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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

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Weyhnachts-Gedancken.
kanst: meine Zung, Hand, ist GOttes Zung, Hand; Und mit Paulo:
Jch lebe, aber nun nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir a;
mein Freuen, Trauren, Dencken, Begehren, Wort und Werck
fliessen aus ihm, und werden von ihm ausgewürcket; dann was ich
jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn GOt-
tes, der mich geliebet, und sich selbst für mich dargegeben. Die-
sen neuen, wiedergebohrnen Leib ernehret Christus mit seiner ver-
klärten Menschheit auf eine sehr sonderbahre Geheimnüß-reiche
Weise, speiset ihn mit seinem Fleisch, und träncket ihn mit seinem
Blut b, daß wir dardurch an dem neuen Gnaden-Leib und der Gna-
den-Seel der neuen Creatur gestärckt werden zum ewigen Leben.
Diese Wiederaufrichtung des zerstörten Reichs GOttes in uns, ist
der Haupt-Zweck der Menschwerdung seines Sohns, damit er un-
ser Haupt, das Leben unsers Lebens, und die Seele unser Seelen
wurde, und daß er gedächte, begehrte wie wir, und seine Gedan-
cken, Begierden, eine Quelle wurde unserer Gedancken und Be-
gierden, und wir gedencken und begehren was JEsus. Dieser un-
ser aus seiner Menschwerdung entspringenden Seeligkeit halber hat
er ein sonderlich Belieben, sich des Menschen Sohn zu titulieren,
daß er es bey zwey und achtzig mahl thut, sehend auf Psal. 8, 5.
verglichen mit Hebr. 2, 6. 7. und auch Dan. 7, 14.

§. 6. IV. Sollte Meßias die Schwachheit eines jeden, auchWeilen er
in Knechts
Gestalt er-
scheinen
wollte.

des kindlichen Alters, an sich nehmen. Auf die Welt kommen wie
Adam, wäre allzu prächtig und majestätisch gewesen, und hätte sich
nicht geschickt zur Knechts-Gestalt c und dem Jammer-Bild, wel-
ches er unter uns Menschen auf Erden präsentieren wollte: Dane-
ben hätten die weinenden und stamlenden Kinder mögen dencken,
JESUS habe ihr vergessen, wann er sich nicht erniedriget hätte
biß in die untersten Oerter d. Wer aber von uns das vier und
dreyßigste Jahr und drüber erreichet hat, der soll sich die Rechnung
machen, daß er in Betrachtung der Zeit seines Antheils an Christo
lebendig versichert, in ihn eingepfroffet, und mit GOtt vereiniget
seyn soll: hat er es aber versaumt, kehre er um, und werde wie
diß Kind, und fahe von der Krippen an zu wachsen in seiner Gleich-
förmigkeit. Doch ists ein unersetzlicher Schaden, seine Jugend

nicht
a Gal. II. 20.
b Joh. VI.
c Phil. II.
d Eph. IV.
G g g g 3

Weyhnachts-Gedancken.
kanſt: meine Zung, Hand, iſt GOttes Zung, Hand; Und mit Paulo:
Jch lebe, aber nun nicht mehr ich, ſondern Chriſtus lebt in mir a;
mein Freuen, Trauren, Dencken, Begehren, Wort und Werck
flieſſen aus ihm, und werden von ihm ausgewuͤrcket; dann was ich
jetzt lebe im Fleiſch, das lebe ich im Glauben an den Sohn GOt-
tes, der mich geliebet, und ſich ſelbſt fuͤr mich dargegeben. Die-
ſen neuen, wiedergebohrnen Leib ernehret Chriſtus mit ſeiner ver-
klaͤrten Menſchheit auf eine ſehr ſonderbahre Geheimnuͤß-reiche
Weiſe, ſpeiſet ihn mit ſeinem Fleiſch, und traͤncket ihn mit ſeinem
Blut b, daß wir dardurch an dem neuen Gnaden-Leib und der Gna-
den-Seel der neuen Creatur geſtaͤrckt werden zum ewigen Leben.
Dieſe Wiederaufrichtung des zerſtoͤrten Reichs GOttes in uns, iſt
der Haupt-Zweck der Menſchwerdung ſeines Sohns, damit er un-
ſer Haupt, das Leben unſers Lebens, und die Seele unſer Seelen
wurde, und daß er gedaͤchte, begehrte wie wir, und ſeine Gedan-
cken, Begierden, eine Quelle wurde unſerer Gedancken und Be-
gierden, und wir gedencken und begehren was JEſus. Dieſer un-
ſer aus ſeiner Menſchwerdung entſpringenden Seeligkeit halber hat
er ein ſonderlich Belieben, ſich des Menſchen Sohn zu titulieren,
daß er es bey zwey und achtzig mahl thut, ſehend auf Pſal. 8, 5.
verglichen mit Hebr. 2, 6. 7. und auch Dan. 7, 14.

§. 6. IV. Sollte Meßias die Schwachheit eines jeden, auchWeilen er
in Knechts
Geſtalt er-
ſcheinen
wollte.

des kindlichen Alters, an ſich nehmen. Auf die Welt kommen wie
Adam, waͤre allzu praͤchtig und majeſtaͤtiſch geweſen, und haͤtte ſich
nicht geſchickt zur Knechts-Geſtalt c und dem Jammer-Bild, wel-
ches er unter uns Menſchen auf Erden praͤſentieren wollte: Dane-
ben haͤtten die weinenden und ſtamlenden Kinder moͤgen dencken,
JESUS habe ihr vergeſſen, wann er ſich nicht erniedriget haͤtte
biß in die unterſten Oerter d. Wer aber von uns das vier und
dreyßigſte Jahr und druͤber erreichet hat, der ſoll ſich die Rechnung
machen, daß er in Betrachtung der Zeit ſeines Antheils an Chriſto
lebendig verſichert, in ihn eingepfroffet, und mit GOtt vereiniget
ſeyn ſoll: hat er es aber verſaumt, kehre er um, und werde wie
diß Kind, und fahe von der Krippen an zu wachſen in ſeiner Gleich-
foͤrmigkeit. Doch iſts ein unerſetzlicher Schaden, ſeine Jugend

nicht
a Gal. II. 20.
b Joh. VI.
c Phil. II.
d Eph. IV.
G g g g 3
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[605/0701] Weyhnachts-Gedancken. kanſt: meine Zung, Hand, iſt GOttes Zung, Hand; Und mit Paulo: Jch lebe, aber nun nicht mehr ich, ſondern Chriſtus lebt in mir a; mein Freuen, Trauren, Dencken, Begehren, Wort und Werck flieſſen aus ihm, und werden von ihm ausgewuͤrcket; dann was ich jetzt lebe im Fleiſch, das lebe ich im Glauben an den Sohn GOt- tes, der mich geliebet, und ſich ſelbſt fuͤr mich dargegeben. Die- ſen neuen, wiedergebohrnen Leib ernehret Chriſtus mit ſeiner ver- klaͤrten Menſchheit auf eine ſehr ſonderbahre Geheimnuͤß-reiche Weiſe, ſpeiſet ihn mit ſeinem Fleiſch, und traͤncket ihn mit ſeinem Blut b, daß wir dardurch an dem neuen Gnaden-Leib und der Gna- den-Seel der neuen Creatur geſtaͤrckt werden zum ewigen Leben. Dieſe Wiederaufrichtung des zerſtoͤrten Reichs GOttes in uns, iſt der Haupt-Zweck der Menſchwerdung ſeines Sohns, damit er un- ſer Haupt, das Leben unſers Lebens, und die Seele unſer Seelen wurde, und daß er gedaͤchte, begehrte wie wir, und ſeine Gedan- cken, Begierden, eine Quelle wurde unſerer Gedancken und Be- gierden, und wir gedencken und begehren was JEſus. Dieſer un- ſer aus ſeiner Menſchwerdung entſpringenden Seeligkeit halber hat er ein ſonderlich Belieben, ſich des Menſchen Sohn zu titulieren, daß er es bey zwey und achtzig mahl thut, ſehend auf Pſal. 8, 5. verglichen mit Hebr. 2, 6. 7. und auch Dan. 7, 14. §. 6. IV. Sollte Meßias die Schwachheit eines jeden, auch des kindlichen Alters, an ſich nehmen. Auf die Welt kommen wie Adam, waͤre allzu praͤchtig und majeſtaͤtiſch geweſen, und haͤtte ſich nicht geſchickt zur Knechts-Geſtalt c und dem Jammer-Bild, wel- ches er unter uns Menſchen auf Erden praͤſentieren wollte: Dane- ben haͤtten die weinenden und ſtamlenden Kinder moͤgen dencken, JESUS habe ihr vergeſſen, wann er ſich nicht erniedriget haͤtte biß in die unterſten Oerter d. Wer aber von uns das vier und dreyßigſte Jahr und druͤber erreichet hat, der ſoll ſich die Rechnung machen, daß er in Betrachtung der Zeit ſeines Antheils an Chriſto lebendig verſichert, in ihn eingepfroffet, und mit GOtt vereiniget ſeyn ſoll: hat er es aber verſaumt, kehre er um, und werde wie diß Kind, und fahe von der Krippen an zu wachſen in ſeiner Gleich- foͤrmigkeit. Doch iſts ein unerſetzlicher Schaden, ſeine Jugend nicht Weilen er in Knechts Geſtalt er- ſcheinen wollte. a Gal. II. 20. b Joh. VI. c Phil. II. d Eph. IV. G g g g 3

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Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 605. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/701>, abgerufen am 13.06.2024.