Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite

über die himmlische Perle.
einen Blick sehen lasset in ihrer Schönheit, dardurch die Seel frö-
lich und fast lüstern wird nach so lieblicher Seeligkeit, hernach, wann
sie meint, sie habs, so verbirgt sichs wieder, und muß die Seel erst
innen werden, daß es ihr nur gezeigt worden, daß aber das Wie-
derspiel noch in ihr ist, und daß sie das erkannte erst mit Schmertzen
und vielem Ringen erobern muß: Eben wie ein Vatter, der zeigt
seinem Kind ein schön Kleinod, das Kind jauchzet darüber und will
es im Huy wegnehmen, der Vatter schließt die Hand wieder zu, den
Ernst des Kindes nach dem Kleinod zu schärpffen, da gehet Weinen
und Lachen, Schreyen und Jauchzen durch einander, nachdem das
Kind Hoffnung hat und etwann mit mühsamer Aufhebung eines Fin-
gers etwas darvon ersiehet, oder durch das abermahlige Zuthun der
Hand alles wieder aus dem Gesicht verlieret, biß es endlich so sehr
müd wird, daß es weinet, dem Vatter zu Fussen fallet und klaget:
Ach mein hertzlieber Abba! Warum habt ihr mir doch das schöne
Kleinod gespieglet, wolltet ihr dann nur eure Kurtzweil haben mich
zu plagen um mir eine vergebene schmertzliche Freude zu machen! Ach
gebet ihr mirs nicht aus freyer vätterlicher Liebes-Gunst und Brunst,
so bekomme ichs nimmermehr.

Eben also must du liebe Seele nicht ablassen noch dich zur Ruhe
begeben, biß das Himmelreich wahrhafftig in dir ist, und GOtt in
dir regieret, wie er alle die regiert hat, die zu ihm in Himmel kom-
men sind: Biß JEsus würcklich und wesentlich in dir wohnet, daß
es kein süsser Traum mehr ist, sondern du den König Christum war-
hafftig in dir hast samt allen Gütern seines Königreichs, Vergebung
der Sünden, Sieg der Welt, Haß dein selbst, Lieb und Lust zum
Creutz, Eckel an Menschen-Ruhm und so fort. Biß in dir mit
Macht blühet hertzliches Umarmen und Segnen der Feinden und Lä-
sterer, Jauchzen in Schmach, Kranckheit, Schmertzen, grosses
Rühmen, Trauen und Bauen auf Sachen hin, die niemand gesehen
hat noch achtet, und was der Raritäten und Wunder-Gewächsen
mehr sind, so diß Reich hat, welches allzumahl herrliche Sa-
chen und von niemand nach Würde geschätzt werden können, und
auch nicht ohne viel Sehnen, Ubung, Leiden und Bedrangnuß in
der Krafft und im Wesen erlanget werden, dann es wird ein unab-

läßi-
P p p p p

uͤber die himmliſche Perle.
einen Blick ſehen laſſet in ihrer Schoͤnheit, dardurch die Seel froͤ-
lich und faſt luͤſtern wird nach ſo lieblicher Seeligkeit, hernach, wann
ſie meint, ſie habs, ſo verbirgt ſichs wieder, und muß die Seel erſt
innen werden, daß es ihr nur gezeigt worden, daß aber das Wie-
derſpiel noch in ihr iſt, und daß ſie das erkannte erſt mit Schmertzen
und vielem Ringen erobern muß: Eben wie ein Vatter, der zeigt
ſeinem Kind ein ſchoͤn Kleinod, das Kind jauchzet daruͤber und will
es im Huy wegnehmen, der Vatter ſchließt die Hand wieder zu, den
Ernſt des Kindes nach dem Kleinod zu ſchaͤrpffen, da gehet Weinen
und Lachen, Schreyen und Jauchzen durch einander, nachdem das
Kind Hoffnung hat und etwann mit muͤhſamer Aufhebung eines Fin-
gers etwas darvon erſiehet, oder durch das abermahlige Zuthun der
Hand alles wieder aus dem Geſicht verlieret, biß es endlich ſo ſehr
muͤd wird, daß es weinet, dem Vatter zu Fuſſen fallet und klaget:
Ach mein hertzlieber Abba! Warum habt ihr mir doch das ſchoͤne
Kleinod geſpieglet, wolltet ihr dann nur eure Kurtzweil haben mich
zu plagen um mir eine vergebene ſchmertzliche Freude zu machen! Ach
gebet ihr mirs nicht aus freyer vaͤtterlicher Liebes-Gunſt und Brunſt,
ſo bekomme ichs nimmermehr.

Eben alſo muſt du liebe Seele nicht ablaſſen noch dich zur Ruhe
begeben, biß das Himmelreich wahrhafftig in dir iſt, und GOtt in
dir regieret, wie er alle die regiert hat, die zu ihm in Himmel kom-
men ſind: Biß JEſus wuͤrcklich und weſentlich in dir wohnet, daß
es kein ſuͤſſer Traum mehr iſt, ſondern du den Koͤnig Chriſtum war-
hafftig in dir haſt ſamt allen Guͤtern ſeines Koͤnigreichs, Vergebung
der Suͤnden, Sieg der Welt, Haß dein ſelbſt, Lieb und Luſt zum
Creutz, Eckel an Menſchen-Ruhm und ſo fort. Biß in dir mit
Macht bluͤhet hertzliches Umarmen und Segnen der Feinden und Laͤ-
ſterer, Jauchzen in Schmach, Kranckheit, Schmertzen, groſſes
Ruͤhmen, Trauen und Bauen auf Sachen hin, die niemand geſehen
hat noch achtet, und was der Raritaͤten und Wunder-Gewaͤchſen
mehr ſind, ſo diß Reich hat, welches allzumahl herrliche Sa-
chen und von niemand nach Wuͤrde geſchaͤtzt werden koͤnnen, und
auch nicht ohne viel Sehnen, Ubung, Leiden und Bedrangnuß in
der Krafft und im Weſen erlanget werden, dann es wird ein unab-

laͤßi-
P p p p p
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0945" n="849"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">u&#x0364;ber die himmli&#x017F;che Perle.</hi></fw><lb/>
einen Blick &#x017F;ehen la&#x017F;&#x017F;et in ihrer Scho&#x0364;nheit, dardurch die Seel fro&#x0364;-<lb/>
lich und fa&#x017F;t lu&#x0364;&#x017F;tern wird nach &#x017F;o lieblicher Seeligkeit, hernach, wann<lb/>
&#x017F;ie meint, &#x017F;ie habs, &#x017F;o verbirgt &#x017F;ichs wieder, und muß die Seel er&#x017F;t<lb/>
innen werden, daß es ihr nur gezeigt worden, daß aber das Wie-<lb/>
der&#x017F;piel noch in ihr i&#x017F;t, und daß &#x017F;ie das erkannte er&#x017F;t mit Schmertzen<lb/>
und vielem Ringen erobern muß: Eben wie ein Vatter, der zeigt<lb/>
&#x017F;einem Kind ein &#x017F;cho&#x0364;n Kleinod, das Kind jauchzet daru&#x0364;ber und will<lb/>
es im Huy wegnehmen, der Vatter &#x017F;chließt die Hand wieder zu, den<lb/>
Ern&#x017F;t des Kindes nach dem Kleinod zu &#x017F;cha&#x0364;rpffen, da gehet Weinen<lb/>
und Lachen, Schreyen und Jauchzen durch einander, nachdem das<lb/>
Kind Hoffnung hat und etwann mit mu&#x0364;h&#x017F;amer Aufhebung eines Fin-<lb/>
gers etwas darvon er&#x017F;iehet, oder durch das abermahlige Zuthun der<lb/>
Hand alles wieder aus dem Ge&#x017F;icht verlieret, biß es endlich &#x017F;o &#x017F;ehr<lb/>
mu&#x0364;d wird, daß es weinet, dem Vatter zu Fu&#x017F;&#x017F;en fallet und klaget:<lb/>
Ach mein hertzlieber Abba! Warum habt ihr mir doch das &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Kleinod ge&#x017F;pieglet, wolltet ihr dann nur eure Kurtzweil haben mich<lb/>
zu plagen um mir eine vergebene &#x017F;chmertzliche Freude zu machen! Ach<lb/>
gebet ihr mirs nicht aus freyer va&#x0364;tterlicher Liebes-Gun&#x017F;t und Brun&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o bekomme ichs nimmermehr.</p><lb/>
          <p>Eben al&#x017F;o mu&#x017F;t du liebe Seele nicht abla&#x017F;&#x017F;en noch dich zur Ruhe<lb/>
begeben, biß das Himmelreich wahrhafftig in dir i&#x017F;t, und GOtt in<lb/>
dir regieret, wie er alle die regiert hat, die zu ihm in Himmel kom-<lb/>
men &#x017F;ind: Biß JE&#x017F;us wu&#x0364;rcklich und we&#x017F;entlich in dir wohnet, daß<lb/>
es kein &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;er Traum mehr i&#x017F;t, &#x017F;ondern du den Ko&#x0364;nig Chri&#x017F;tum war-<lb/>
hafftig in dir ha&#x017F;t &#x017F;amt allen Gu&#x0364;tern &#x017F;eines Ko&#x0364;nigreichs, Vergebung<lb/>
der Su&#x0364;nden, Sieg der Welt, Haß dein &#x017F;elb&#x017F;t, Lieb und Lu&#x017F;t zum<lb/>
Creutz, Eckel an Men&#x017F;chen-Ruhm und &#x017F;o fort. Biß in dir mit<lb/>
Macht blu&#x0364;het hertzliches Umarmen und Segnen der Feinden und La&#x0364;-<lb/>
&#x017F;terer, Jauchzen in Schmach, Kranckheit, Schmertzen, gro&#x017F;&#x017F;es<lb/>
Ru&#x0364;hmen, Trauen und Bauen auf Sachen hin, die niemand ge&#x017F;ehen<lb/>
hat noch achtet, und was der Rarita&#x0364;ten und Wunder-Gewa&#x0364;ch&#x017F;en<lb/>
mehr &#x017F;ind, &#x017F;o diß Reich hat, welches allzumahl herrliche Sa-<lb/>
chen und von niemand nach Wu&#x0364;rde ge&#x017F;cha&#x0364;tzt werden ko&#x0364;nnen, und<lb/>
auch nicht ohne viel Sehnen, Ubung, Leiden und Bedrangnuß in<lb/>
der Krafft und im We&#x017F;en erlanget werden, dann es wird ein unab-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P p p p p</fw><fw place="bottom" type="catch">la&#x0364;ßi-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[849/0945] uͤber die himmliſche Perle. einen Blick ſehen laſſet in ihrer Schoͤnheit, dardurch die Seel froͤ- lich und faſt luͤſtern wird nach ſo lieblicher Seeligkeit, hernach, wann ſie meint, ſie habs, ſo verbirgt ſichs wieder, und muß die Seel erſt innen werden, daß es ihr nur gezeigt worden, daß aber das Wie- derſpiel noch in ihr iſt, und daß ſie das erkannte erſt mit Schmertzen und vielem Ringen erobern muß: Eben wie ein Vatter, der zeigt ſeinem Kind ein ſchoͤn Kleinod, das Kind jauchzet daruͤber und will es im Huy wegnehmen, der Vatter ſchließt die Hand wieder zu, den Ernſt des Kindes nach dem Kleinod zu ſchaͤrpffen, da gehet Weinen und Lachen, Schreyen und Jauchzen durch einander, nachdem das Kind Hoffnung hat und etwann mit muͤhſamer Aufhebung eines Fin- gers etwas darvon erſiehet, oder durch das abermahlige Zuthun der Hand alles wieder aus dem Geſicht verlieret, biß es endlich ſo ſehr muͤd wird, daß es weinet, dem Vatter zu Fuſſen fallet und klaget: Ach mein hertzlieber Abba! Warum habt ihr mir doch das ſchoͤne Kleinod geſpieglet, wolltet ihr dann nur eure Kurtzweil haben mich zu plagen um mir eine vergebene ſchmertzliche Freude zu machen! Ach gebet ihr mirs nicht aus freyer vaͤtterlicher Liebes-Gunſt und Brunſt, ſo bekomme ichs nimmermehr. Eben alſo muſt du liebe Seele nicht ablaſſen noch dich zur Ruhe begeben, biß das Himmelreich wahrhafftig in dir iſt, und GOtt in dir regieret, wie er alle die regiert hat, die zu ihm in Himmel kom- men ſind: Biß JEſus wuͤrcklich und weſentlich in dir wohnet, daß es kein ſuͤſſer Traum mehr iſt, ſondern du den Koͤnig Chriſtum war- hafftig in dir haſt ſamt allen Guͤtern ſeines Koͤnigreichs, Vergebung der Suͤnden, Sieg der Welt, Haß dein ſelbſt, Lieb und Luſt zum Creutz, Eckel an Menſchen-Ruhm und ſo fort. Biß in dir mit Macht bluͤhet hertzliches Umarmen und Segnen der Feinden und Laͤ- ſterer, Jauchzen in Schmach, Kranckheit, Schmertzen, groſſes Ruͤhmen, Trauen und Bauen auf Sachen hin, die niemand geſehen hat noch achtet, und was der Raritaͤten und Wunder-Gewaͤchſen mehr ſind, ſo diß Reich hat, welches allzumahl herrliche Sa- chen und von niemand nach Wuͤrde geſchaͤtzt werden koͤnnen, und auch nicht ohne viel Sehnen, Ubung, Leiden und Bedrangnuß in der Krafft und im Weſen erlanget werden, dann es wird ein unab- laͤßi- P p p p p

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/945
Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 849. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/945>, abgerufen am 23.11.2024.