den andern Nachbaren dargegen liebe, der betriegt sich selbst: Weil er nicht achtet, daß GOtt nicht bloß sagt, du sollt lieben, sondern daß er verbietet, du sollt nicht hassen, damit niemand ihm Erlaub- nuß nehme einigen Menschen abhold zu seyn, und darum meyne, er habe das ewige Gericht nicht zu förchten, weil ers anderwärtig er- fülle, und etwann einen Freund habe dem er wohl wolle.
Wie leicht man sich vom Sa- tan in der Ein- bildung die man von sich deswegen hat betrü- gen lassen.
§. 9. Ein ander laßt sich beduncken, er liebe die gantze Welt, biß ihm ein Unfall begegnet, und er an einen Stein stoßt, da erwischt ihn alsbald der Verdruß, daß er stolperet, an statt daß er das Bein aufheben, und das Böse mit Gutem überwinden sollte. Ein solcher erlangt die Cron nicht a; dann es ist ihm nicht recht ernst, er ist kein eiferiger Läuffer, sondern ein läßiger Faullentzer, der sicher ist, und GOttes genaue Untersuchung nicht förchtet, als ob GOTT nach der Erfüllung seines Gesetzes nicht fragen und es forderen werde, sondern den trägen Seelen durch die Finger sehen; da doch Himmel und Erden eher vergehen wird, als ein Tüpflein vom Gesetz.
Weilen er sich aber süsse traumen lasset, er könne der Sünd in diesem gebrechlichen Leben nicht loß werden, es habe jedweder seine Unarten und Unvollkommenheiten, so stehet er still, und suchet den Sieg über die Sünd nicht, bleibet leichtsinniger Weise zuruck, ma- chet mit den Cananiteren Fried, und lasset den verbannten Mann bey Leben b; erschrickt nicht, weißt nichts von der Evangelischen De- muth und Armuth des Geistes, seine eigene Frommkeit verblendet ihn, er schmückt mit dem Flickwerck seiner eigenen Wercken. Weil er sich einmahl etwann gar nicht oder nur gelind gerochen, einem anderen etwann Gunst und Hülff bewiesen, aus was vor Absicht das weißt GOTT.
Und damit es ihm ja nicht an jenem Tag vergolten werde, so nimmt er den Lohn hin mit seiner Ruhmrädigkeit, lasset sich den Teu- fel wegen dieses oder jenen guten Wercks hoffärtig machen, wormit er vor GOtt stinckend wird und ewig verworffen; da ihme dann die Augen erst recht aufgehen werden, daß er sehe, wie ein jeder rech- ter Burger Jerusalems, der Friedes-Stadt, heilig, gütig, fried- fertig, barmhertzig seyn müsse, wie der Vatter im Himmel; und wer Hoffnung habe JEsum zu sehen wie er ist, der müsse sich von allem Groll, heimlichem Unwillen, Empfindlichkeit, Verdruß, Unmuth,
Rach-
a 1 Cor. XIX. 24.
b 1 Reg. XX. 42.
Der unter den Stech-Diſteln
den andern Nachbaren dargegen liebe, der betriegt ſich ſelbſt: Weil er nicht achtet, daß GOtt nicht bloß ſagt, du ſollt lieben, ſondern daß er verbietet, du ſollt nicht haſſen, damit niemand ihm Erlaub- nuß nehme einigen Menſchen abhold zu ſeyn, und darum meyne, er habe das ewige Gericht nicht zu foͤrchten, weil ers anderwaͤrtig er- fuͤlle, und etwann einen Freund habe dem er wohl wolle.
Wie leicht man ſich vom Sa- tan in der Ein- bildung die man von ſich deswegen hat betruͤ- gen laſſen.
§. 9. Ein ander laßt ſich beduncken, er liebe die gantze Welt, biß ihm ein Unfall begegnet, und er an einen Stein ſtoßt, da erwiſcht ihn alsbald der Verdruß, daß er ſtolperet, an ſtatt daß er das Bein aufheben, und das Boͤſe mit Gutem uͤberwinden ſollte. Ein ſolcher erlangt die Cron nicht a; dann es iſt ihm nicht recht ernſt, er iſt kein eiferiger Laͤuffer, ſondern ein laͤßiger Faullentzer, der ſicher iſt, und GOttes genaue Unterſuchung nicht foͤrchtet, als ob GOTT nach der Erfuͤllung ſeines Geſetzes nicht fragen und es forderen werde, ſondern den traͤgen Seelen durch die Finger ſehen; da doch Himmel und Erden eher vergehen wird, als ein Tuͤpflein vom Geſetz.
Weilen er ſich aber ſuͤſſe traumen laſſet, er koͤnne der Suͤnd in dieſem gebrechlichen Leben nicht loß werden, es habe jedweder ſeine Unarten und Unvollkommenheiten, ſo ſtehet er ſtill, und ſuchet den Sieg uͤber die Suͤnd nicht, bleibet leichtſinniger Weiſe zuruck, ma- chet mit den Cananiteren Fried, und laſſet den verbannten Mann bey Leben b; erſchrickt nicht, weißt nichts von der Evangeliſchen De- muth und Armuth des Geiſtes, ſeine eigene Frommkeit verblendet ihn, er ſchmuͤckt mit dem Flickwerck ſeiner eigenen Wercken. Weil er ſich einmahl etwann gar nicht oder nur gelind gerochen, einem anderen etwann Gunſt und Huͤlff bewieſen, aus was vor Abſicht das weißt GOTT.
Und damit es ihm ja nicht an jenem Tag vergolten werde, ſo nimmt er den Lohn hin mit ſeiner Ruhmraͤdigkeit, laſſet ſich den Teu- fel wegen dieſes oder jenen guten Wercks hoffaͤrtig machen, wormit er vor GOtt ſtinckend wird und ewig verworffen; da ihme dann die Augen erſt recht aufgehen werden, daß er ſehe, wie ein jeder rech- ter Burger Jeruſalems, der Friedes-Stadt, heilig, guͤtig, fried- fertig, barmhertzig ſeyn muͤſſe, wie der Vatter im Himmel; und wer Hoffnung habe JEſum zu ſehen wie er iſt, der muͤſſe ſich von allem Groll, heimlichem Unwillen, Empfindlichkeit, Verdruß, Unmuth,
Rach-
a 1 Cor. XIX. 24.
b 1 Reg. XX. 42.
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Der unter den Stech-Diſteln
den andern Nachbaren dargegen liebe, der betriegt ſich ſelbſt: Weil
er nicht achtet, daß GOtt nicht bloß ſagt, du ſollt lieben, ſondern
daß er verbietet, du ſollt nicht haſſen, damit niemand ihm Erlaub-
nuß nehme einigen Menſchen abhold zu ſeyn, und darum meyne, er
habe das ewige Gericht nicht zu foͤrchten, weil ers anderwaͤrtig er-
fuͤlle, und etwann einen Freund habe dem er wohl wolle.
§. 9. Ein ander laßt ſich beduncken, er liebe die gantze Welt, biß
ihm ein Unfall begegnet, und er an einen Stein ſtoßt, da erwiſcht
ihn alsbald der Verdruß, daß er ſtolperet, an ſtatt daß er das Bein
aufheben, und das Boͤſe mit Gutem uͤberwinden ſollte. Ein ſolcher
erlangt die Cron nicht a; dann es iſt ihm nicht recht ernſt, er iſt kein
eiferiger Laͤuffer, ſondern ein laͤßiger Faullentzer, der ſicher iſt, und
GOttes genaue Unterſuchung nicht foͤrchtet, als ob GOTT nach
der Erfuͤllung ſeines Geſetzes nicht fragen und es forderen werde,
ſondern den traͤgen Seelen durch die Finger ſehen; da doch Himmel
und Erden eher vergehen wird, als ein Tuͤpflein vom Geſetz.
Weilen er ſich aber ſuͤſſe traumen laſſet, er koͤnne der Suͤnd in
dieſem gebrechlichen Leben nicht loß werden, es habe jedweder ſeine
Unarten und Unvollkommenheiten, ſo ſtehet er ſtill, und ſuchet den
Sieg uͤber die Suͤnd nicht, bleibet leichtſinniger Weiſe zuruck, ma-
chet mit den Cananiteren Fried, und laſſet den verbannten Mann
bey Leben b; erſchrickt nicht, weißt nichts von der Evangeliſchen De-
muth und Armuth des Geiſtes, ſeine eigene Frommkeit verblendet
ihn, er ſchmuͤckt mit dem Flickwerck ſeiner eigenen Wercken. Weil
er ſich einmahl etwann gar nicht oder nur gelind gerochen, einem
anderen etwann Gunſt und Huͤlff bewieſen, aus was vor Abſicht das
weißt GOTT.
Und damit es ihm ja nicht an jenem Tag vergolten werde, ſo
nimmt er den Lohn hin mit ſeiner Ruhmraͤdigkeit, laſſet ſich den Teu-
fel wegen dieſes oder jenen guten Wercks hoffaͤrtig machen, wormit
er vor GOtt ſtinckend wird und ewig verworffen; da ihme dann die
Augen erſt recht aufgehen werden, daß er ſehe, wie ein jeder rech-
ter Burger Jeruſalems, der Friedes-Stadt, heilig, guͤtig, fried-
fertig, barmhertzig ſeyn muͤſſe, wie der Vatter im Himmel; und wer
Hoffnung habe JEſum zu ſehen wie er iſt, der muͤſſe ſich von allem
Groll, heimlichem Unwillen, Empfindlichkeit, Verdruß, Unmuth,
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a 1 Cor. XIX. 24.
b 1 Reg. XX. 42.
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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 692. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/788>, abgerufen am 21.11.2024.
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