Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.hielt. Nun ist es aus -- ganz aus zwischen uns, hatte er gerufen und dazu die geballte Faust zum Himmel und zornige Thränen aus dem Auge geschüttelt. Daß sie lachen konnte, wo er, ein Mann, geweint! Mit Studenten scherzen, wo so eben doch dieselbe Mahnung an ihr Ohr geschlagen hatte, wie an das seine: "Und droben am Tage Vom jüngsten Gericht --" das nahm Alles, was noch für sie in seinem Herzen sprach, mit sich fort. Hatte er sich erst vorgenommen, ihr noch einmal die Hand zur Verständigung zu bieten, ehe es zu spät und keine Rückkehr möglich war, so erröthete er jetzt in wilder Scham über den Gedanken. Er schlug sich vor die Stirne, daß es dröhnte. Narr, der er war, sich um ihretwillen auch noch aufzuhalten! Dennoch setzte er seinen Weg auch jetzt nicht sogleich fort, sondern blieb wie festgebannt in seiner Stellung, die düsterflammenden Augen hinaus auf die staubige Landstraße gerichtet, wo er die Rose-Marie von dem Studenten Abschied nehmen und, das Gesicht dem Walde zugekehrt, demselben nah und näher kommen sah. Immer wilder rollten seine Augen dem langsam schreitenden Weibe entgegen, immer fester legte sich seine Hand um den Stamm der jungen Birke, seine Schläfe pochten, die Stirnader schwoll an, und auf dem Gesichte, das mitunter ein unheimliches Zucken überflog, wechselte fieberhafte Röthe mit einer wahren Leichenfarbe ab. Die hielt. Nun ist es aus — ganz aus zwischen uns, hatte er gerufen und dazu die geballte Faust zum Himmel und zornige Thränen aus dem Auge geschüttelt. Daß sie lachen konnte, wo er, ein Mann, geweint! Mit Studenten scherzen, wo so eben doch dieselbe Mahnung an ihr Ohr geschlagen hatte, wie an das seine: „Und droben am Tage Vom jüngsten Gericht —“ das nahm Alles, was noch für sie in seinem Herzen sprach, mit sich fort. Hatte er sich erst vorgenommen, ihr noch einmal die Hand zur Verständigung zu bieten, ehe es zu spät und keine Rückkehr möglich war, so erröthete er jetzt in wilder Scham über den Gedanken. Er schlug sich vor die Stirne, daß es dröhnte. Narr, der er war, sich um ihretwillen auch noch aufzuhalten! Dennoch setzte er seinen Weg auch jetzt nicht sogleich fort, sondern blieb wie festgebannt in seiner Stellung, die düsterflammenden Augen hinaus auf die staubige Landstraße gerichtet, wo er die Rose-Marie von dem Studenten Abschied nehmen und, das Gesicht dem Walde zugekehrt, demselben nah und näher kommen sah. Immer wilder rollten seine Augen dem langsam schreitenden Weibe entgegen, immer fester legte sich seine Hand um den Stamm der jungen Birke, seine Schläfe pochten, die Stirnader schwoll an, und auf dem Gesichte, das mitunter ein unheimliches Zucken überflog, wechselte fieberhafte Röthe mit einer wahren Leichenfarbe ab. Die <TEI> <text> <body> <div n="0"> <p><pb facs="#f0023"/> hielt. Nun ist es aus — ganz aus zwischen uns, hatte er gerufen und dazu die geballte Faust zum Himmel und zornige Thränen aus dem Auge geschüttelt. Daß sie lachen konnte, wo er, ein Mann, geweint! Mit Studenten scherzen, wo so eben doch dieselbe Mahnung an ihr Ohr geschlagen hatte, wie an das seine:</p><lb/> <lg> <l>„Und droben am Tage</l> <l>Vom jüngsten Gericht —“</l> </lg> <p>das nahm Alles, was noch für sie in seinem Herzen sprach, mit sich fort.</p><lb/> <p>Hatte er sich erst vorgenommen, ihr noch einmal die Hand zur Verständigung zu bieten, ehe es zu spät und keine Rückkehr möglich war, so erröthete er jetzt in wilder Scham über den Gedanken. Er schlug sich vor die Stirne, daß es dröhnte. Narr, der er war, sich um ihretwillen auch noch aufzuhalten! Dennoch setzte er seinen Weg auch jetzt nicht sogleich fort, sondern blieb wie festgebannt in seiner Stellung, die düsterflammenden Augen hinaus auf die staubige Landstraße gerichtet, wo er die Rose-Marie von dem Studenten Abschied nehmen und, das Gesicht dem Walde zugekehrt, demselben nah und näher kommen sah.</p><lb/> <p>Immer wilder rollten seine Augen dem langsam schreitenden Weibe entgegen, immer fester legte sich seine Hand um den Stamm der jungen Birke, seine Schläfe pochten, die Stirnader schwoll an, und auf dem Gesichte, das mitunter ein unheimliches Zucken überflog, wechselte fieberhafte Röthe mit einer wahren Leichenfarbe ab. Die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
hielt. Nun ist es aus — ganz aus zwischen uns, hatte er gerufen und dazu die geballte Faust zum Himmel und zornige Thränen aus dem Auge geschüttelt. Daß sie lachen konnte, wo er, ein Mann, geweint! Mit Studenten scherzen, wo so eben doch dieselbe Mahnung an ihr Ohr geschlagen hatte, wie an das seine:
„Und droben am Tage Vom jüngsten Gericht —“
das nahm Alles, was noch für sie in seinem Herzen sprach, mit sich fort.
Hatte er sich erst vorgenommen, ihr noch einmal die Hand zur Verständigung zu bieten, ehe es zu spät und keine Rückkehr möglich war, so erröthete er jetzt in wilder Scham über den Gedanken. Er schlug sich vor die Stirne, daß es dröhnte. Narr, der er war, sich um ihretwillen auch noch aufzuhalten! Dennoch setzte er seinen Weg auch jetzt nicht sogleich fort, sondern blieb wie festgebannt in seiner Stellung, die düsterflammenden Augen hinaus auf die staubige Landstraße gerichtet, wo er die Rose-Marie von dem Studenten Abschied nehmen und, das Gesicht dem Walde zugekehrt, demselben nah und näher kommen sah.
Immer wilder rollten seine Augen dem langsam schreitenden Weibe entgegen, immer fester legte sich seine Hand um den Stamm der jungen Birke, seine Schläfe pochten, die Stirnader schwoll an, und auf dem Gesichte, das mitunter ein unheimliches Zucken überflog, wechselte fieberhafte Röthe mit einer wahren Leichenfarbe ab. Die
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Zitationshilfe: | Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/23>, abgerufen am 27.07.2024. |