Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite

an den Leser.
grösserem Unheil zu seyn, von ihnen weg zu gehen getrachtet, und es
anderstwo zu versuchen; und zwar nach der Vorschrifft des Evangelii.

Dann lehret uns das Evangelium nicht? daß nachdem die zum
Abendmahl, und die in den Weinberg zum zweyten mahl beruffene,
den ersten Beruff ausgeschlagen, ja sich demselben hartnäckig wider-
setzet, die Gnad sich alsobald von ihnen abgezogen, und bey ande-
ren angemeldet, die sehr frohe darüber worden; Dannenhero schüt-
telten die Apostel den Staub so bald ab über die Widerspengstigen.

Zu deme, so mag offt durch eine Predigt mehr Eingang und See-
gen erhalten werden bey Fremden, als siebenzig bey denen, so der-
selben immer gewohnt; JEsus selbst schaffete bey den Samariteren
in zwey Tagen mehr Frucht, als so lange Zeit zu Capernaum, und
bey drey und zwantzig Jahren in Nazareth; welche Frucht ihme zu
einem Labtrunck dienete, die stete Widersetzlichkeit seines eigenen Volcks
zu erdulden; Jonas richtete in einer Predigt zu Ninive mehr aus, als
die geistreichste, begabteste und eifferigste Propheten zu Jerusalem.

§. 6. Vermelde dieses wohl nicht, als wann ich mich tüchtig oderDeß Ur-
hebers
kurtz ge-
faßte Le-
bens Be-
schrei-
bung.

würdig achtete, daß GOtt an einem eintzigen Menschen etwas Guts
durch mich würcken sollte; vielmehr, wann ich meine Lebens-Be-
schreibung in wenig Worten verfassen thäte, so würde sie also lauten:

Jch strauchle, und JEsus mein Gleits-Mann hält mich bey der
Hand; ich falle, und Er richtet mich auf; ich verirre und verliere
mich, und mein getreuer Hirt suchet, und bringet mich wieder; ich
verletze mich, und Er mein Artzt heilet mich; ich werde in die Flucht
geschlagen, und Er mein König streitet für mich; ich betriege mich,
und Er mein Lehrer unterweiset mich; ich beflecke mich, und Er mein
Hoherpriester wäschet mich in seinem Heyls-Brunnen; habe ich viel
gesündiget, so ist auch viel von Christi Göttlichem Blut in mich hin-
ein gedrungen durch Seinen in mir gewürckten starck anziehenden
Glauben; ich verderbe alles, und Er mein Seeligmacher macht al-
les wieder gut, führet mich zu GOtt, und schencket mir aus lauter
Güte eine Begierd alles Guten, und einen Haß gegen allem Bö-
sen; ja Er zeigt an mir, als dem grössesten Sünder, alle Langmü-
thigkeit anderen zum Exempel, daß sie auch nach JEsu dürsten, und
durch den Glauben an Jhn ewiges Leben haben.

Jst also bey mir wohl keine Tüchtigkeit, sondern es brennet nur
sonsten so zu Zeiten mein Gemüth, JEsum in einer grossen Gemeind
zu loben, und nicht mein gantzes Leben in einer fast gantz lären Kir-

chen,
D d d 3

an den Leſer.
groͤſſerem Unheil zu ſeyn, von ihnen weg zu gehen getrachtet, und es
anderſtwo zu verſuchen; und zwar nach der Vorſchrifft des Evangelii.

Dann lehret uns das Evangelium nicht? daß nachdem die zum
Abendmahl, und die in den Weinberg zum zweyten mahl beruffene,
den erſten Beruff ausgeſchlagen, ja ſich demſelben hartnaͤckig wider-
ſetzet, die Gnad ſich alſobald von ihnen abgezogen, und bey ande-
ren angemeldet, die ſehr frohe daruͤber worden; Dannenhero ſchuͤt-
telten die Apoſtel den Staub ſo bald ab uͤber die Widerſpengſtigen.

Zu deme, ſo mag offt durch eine Predigt mehr Eingang und See-
gen erhalten werden bey Fremden, als ſiebenzig bey denen, ſo der-
ſelben immer gewohnt; JEſus ſelbſt ſchaffete bey den Samariteren
in zwey Tagen mehr Frucht, als ſo lange Zeit zu Capernaum, und
bey drey und zwantzig Jahren in Nazareth; welche Frucht ihme zu
einem Labtrunck dienete, die ſtete Widerſetzlichkeit ſeines eigenen Volcks
zu erdulden; Jonas richtete in einer Predigt zu Ninive mehr aus, als
die geiſtreichſte, begabteſte und eifferigſte Propheten zu Jeruſalem.

§. 6. Vermelde dieſes wohl nicht, als wann ich mich tuͤchtig oderDeß Ur-
hebers
kurtz ge-
faßte Le-
bens Be-
ſchrei-
bung.

wuͤrdig achtete, daß GOtt an einem eintzigen Menſchen etwas Guts
durch mich wuͤrcken ſollte; vielmehr, wann ich meine Lebens-Be-
ſchreibung in wenig Worten verfaſſen thaͤte, ſo wuͤrde ſie alſo lauten:

Jch ſtrauchle, und JEſus mein Gleits-Mann haͤlt mich bey der
Hand; ich falle, und Er richtet mich auf; ich verirre und verliere
mich, und mein getreuer Hirt ſuchet, und bringet mich wieder; ich
verletze mich, und Er mein Artzt heilet mich; ich werde in die Flucht
geſchlagen, und Er mein Koͤnig ſtreitet fuͤr mich; ich betriege mich,
und Er mein Lehrer unterweiſet mich; ich beflecke mich, und Er mein
Hoherprieſter waͤſchet mich in ſeinem Heyls-Brunnen; habe ich viel
geſuͤndiget, ſo iſt auch viel von Chriſti Goͤttlichem Blut in mich hin-
ein gedrungen durch Seinen in mir gewuͤrckten ſtarck anziehenden
Glauben; ich verderbe alles, und Er mein Seeligmacher macht al-
les wieder gut, fuͤhret mich zu GOtt, und ſchencket mir aus lauter
Guͤte eine Begierd alles Guten, und einen Haß gegen allem Boͤ-
ſen; ja Er zeigt an mir, als dem groͤſſeſten Suͤnder, alle Langmuͤ-
thigkeit anderen zum Exempel, daß ſie auch nach JEſu duͤrſten, und
durch den Glauben an Jhn ewiges Leben haben.

Jſt alſo bey mir wohl keine Tuͤchtigkeit, ſondern es brennet nur
ſonſten ſo zu Zeiten mein Gemuͤth, JEſum in einer groſſen Gemeind
zu loben, und nicht mein gantzes Leben in einer faſt gantz laͤren Kir-

chen,
D d d 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0493" n="397"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">an den Le&#x017F;er.</hi></fw><lb/>
gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;erem Unheil zu &#x017F;eyn, von ihnen weg zu gehen getrachtet, und es<lb/>
ander&#x017F;two zu ver&#x017F;uchen; und zwar nach der Vor&#x017F;chrifft des Evangelii.</p><lb/>
          <p>Dann lehret uns das Evangelium nicht? daß nachdem die zum<lb/>
Abendmahl, und die in den Weinberg zum zweyten mahl beruffene,<lb/>
den er&#x017F;ten Beruff ausge&#x017F;chlagen, ja &#x017F;ich dem&#x017F;elben hartna&#x0364;ckig wider-<lb/>
&#x017F;etzet, die Gnad &#x017F;ich al&#x017F;obald von ihnen abgezogen, und bey ande-<lb/>
ren angemeldet, die &#x017F;ehr frohe daru&#x0364;ber worden; Dannenhero &#x017F;chu&#x0364;t-<lb/>
telten die Apo&#x017F;tel den Staub &#x017F;o bald ab u&#x0364;ber die Wider&#x017F;peng&#x017F;tigen.</p><lb/>
          <p>Zu deme, &#x017F;o mag offt durch eine Predigt mehr Eingang und See-<lb/>
gen erhalten werden bey Fremden, als &#x017F;iebenzig bey denen, &#x017F;o der-<lb/>
&#x017F;elben immer gewohnt; JE&#x017F;us &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chaffete bey den Samariteren<lb/>
in zwey Tagen mehr Frucht, als &#x017F;o lange Zeit zu Capernaum, und<lb/>
bey drey und zwantzig Jahren in Nazareth; welche Frucht ihme zu<lb/>
einem Labtrunck dienete, die &#x017F;tete Wider&#x017F;etzlichkeit &#x017F;eines eigenen Volcks<lb/>
zu erdulden; Jonas richtete in einer Predigt zu Ninive mehr aus, als<lb/>
die gei&#x017F;treich&#x017F;te, begabte&#x017F;te und eifferig&#x017F;te Propheten zu Jeru&#x017F;alem.</p><lb/>
          <p>§. 6. Vermelde die&#x017F;es wohl nicht, als wann ich mich tu&#x0364;chtig oder<note place="right">Deß Ur-<lb/>
hebers<lb/>
kurtz ge-<lb/>
faßte Le-<lb/>
bens Be-<lb/>
&#x017F;chrei-<lb/>
bung.</note><lb/>
wu&#x0364;rdig achtete, daß GOtt an einem eintzigen Men&#x017F;chen etwas Guts<lb/>
durch mich wu&#x0364;rcken &#x017F;ollte; vielmehr, wann ich meine Lebens-Be-<lb/>
&#x017F;chreibung in wenig Worten verfa&#x017F;&#x017F;en tha&#x0364;te, &#x017F;o wu&#x0364;rde &#x017F;ie al&#x017F;o lauten:</p><lb/>
          <p>Jch &#x017F;trauchle, und JE&#x017F;us mein Gleits-Mann ha&#x0364;lt mich bey der<lb/>
Hand; ich falle, und Er richtet mich auf; ich verirre und verliere<lb/>
mich, und mein getreuer Hirt &#x017F;uchet, und bringet mich wieder; ich<lb/>
verletze mich, und Er mein Artzt heilet mich; ich werde in die Flucht<lb/>
ge&#x017F;chlagen, und Er mein Ko&#x0364;nig &#x017F;treitet fu&#x0364;r mich; ich betriege mich,<lb/>
und Er mein Lehrer unterwei&#x017F;et mich; ich beflecke mich, und Er mein<lb/>
Hoherprie&#x017F;ter wa&#x0364;&#x017F;chet mich in &#x017F;einem Heyls-Brunnen; habe ich viel<lb/>
ge&#x017F;u&#x0364;ndiget, &#x017F;o i&#x017F;t auch viel von Chri&#x017F;ti Go&#x0364;ttlichem Blut in mich hin-<lb/>
ein gedrungen durch Seinen in mir gewu&#x0364;rckten &#x017F;tarck anziehenden<lb/>
Glauben; ich verderbe alles, und Er mein Seeligmacher macht al-<lb/>
les wieder gut, fu&#x0364;hret mich zu GOtt, und &#x017F;chencket mir aus lauter<lb/>
Gu&#x0364;te eine Begierd alles Guten, und einen Haß gegen allem Bo&#x0364;-<lb/>
&#x017F;en; ja Er zeigt an mir, als dem gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;ten Su&#x0364;nder, alle Langmu&#x0364;-<lb/>
thigkeit anderen zum Exempel, daß &#x017F;ie auch nach JE&#x017F;u du&#x0364;r&#x017F;ten, und<lb/>
durch den Glauben an Jhn ewiges Leben haben.</p><lb/>
          <p>J&#x017F;t al&#x017F;o bey mir wohl keine Tu&#x0364;chtigkeit, &#x017F;ondern es brennet nur<lb/>
&#x017F;on&#x017F;ten &#x017F;o zu Zeiten mein Gemu&#x0364;th, JE&#x017F;um in einer gro&#x017F;&#x017F;en Gemeind<lb/>
zu loben, und nicht mein gantzes Leben in einer fa&#x017F;t gantz la&#x0364;ren Kir-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D d d 3</fw><fw place="bottom" type="catch">chen,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0493] an den Leſer. groͤſſerem Unheil zu ſeyn, von ihnen weg zu gehen getrachtet, und es anderſtwo zu verſuchen; und zwar nach der Vorſchrifft des Evangelii. Dann lehret uns das Evangelium nicht? daß nachdem die zum Abendmahl, und die in den Weinberg zum zweyten mahl beruffene, den erſten Beruff ausgeſchlagen, ja ſich demſelben hartnaͤckig wider- ſetzet, die Gnad ſich alſobald von ihnen abgezogen, und bey ande- ren angemeldet, die ſehr frohe daruͤber worden; Dannenhero ſchuͤt- telten die Apoſtel den Staub ſo bald ab uͤber die Widerſpengſtigen. Zu deme, ſo mag offt durch eine Predigt mehr Eingang und See- gen erhalten werden bey Fremden, als ſiebenzig bey denen, ſo der- ſelben immer gewohnt; JEſus ſelbſt ſchaffete bey den Samariteren in zwey Tagen mehr Frucht, als ſo lange Zeit zu Capernaum, und bey drey und zwantzig Jahren in Nazareth; welche Frucht ihme zu einem Labtrunck dienete, die ſtete Widerſetzlichkeit ſeines eigenen Volcks zu erdulden; Jonas richtete in einer Predigt zu Ninive mehr aus, als die geiſtreichſte, begabteſte und eifferigſte Propheten zu Jeruſalem. §. 6. Vermelde dieſes wohl nicht, als wann ich mich tuͤchtig oder wuͤrdig achtete, daß GOtt an einem eintzigen Menſchen etwas Guts durch mich wuͤrcken ſollte; vielmehr, wann ich meine Lebens-Be- ſchreibung in wenig Worten verfaſſen thaͤte, ſo wuͤrde ſie alſo lauten: Deß Ur- hebers kurtz ge- faßte Le- bens Be- ſchrei- bung. Jch ſtrauchle, und JEſus mein Gleits-Mann haͤlt mich bey der Hand; ich falle, und Er richtet mich auf; ich verirre und verliere mich, und mein getreuer Hirt ſuchet, und bringet mich wieder; ich verletze mich, und Er mein Artzt heilet mich; ich werde in die Flucht geſchlagen, und Er mein Koͤnig ſtreitet fuͤr mich; ich betriege mich, und Er mein Lehrer unterweiſet mich; ich beflecke mich, und Er mein Hoherprieſter waͤſchet mich in ſeinem Heyls-Brunnen; habe ich viel geſuͤndiget, ſo iſt auch viel von Chriſti Goͤttlichem Blut in mich hin- ein gedrungen durch Seinen in mir gewuͤrckten ſtarck anziehenden Glauben; ich verderbe alles, und Er mein Seeligmacher macht al- les wieder gut, fuͤhret mich zu GOtt, und ſchencket mir aus lauter Guͤte eine Begierd alles Guten, und einen Haß gegen allem Boͤ- ſen; ja Er zeigt an mir, als dem groͤſſeſten Suͤnder, alle Langmuͤ- thigkeit anderen zum Exempel, daß ſie auch nach JEſu duͤrſten, und durch den Glauben an Jhn ewiges Leben haben. Jſt alſo bey mir wohl keine Tuͤchtigkeit, ſondern es brennet nur ſonſten ſo zu Zeiten mein Gemuͤth, JEſum in einer groſſen Gemeind zu loben, und nicht mein gantzes Leben in einer faſt gantz laͤren Kir- chen, D d d 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/493
Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/493>, abgerufen am 20.05.2024.