtand Wache: Fritz Nettenmair war daheim ein ängſtlicher Mann geworden. Die übrigen Leute wunderten ſich über das Vertraun Fritz Nettenmair's zu dem Geſellen. Apollonius warnte ihn wiederholt. Freilich! Er hatte Gründe, die Wache nicht zu wün¬ ſchen, am allerwenigſten von dem Geſellen, der ihm nicht gewogen war. Und das eben war Fritz Netten¬ mair's Grund, dem Geſellen zu vertraun, und auf die Warnungen nicht zu hören. Als Fritz Nettenmair zu dem Bruder geſagt: es thut mir leid, war er des Geſellen gewahr geworden. In ſeinem Grinſen hatte er geleſen, der Geſell durchſchaute ihn. Er wußte, was Fritz Nettenmair fürchtete. Da biß er die Zähne aufeinander; eine halbe Stunde ſpäter übertrug er ihm die Wache und die Stellvertretung in Schuppen und Grube. Es koſtete wenig Worte. Der Geſelle ver¬ ſtand, was Fritz ihm ſagte, daß er ſollte; er verſtand auch, was Fritz nicht ſagte und er dennoch ſollte. Fritz Nettenmair traute ſeiner Redlichkeit im Geſchäfte ſo wenig als Apollonius. Er wußte, der Geſelle würde dort mißbrauchen, daß er etwas wußte, was außer ihm und Fritz Nettenmair Niemand wußte und Niemand wiſſen durfte. Die Unredlichkeit des Geſellen dort haftete ihm für ſeine Redlichkeit, wo er ſie nöthiger brauchte. Es war die Sorgloſigkeit fieber¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0125"n="116"/>
Gange vom Wohnzimmer bis zum Schuppen hin und<lb/>
her. Es waren in der Nähe Diebſtähle vorgekommen;<lb/>
der Geſell ſtand Wache: Fritz Nettenmair war daheim<lb/>
ein ängſtlicher Mann geworden. Die übrigen Leute<lb/>
wunderten ſich über das Vertraun Fritz Nettenmair's<lb/>
zu dem Geſellen. Apollonius warnte ihn wiederholt.<lb/>
Freilich! Er hatte Gründe, die Wache nicht zu wün¬<lb/>ſchen, am allerwenigſten von dem Geſellen, der ihm<lb/>
nicht gewogen war. Und das eben war Fritz Netten¬<lb/>
mair's Grund, dem Geſellen zu vertraun, und auf<lb/>
die Warnungen nicht zu hören. Als Fritz Nettenmair<lb/>
zu dem Bruder geſagt: es thut mir leid, war er des<lb/>
Geſellen gewahr geworden. In ſeinem Grinſen hatte<lb/>
er geleſen, der Geſell durchſchaute ihn. Er wußte,<lb/>
was Fritz Nettenmair fürchtete. Da biß er die Zähne<lb/>
aufeinander; eine halbe Stunde ſpäter übertrug er ihm<lb/>
die Wache und die Stellvertretung in Schuppen und<lb/>
Grube. Es koſtete wenig Worte. Der Geſelle ver¬<lb/>ſtand, was Fritz ihm ſagte, daß er ſollte; er verſtand<lb/>
auch, was Fritz nicht ſagte und er dennoch ſollte.<lb/>
Fritz Nettenmair traute ſeiner Redlichkeit im Geſchäfte<lb/>ſo wenig als Apollonius. Er wußte, der Geſelle<lb/>
würde dort mißbrauchen, daß er etwas wußte, was<lb/>
außer ihm und Fritz Nettenmair Niemand wußte und<lb/>
Niemand wiſſen durfte. Die Unredlichkeit des Geſellen<lb/>
dort haftete ihm für ſeine Redlichkeit, wo er ſie<lb/>
nöthiger brauchte. Es war die Sorgloſigkeit fieber¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[116/0125]
Gange vom Wohnzimmer bis zum Schuppen hin und
her. Es waren in der Nähe Diebſtähle vorgekommen;
der Geſell ſtand Wache: Fritz Nettenmair war daheim
ein ängſtlicher Mann geworden. Die übrigen Leute
wunderten ſich über das Vertraun Fritz Nettenmair's
zu dem Geſellen. Apollonius warnte ihn wiederholt.
Freilich! Er hatte Gründe, die Wache nicht zu wün¬
ſchen, am allerwenigſten von dem Geſellen, der ihm
nicht gewogen war. Und das eben war Fritz Netten¬
mair's Grund, dem Geſellen zu vertraun, und auf
die Warnungen nicht zu hören. Als Fritz Nettenmair
zu dem Bruder geſagt: es thut mir leid, war er des
Geſellen gewahr geworden. In ſeinem Grinſen hatte
er geleſen, der Geſell durchſchaute ihn. Er wußte,
was Fritz Nettenmair fürchtete. Da biß er die Zähne
aufeinander; eine halbe Stunde ſpäter übertrug er ihm
die Wache und die Stellvertretung in Schuppen und
Grube. Es koſtete wenig Worte. Der Geſelle ver¬
ſtand, was Fritz ihm ſagte, daß er ſollte; er verſtand
auch, was Fritz nicht ſagte und er dennoch ſollte.
Fritz Nettenmair traute ſeiner Redlichkeit im Geſchäfte
ſo wenig als Apollonius. Er wußte, der Geſelle
würde dort mißbrauchen, daß er etwas wußte, was
außer ihm und Fritz Nettenmair Niemand wußte und
Niemand wiſſen durfte. Die Unredlichkeit des Geſellen
dort haftete ihm für ſeine Redlichkeit, wo er ſie
nöthiger brauchte. Es war die Sorgloſigkeit fieber¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/125>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.