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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

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Weyhnachts-Gedancken.
lein, du willt ja auch in mir, in mir eine Gestalt gewinnen! Se-
het und betrachtets mit mir, liebe Brüder und Schwesteren: Der
alle himmlische Fürstenthümmer, Thronen und Herrschafften mit
Majestät, Weißheit und Stärcke erfüllet a, ligt in einer Krip-
pen! Ach! läre aus mein Hertz von allem eigenen Dunckel und
Welt-Gesuch: O süsses JEsulein! damit es dein Wort und Geist
in sich behalte, und deine Krippen sey ewiglich! Der, den der
Himmeln Himmel nicht begreiffen kan, wird in Windlen gewick-
let! Ach du mächtiger Held im Werck des HErrn, winde alle mei-
ne Seelen-Kräfften ein so steiff und vest mit den Banden deiner ge-
nauen Zucht, daß ich mich nicht mehr rege, als in deinem heiligen
Willen, in dein seliges Behagen eigehüllet! Der den weiten hohen
Himmel mit der Hand erspangt b, alles Gold, Silber und Edel-
gestein, Seiden, Marmor und Elfenbein, und was den Pracht der
Reichen und Monarchen ausmachet, geschaffen c; ja der die
Schönheit des obersten Himmels, die Zierde des Paradieses, der
Engeln Freude ist, der empfangt seine Visiten, oder wird besucht
in einem Stall. Ach du grosser König, verschmähe nicht mein ar-
mes Hertz, so zu einem stinckenden Ort von allerhand thierischen
Begierden und Paßionen geworden! Komm du darein, o mein
Vergnügen, so wird es durch deine Gegenwart ein himmlischer Pal-
last! Und eben dardurch bereitet mir deine grosse Barmhertzigkeit
eine Wohnung in des Vatters Hauß, eine Stelle unter den Heil.
Englen. Der in den Wolcken donnert d, ja dem alle Seraphim
ohne Unterlaß zuruffen: heilig! heilig! heilig e! der weynet wie ein
Kind! O daß mir alle Welt-Freud verleidete, deine kindliche Thrä-
nen mein hartes Hertz erweichten, und ich dir deine Göttliche Thrä-
nen mit einem liebreichen Gehorsam des Glaubens abwischte, und
dir in allem Leiden und Trübsal ein stätes Lob-Opffer brächte! O
wie wohl wär es mir! Allein ich erfahre wohl, daß es Kämpffen,
Ringen und Geburts-Schmertzen kostet, ehe ich dahin gelange.
Doch ist kein balsamischer Oel, mein verwundt Hertz kräfftiger zu
besänfftigen, als die Thränen auf deinem holden Angesicht, o du
höchstes Gut! Wann mein Glaub das Kind zu Bethlehem im

Stall
a Coloss. I. 16.
b 2 Reg. VIII.
c Jes. XI. 12. 15. & XLII. 5.
d Ps. XXIX.
e Jes. VI.

Weyhnachts-Gedancken.
lein, du willt ja auch in mir, in mir eine Geſtalt gewinnen! Se-
het und betrachtets mit mir, liebe Bruͤder und Schweſteren: Der
alle himmliſche Fuͤrſtenthuͤmmer, Thronen und Herrſchafften mit
Majeſtaͤt, Weißheit und Staͤrcke erfuͤllet a, ligt in einer Krip-
pen! Ach! laͤre aus mein Hertz von allem eigenen Dunckel und
Welt-Geſuch: O ſuͤſſes JEſulein! damit es dein Wort und Geiſt
in ſich behalte, und deine Krippen ſey ewiglich! Der, den der
Himmeln Himmel nicht begreiffen kan, wird in Windlen gewick-
let! Ach du maͤchtiger Held im Werck des HErrn, winde alle mei-
ne Seelen-Kraͤfften ein ſo ſteiff und veſt mit den Banden deiner ge-
nauen Zucht, daß ich mich nicht mehr rege, als in deinem heiligen
Willen, in dein ſeliges Behagen eigehuͤllet! Der den weiten hohen
Himmel mit der Hand erſpangt b, alles Gold, Silber und Edel-
geſtein, Seiden, Marmor und Elfenbein, und was den Pracht der
Reichen und Monarchen ausmachet, geſchaffen c; ja der die
Schoͤnheit des oberſten Himmels, die Zierde des Paradieſes, der
Engeln Freude iſt, der empfangt ſeine Viſiten, oder wird beſucht
in einem Stall. Ach du groſſer Koͤnig, verſchmaͤhe nicht mein ar-
mes Hertz, ſo zu einem ſtinckenden Ort von allerhand thieriſchen
Begierden und Paßionen geworden! Komm du darein, o mein
Vergnuͤgen, ſo wird es durch deine Gegenwart ein himmliſcher Pal-
laſt! Und eben dardurch bereitet mir deine groſſe Barmhertzigkeit
eine Wohnung in des Vatters Hauß, eine Stelle unter den Heil.
Englen. Der in den Wolcken donnert d, ja dem alle Seraphim
ohne Unterlaß zuruffen: heilig! heilig! heilig e! der weynet wie ein
Kind! O daß mir alle Welt-Freud verleidete, deine kindliche Thraͤ-
nen mein hartes Hertz erweichten, und ich dir deine Goͤttliche Thraͤ-
nen mit einem liebreichen Gehorſam des Glaubens abwiſchte, und
dir in allem Leiden und Truͤbſal ein ſtaͤtes Lob-Opffer braͤchte! O
wie wohl waͤr es mir! Allein ich erfahre wohl, daß es Kaͤmpffen,
Ringen und Geburts-Schmertzen koſtet, ehe ich dahin gelange.
Doch iſt kein balſamiſcher Oel, mein verwundt Hertz kraͤfftiger zu
beſaͤnfftigen, als die Thraͤnen auf deinem holden Angeſicht, o du
hoͤchſtes Gut! Wann mein Glaub das Kind zu Bethlehem im

Stall
a Coloſſ. I. 16.
b 2 Reg. VIII.
c Jeſ. XI. 12. 15. & XLII. 5.
d Pſ. XXIX.
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[610/0706] Weyhnachts-Gedancken. lein, du willt ja auch in mir, in mir eine Geſtalt gewinnen! Se- het und betrachtets mit mir, liebe Bruͤder und Schweſteren: Der alle himmliſche Fuͤrſtenthuͤmmer, Thronen und Herrſchafften mit Majeſtaͤt, Weißheit und Staͤrcke erfuͤllet a, ligt in einer Krip- pen! Ach! laͤre aus mein Hertz von allem eigenen Dunckel und Welt-Geſuch: O ſuͤſſes JEſulein! damit es dein Wort und Geiſt in ſich behalte, und deine Krippen ſey ewiglich! Der, den der Himmeln Himmel nicht begreiffen kan, wird in Windlen gewick- let! Ach du maͤchtiger Held im Werck des HErrn, winde alle mei- ne Seelen-Kraͤfften ein ſo ſteiff und veſt mit den Banden deiner ge- nauen Zucht, daß ich mich nicht mehr rege, als in deinem heiligen Willen, in dein ſeliges Behagen eigehuͤllet! Der den weiten hohen Himmel mit der Hand erſpangt b, alles Gold, Silber und Edel- geſtein, Seiden, Marmor und Elfenbein, und was den Pracht der Reichen und Monarchen ausmachet, geſchaffen c; ja der die Schoͤnheit des oberſten Himmels, die Zierde des Paradieſes, der Engeln Freude iſt, der empfangt ſeine Viſiten, oder wird beſucht in einem Stall. Ach du groſſer Koͤnig, verſchmaͤhe nicht mein ar- mes Hertz, ſo zu einem ſtinckenden Ort von allerhand thieriſchen Begierden und Paßionen geworden! Komm du darein, o mein Vergnuͤgen, ſo wird es durch deine Gegenwart ein himmliſcher Pal- laſt! Und eben dardurch bereitet mir deine groſſe Barmhertzigkeit eine Wohnung in des Vatters Hauß, eine Stelle unter den Heil. Englen. Der in den Wolcken donnert d, ja dem alle Seraphim ohne Unterlaß zuruffen: heilig! heilig! heilig e! der weynet wie ein Kind! O daß mir alle Welt-Freud verleidete, deine kindliche Thraͤ- nen mein hartes Hertz erweichten, und ich dir deine Goͤttliche Thraͤ- nen mit einem liebreichen Gehorſam des Glaubens abwiſchte, und dir in allem Leiden und Truͤbſal ein ſtaͤtes Lob-Opffer braͤchte! O wie wohl waͤr es mir! Allein ich erfahre wohl, daß es Kaͤmpffen, Ringen und Geburts-Schmertzen koſtet, ehe ich dahin gelange. Doch iſt kein balſamiſcher Oel, mein verwundt Hertz kraͤfftiger zu beſaͤnfftigen, als die Thraͤnen auf deinem holden Angeſicht, o du hoͤchſtes Gut! Wann mein Glaub das Kind zu Bethlehem im Stall a Coloſſ. I. 16. b 2 Reg. VIII. c Jeſ. XI. 12. 15. & XLII. 5. d Pſ. XXIX. e Jeſ. VI.

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Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 610. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/706>, abgerufen am 21.11.2024.