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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

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über die himmlische Perle.
Lebens-Jahr seine Unarten bestreiten muß, die man im vierzehenden,
fünffzehenden Jahr in sich einwurtzlen lassen; Jch habe einen Menschen
gekannt, der seine Religion wohl wußte, welcher erst im sechs und ach-
tzigsten Jahr seines Alters Tag und Nacht mit der Verzweifflung rin-
gen mußte, und nicht zu trösten ware wegen einer Sünd, die er im
neunten Jahr und also in der Kindheit begangen, und der sonst eines
frommen Wandels ware. Das heist gar zu lang gewartet, die Perle
der Göttlichen Liebe zu suchen, sein Kleid von allen Flecken zu wä-
schen im Blut des Lamms, und von allen Brand-Mahlen im Gewissen
sich heilen zu lassen von Grund aus, und lebendige Gewißheit der Ver-
gebung aller Sünden aus Christi Mund zu holen: Dann im hohen Al-
ter ist man nicht mehr im Stand sich zu wehren in der Anfechtung, weil
aller Trost plötzlich aus der Gedächtnuß verfladert, und die Anklag und
Verdammung sich wieder bey solchen Leuten einstellt, so bald man von
ihnen weggehet. Diß widerfähret gemeiniglich denen, die den H. Geist
nicht vom Vatter erbetten haben zu steter Einwohnung und Vorbitte.

§. 6. Ach sehet doch ein Handelsmann verläßt sein Heimat, seine liebstenNicht
ernstlich
genug.

Freund, sein Weib und Kind, begibt sich in tausend Ungemach; Mörde-
reyen, verschreyte Oerter und Wälder mögen ihn nicht abschrecken, weder
Araber, Tartarn, noch wilde Thier, Wölff und Bären, Tyger und Dra-
chen; Jst er zu Hause so verläßt er die anmuthigste Spiel und Kurtzweile,
gehet Sans Facon ohne Bedencken von denen anmuthigsten Gesellschaff-
ten hinweg seinen Sachen nach, läßt das Essen stehen, verschmähet
auch die köstlichste Mahlzeiten, ehe er derentwegen etwas zurück liesse
und verabsaumte, leydet Hunger und Durst, Frost und Hitz, ihm ist Tag
und Nacht, Regen und Sonnen gleich, wann er nur in seiner Hand-
lung fort kommen und gewinnen kan.

Sucht man aber JEsum eben so hitzig? Ach welche Faulheit und
Lauigkeit! Es ist vielen grad gleich, ob sie JEsum im Hertzen haben oder
nicht: Sie fragen nicht viel darnach, ob sie dem anklopfenden JEsu
aufthun, ob ihr Hertz von JEsu beleuchtet, durchsuchet, alles Ungeziffer
darinn aufgedecket, das Hertz von dem Schlamm und Unrath gereiniget,
mit himmlischen Gedancken und Begierden durchräuchert, mit Gaben
des H. Geistes geschmücket, mit Glauben, Hoffnung, Liebe als schönen
Tapezereyen gezieret, bekleidet, von JESU bewohnet und beherrschet
werde oder nicht, ach das macht wohl den wenigsten Kummer.

§. 7. Oder ich frage euch: Wer gienge nur eine Tagreise weit zu ei-Beweiß
hiervon.

nem erleuchteten und in GOttes Wegen geübten Menschen, da er geist-

liche
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uͤber die himmliſche Perle.
Lebens-Jahr ſeine Unarten beſtreiten muß, die man im vierzehenden,
fuͤnffzehenden Jahr in ſich einwurtzlen laſſen; Jch habe einen Menſchen
gekannt, der ſeine Religion wohl wußte, welcher erſt im ſechs und ach-
tzigſten Jahr ſeines Alters Tag und Nacht mit der Verzweifflung rin-
gen mußte, und nicht zu troͤſten ware wegen einer Suͤnd, die er im
neunten Jahr und alſo in der Kindheit begangen, und der ſonſt eines
frommen Wandels ware. Das heiſt gar zu lang gewartet, die Perle
der Goͤttlichen Liebe zu ſuchen, ſein Kleid von allen Flecken zu waͤ-
ſchen im Blut des Lamms, und von allen Brand-Mahlen im Gewiſſen
ſich heilen zu laſſen von Grund aus, und lebendige Gewißheit der Ver-
gebung aller Suͤnden aus Chriſti Mund zu holen: Dann im hohen Al-
ter iſt man nicht mehr im Stand ſich zu wehren in der Anfechtung, weil
aller Troſt ploͤtzlich aus der Gedaͤchtnuß verfladert, und die Anklag und
Verdammung ſich wieder bey ſolchen Leuten einſtellt, ſo bald man von
ihnen weggehet. Diß widerfaͤhret gemeiniglich denen, die den H. Geiſt
nicht vom Vatter erbetten haben zu ſteter Einwohnung und Vorbitte.

§. 6. Ach ſehet doch ein Handelsmann verlaͤßt ſein Heimat, ſeine liebſtenNicht
ernſtlich
genug.

Freund, ſein Weib und Kind, begibt ſich in tauſend Ungemach; Moͤrde-
reyen, verſchreyte Oerter und Waͤlder moͤgen ihn nicht abſchrecken, weder
Araber, Tartarn, noch wilde Thier, Woͤlff und Baͤren, Tyger und Dra-
chen; Jſt er zu Hauſe ſo verlaͤßt er die anmuthigſte Spiel und Kurtzweile,
gehet Sans Facon ohne Bedencken von denen anmuthigſten Geſellſchaff-
ten hinweg ſeinen Sachen nach, laͤßt das Eſſen ſtehen, verſchmaͤhet
auch die koͤſtlichſte Mahlzeiten, ehe er derentwegen etwas zuruͤck lieſſe
und verabſaumte, leydet Hunger und Durſt, Froſt und Hitz, ihm iſt Tag
und Nacht, Regen und Sonnen gleich, wann er nur in ſeiner Hand-
lung fort kommen und gewinnen kan.

Sucht man aber JEſum eben ſo hitzig? Ach welche Faulheit und
Lauigkeit! Es iſt vielen grad gleich, ob ſie JEſum im Hertzen haben oder
nicht: Sie fragen nicht viel darnach, ob ſie dem anklopfenden JEſu
aufthun, ob ihr Hertz von JEſu beleuchtet, durchſuchet, alles Ungeziffer
darinn aufgedecket, das Hertz von dem Schlam̃ und Unrath gereiniget,
mit himmliſchen Gedancken und Begierden durchraͤuchert, mit Gaben
des H. Geiſtes geſchmuͤcket, mit Glauben, Hoffnung, Liebe als ſchoͤnen
Tapezereyen gezieret, bekleidet, von JESU bewohnet und beherrſchet
werde oder nicht, ach das macht wohl den wenigſten Kummer.

§. 7. Oder ich frage euch: Wer gienge nur eine Tagreiſe weit zu ei-Beweiß
hiervon.

nem erleuchteten und in GOttes Wegen geuͤbten Menſchen, da er geiſt-

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[835/0931] uͤber die himmliſche Perle. Lebens-Jahr ſeine Unarten beſtreiten muß, die man im vierzehenden, fuͤnffzehenden Jahr in ſich einwurtzlen laſſen; Jch habe einen Menſchen gekannt, der ſeine Religion wohl wußte, welcher erſt im ſechs und ach- tzigſten Jahr ſeines Alters Tag und Nacht mit der Verzweifflung rin- gen mußte, und nicht zu troͤſten ware wegen einer Suͤnd, die er im neunten Jahr und alſo in der Kindheit begangen, und der ſonſt eines frommen Wandels ware. Das heiſt gar zu lang gewartet, die Perle der Goͤttlichen Liebe zu ſuchen, ſein Kleid von allen Flecken zu waͤ- ſchen im Blut des Lamms, und von allen Brand-Mahlen im Gewiſſen ſich heilen zu laſſen von Grund aus, und lebendige Gewißheit der Ver- gebung aller Suͤnden aus Chriſti Mund zu holen: Dann im hohen Al- ter iſt man nicht mehr im Stand ſich zu wehren in der Anfechtung, weil aller Troſt ploͤtzlich aus der Gedaͤchtnuß verfladert, und die Anklag und Verdammung ſich wieder bey ſolchen Leuten einſtellt, ſo bald man von ihnen weggehet. Diß widerfaͤhret gemeiniglich denen, die den H. Geiſt nicht vom Vatter erbetten haben zu ſteter Einwohnung und Vorbitte. §. 6. Ach ſehet doch ein Handelsmann verlaͤßt ſein Heimat, ſeine liebſten Freund, ſein Weib und Kind, begibt ſich in tauſend Ungemach; Moͤrde- reyen, verſchreyte Oerter und Waͤlder moͤgen ihn nicht abſchrecken, weder Araber, Tartarn, noch wilde Thier, Woͤlff und Baͤren, Tyger und Dra- chen; Jſt er zu Hauſe ſo verlaͤßt er die anmuthigſte Spiel und Kurtzweile, gehet Sans Facon ohne Bedencken von denen anmuthigſten Geſellſchaff- ten hinweg ſeinen Sachen nach, laͤßt das Eſſen ſtehen, verſchmaͤhet auch die koͤſtlichſte Mahlzeiten, ehe er derentwegen etwas zuruͤck lieſſe und verabſaumte, leydet Hunger und Durſt, Froſt und Hitz, ihm iſt Tag und Nacht, Regen und Sonnen gleich, wann er nur in ſeiner Hand- lung fort kommen und gewinnen kan. Nicht ernſtlich genug. Sucht man aber JEſum eben ſo hitzig? Ach welche Faulheit und Lauigkeit! Es iſt vielen grad gleich, ob ſie JEſum im Hertzen haben oder nicht: Sie fragen nicht viel darnach, ob ſie dem anklopfenden JEſu aufthun, ob ihr Hertz von JEſu beleuchtet, durchſuchet, alles Ungeziffer darinn aufgedecket, das Hertz von dem Schlam̃ und Unrath gereiniget, mit himmliſchen Gedancken und Begierden durchraͤuchert, mit Gaben des H. Geiſtes geſchmuͤcket, mit Glauben, Hoffnung, Liebe als ſchoͤnen Tapezereyen gezieret, bekleidet, von JESU bewohnet und beherrſchet werde oder nicht, ach das macht wohl den wenigſten Kummer. §. 7. Oder ich frage euch: Wer gienge nur eine Tagreiſe weit zu ei- nem erleuchteten und in GOttes Wegen geuͤbten Menſchen, da er geiſt- liche Beweiß hiervon. N n n n n 2

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Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 835. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/931>, abgerufen am 23.11.2024.