Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

bösen Weibe machten, als welches sie verrufen war, war freilich nun schon lange todt, doch sollte sie als Geist noch umgehen und die Leute schrecken. Ihr Häuschen hatte keinen Erben; es verfiel, und die Wenigen, die es gewagt, in das Innere zu dringen, wußten Schauerliches zu berichten. Auch die Rose-Marie wäre gerne schon in der Thüre wieder umgewandt, einen so unheimlichen Eindruck machte der Anblick des verfallenen Raumes auf sie. Dazu kam, daß sie beim Eintreten ein seltsames Geräusch zu hören glaubte, ein Huschen, Rauschen und Dielenknacken, welches sie auf den Gedanken brachte, daß irgend ein Thier, durch sie verjagt, sein Lager in der verlassenen Wohnung aufgeschlagen haben könne. Aber ehe sie sich noch entschließen, konnte, welches Uebel dem andern vorzuziehen sei, brach die Schleuse, die den Regen so lange gefangen hielt, und er fiel, nicht wie sonst in Tropfen, sondern wie ein umgestürztes Meer herab. Unwillkürlich übersprang sie nun die Schwelle, und in demselben Augenblick warf ein Windstoß die Thüre so gewaltsam hinter ihr ins Schloß, daß sie deutlich hörte, wie es einschlug, und nun so wenig mehr zurück konnte, als sie sich vorwärts wagte. So fiel sie mehr, als daß sie sich niedersetzte, auf die kleine, morsche Fensterbank nahe dem Eingang hin, wobei sie die Augen schloß und die Hände krampfhaft im Schooße faltete.

Wie lange sie so gesessen hatte, regungslos, wie eine Todte, wußte sie wohl selber nicht. Ihr Gesicht war weiß, wie die Kalkwand, an der es lehnte, und so

bösen Weibe machten, als welches sie verrufen war, war freilich nun schon lange todt, doch sollte sie als Geist noch umgehen und die Leute schrecken. Ihr Häuschen hatte keinen Erben; es verfiel, und die Wenigen, die es gewagt, in das Innere zu dringen, wußten Schauerliches zu berichten. Auch die Rose-Marie wäre gerne schon in der Thüre wieder umgewandt, einen so unheimlichen Eindruck machte der Anblick des verfallenen Raumes auf sie. Dazu kam, daß sie beim Eintreten ein seltsames Geräusch zu hören glaubte, ein Huschen, Rauschen und Dielenknacken, welches sie auf den Gedanken brachte, daß irgend ein Thier, durch sie verjagt, sein Lager in der verlassenen Wohnung aufgeschlagen haben könne. Aber ehe sie sich noch entschließen, konnte, welches Uebel dem andern vorzuziehen sei, brach die Schleuse, die den Regen so lange gefangen hielt, und er fiel, nicht wie sonst in Tropfen, sondern wie ein umgestürztes Meer herab. Unwillkürlich übersprang sie nun die Schwelle, und in demselben Augenblick warf ein Windstoß die Thüre so gewaltsam hinter ihr ins Schloß, daß sie deutlich hörte, wie es einschlug, und nun so wenig mehr zurück konnte, als sie sich vorwärts wagte. So fiel sie mehr, als daß sie sich niedersetzte, auf die kleine, morsche Fensterbank nahe dem Eingang hin, wobei sie die Augen schloß und die Hände krampfhaft im Schooße faltete.

Wie lange sie so gesessen hatte, regungslos, wie eine Todte, wußte sie wohl selber nicht. Ihr Gesicht war weiß, wie die Kalkwand, an der es lehnte, und so

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="0">
        <p><pb facs="#f0038"/>
bösen Weibe machten, als welches sie verrufen war, war freilich nun schon lange todt, doch      sollte sie als Geist noch umgehen und die Leute schrecken. Ihr Häuschen hatte keinen Erben; es      verfiel, und die Wenigen, die es gewagt, in das Innere zu dringen, wußten Schauerliches zu      berichten. Auch die Rose-Marie wäre gerne schon in der Thüre wieder umgewandt, einen so      unheimlichen Eindruck machte der Anblick des verfallenen Raumes auf sie. Dazu kam, daß sie beim      Eintreten ein seltsames Geräusch zu hören glaubte, ein Huschen, Rauschen und Dielenknacken,      welches sie auf den Gedanken brachte, daß irgend ein Thier, durch sie verjagt, sein Lager in      der verlassenen Wohnung aufgeschlagen haben könne. Aber ehe sie sich noch entschließen, konnte,      welches Uebel dem andern vorzuziehen sei, brach die Schleuse, die den Regen so lange gefangen      hielt, und er fiel, nicht wie sonst in Tropfen, sondern wie ein umgestürztes Meer herab.      Unwillkürlich übersprang sie nun die Schwelle, und in demselben Augenblick warf ein Windstoß      die Thüre so gewaltsam hinter ihr ins Schloß, daß sie deutlich hörte, wie es einschlug, und nun      so wenig mehr zurück konnte, als sie sich vorwärts wagte. So fiel sie mehr, als daß sie sich      niedersetzte, auf die kleine, morsche Fensterbank nahe dem Eingang hin, wobei sie die Augen      schloß und die Hände krampfhaft im Schooße faltete.</p><lb/>
        <p>Wie lange sie so gesessen hatte, regungslos, wie eine Todte, wußte sie wohl selber nicht. Ihr      Gesicht war weiß, wie die Kalkwand, an der es lehnte, und so<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] bösen Weibe machten, als welches sie verrufen war, war freilich nun schon lange todt, doch sollte sie als Geist noch umgehen und die Leute schrecken. Ihr Häuschen hatte keinen Erben; es verfiel, und die Wenigen, die es gewagt, in das Innere zu dringen, wußten Schauerliches zu berichten. Auch die Rose-Marie wäre gerne schon in der Thüre wieder umgewandt, einen so unheimlichen Eindruck machte der Anblick des verfallenen Raumes auf sie. Dazu kam, daß sie beim Eintreten ein seltsames Geräusch zu hören glaubte, ein Huschen, Rauschen und Dielenknacken, welches sie auf den Gedanken brachte, daß irgend ein Thier, durch sie verjagt, sein Lager in der verlassenen Wohnung aufgeschlagen haben könne. Aber ehe sie sich noch entschließen, konnte, welches Uebel dem andern vorzuziehen sei, brach die Schleuse, die den Regen so lange gefangen hielt, und er fiel, nicht wie sonst in Tropfen, sondern wie ein umgestürztes Meer herab. Unwillkürlich übersprang sie nun die Schwelle, und in demselben Augenblick warf ein Windstoß die Thüre so gewaltsam hinter ihr ins Schloß, daß sie deutlich hörte, wie es einschlug, und nun so wenig mehr zurück konnte, als sie sich vorwärts wagte. So fiel sie mehr, als daß sie sich niedersetzte, auf die kleine, morsche Fensterbank nahe dem Eingang hin, wobei sie die Augen schloß und die Hände krampfhaft im Schooße faltete. Wie lange sie so gesessen hatte, regungslos, wie eine Todte, wußte sie wohl selber nicht. Ihr Gesicht war weiß, wie die Kalkwand, an der es lehnte, und so

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:36:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:36:23Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/38
Zitationshilfe: Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/38>, abgerufen am 22.11.2024.