erkennen, aber nicht stark genug, es entbehren zu kön¬ nen. Es war kein kleiner Zuwachs zu der alten Mar¬ ter, und jene wie diese kam ihm von dem Bruder, und nur von ihm!
Wohlig's Anne war öfter dagewesen seit Apollonius Ankunft, und die junge Frau hatte in dem Glauben, der in naiven Gemüthern die natürliche Folge der eige¬ nen Wahrhaftigkeit ist, an ihren gesuchtesten Vorwänden nicht gemäkelt. Heute war das anders. Sie war plötz¬ lich so scharfsichtig geworden, daß der erkannte Vorwand ihr in der Größe eines unverzeihlichen Verbrechens erschien. Das Mädchen war ihr zuwider, das so falsch sein konnte, und sie selbst zu ehrlich, das zu verbergen. Anne suchte den Grund dieses Benehmens in dem Wi¬ derwillen der jungen Frau gegen den Schwager. Es war ja bekannt, die junge Frau gönnte dem armen Menschen die Liebe des Bruders nicht. Sie hatte selbst geäußert, sie würde ihm einen Korb geben, wenn er es wagen würde, sie zum Tanze aufzufordern. Und dem guten Apollonius war es anzusehn, sie ließ ihn des Aufenthalts in seinem Vaterhause nicht froh wer¬ den. Die Gereiztheit machte auch die Anne ehrlich; sie sprach von ihren Gedanken aus, was ausgesprochen werden konnte, ohne den zarten Punkt ihrer Neigung blos zu geben. Christiane mußte den Vorwurf nun auch aus fremdem Munde vernehmen, den schon das eigene Kind ihr gemacht. Das Mädchen ging. Apol¬
erkennen, aber nicht ſtark genug, es entbehren zu kön¬ nen. Es war kein kleiner Zuwachs zu der alten Mar¬ ter, und jene wie dieſe kam ihm von dem Bruder, und nur von ihm!
Wohlig's Anne war öfter dageweſen ſeit Apollonius Ankunft, und die junge Frau hatte in dem Glauben, der in naiven Gemüthern die natürliche Folge der eige¬ nen Wahrhaftigkeit iſt, an ihren geſuchteſten Vorwänden nicht gemäkelt. Heute war das anders. Sie war plötz¬ lich ſo ſcharfſichtig geworden, daß der erkannte Vorwand ihr in der Größe eines unverzeihlichen Verbrechens erſchien. Das Mädchen war ihr zuwider, das ſo falſch ſein konnte, und ſie ſelbſt zu ehrlich, das zu verbergen. Anne ſuchte den Grund dieſes Benehmens in dem Wi¬ derwillen der jungen Frau gegen den Schwager. Es war ja bekannt, die junge Frau gönnte dem armen Menſchen die Liebe des Bruders nicht. Sie hatte ſelbſt geäußert, ſie würde ihm einen Korb geben, wenn er es wagen würde, ſie zum Tanze aufzufordern. Und dem guten Apollonius war es anzuſehn, ſie ließ ihn des Aufenthalts in ſeinem Vaterhauſe nicht froh wer¬ den. Die Gereiztheit machte auch die Anne ehrlich; ſie ſprach von ihren Gedanken aus, was ausgeſprochen werden konnte, ohne den zarten Punkt ihrer Neigung blos zu geben. Chriſtiane mußte den Vorwurf nun auch aus fremdem Munde vernehmen, den ſchon das eigene Kind ihr gemacht. Das Mädchen ging. Apol¬
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erkennen, aber nicht ſtark genug, es entbehren zu kön¬
nen. Es war kein kleiner Zuwachs zu der alten Mar¬
ter, und jene wie dieſe kam ihm von dem Bruder, und
nur von ihm!
Wohlig's Anne war öfter dageweſen ſeit Apollonius
Ankunft, und die junge Frau hatte in dem Glauben,
der in naiven Gemüthern die natürliche Folge der eige¬
nen Wahrhaftigkeit iſt, an ihren geſuchteſten Vorwänden
nicht gemäkelt. Heute war das anders. Sie war plötz¬
lich ſo ſcharfſichtig geworden, daß der erkannte Vorwand
ihr in der Größe eines unverzeihlichen Verbrechens
erſchien. Das Mädchen war ihr zuwider, das ſo falſch
ſein konnte, und ſie ſelbſt zu ehrlich, das zu verbergen.
Anne ſuchte den Grund dieſes Benehmens in dem Wi¬
derwillen der jungen Frau gegen den Schwager. Es
war ja bekannt, die junge Frau gönnte dem armen
Menſchen die Liebe des Bruders nicht. Sie hatte ſelbſt
geäußert, ſie würde ihm einen Korb geben, wenn er
es wagen würde, ſie zum Tanze aufzufordern. Und
dem guten Apollonius war es anzuſehn, ſie ließ ihn
des Aufenthalts in ſeinem Vaterhauſe nicht froh wer¬
den. Die Gereiztheit machte auch die Anne ehrlich; ſie
ſprach von ihren Gedanken aus, was ausgeſprochen
werden konnte, ohne den zarten Punkt ihrer Neigung
blos zu geben. Chriſtiane mußte den Vorwurf nun
auch aus fremdem Munde vernehmen, den ſchon das
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/104>, abgerufen am 28.11.2024.
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