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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

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Der geistliche Frühling.
nicht kan verdrüßig machen oder müd dich mit uns länger zu schlep-
pen.

Das achte Capitel.
Klag über den bey den meisten noch herrschenden Winter, mit Er-
mähnung, sich von JEsu erwärmen und fruchtbar machen zu lassen.
Nutzan-
wendung.
Bey der
[P]üffung
[ob] der
Winter
im Her-
tzen vor-
bey seye,

§. 1. Ach wie stehets um uns? ist der Winter vorbey im Hertzen?
hat die Gnad JEsu, die Widersetzlichkeit der sündigen Natur über-
wunden? es frage doch ein jeder sich selbst, als wie vor den Augen
des allwissenden HErren, der in unsere Sünd und Gerechtigkeit hin-
ein siehet und gar genau weißt, wie es in uns beschaffen sey: Ach
kan JEsus meinen Zustand seiner geheimen Freunden anrühmen als
etwas göttliches und Himmel-würdiges, daß sich die heilige Engel
darob erfreuen; ist mein eißkaltes Hertz aufentfroren vom Gnaden-
Schein des Evangelii? hat mich die Seelen-Sonne JESUS also
kräfftig angeschienen, daß alles in mir zu reinem und demüthigem Gehor-
sam alles Willens GOttes erweicht worden? hat GOttes un-
endliche Treue und die grosse Liebe JEsu mein Hertz eingeschmeltzt,
also daß meine Seele immer in verborgenem Weinen daher gehe,
daß ich solch einen GOtt und JEsum so lang nicht gekannt und so
wenig geliebt, auch ihme keine rechte Ehre und Freude gewesen in
Zion?

wird sich
ergeben,
daß dersel-
be bey den
meisten:
noch an-
halte.

§. 2. Du weist es am besten, mein lieber Christ! ob du dich so
ernstlich und beständig zu dem verklärten JEsu als der Sonnen der
geistlichen, himmlischen Welt gewendet habest, daß die Stralen sei-
ner Liebe und H. Geistes dein Hertz biß auf den Grund treffen, er-
wärmen und durchdringen können, in so weit daß alles Eiß und
Schnee des eigenen Rechts, Anspruchs, Habens und Erhaltens in dir
zerflossen und dein Erdreich eine neue Gestalt bekommen: ich weiß
wohl, wie es gemeiniglich pflegt zu gehen; es fallt etwan ein heiterer
Stral der Herrlichkeit JESU in die Seel davon die Einbildung
so starck eingenommen und erhitzet wird, daß es den Menschen daucht,
er brenne von Liebe zu JESU und wollte er Leben und alles vor ihne
hingeben, allein daß das Hertz des Geistes der Wille nicht gewonnen,
sondern nur die Phantasey getroffen seye, wodurch im Hertzen des
Leibs, dem Stücklein Fleisch eine süsse, hitzige, annehmliche Bewe-

gung

Der geiſtliche Fruͤhling.
nicht kan verdruͤßig machen oder muͤd dich mit uns laͤnger zu ſchlep-
pen.

Das achte Capitel.
Klag uͤber den bey den meiſten noch herrſchenden Winter, mit Er-
maͤhnung, ſich von JEſu erwaͤrmen und fruchtbar machen zu laſſen.
Nutzan-
wendung.
Bey der
[P]uͤffung
[ob] der
Winter
im Her-
tzen vor-
bey ſeye,

§. 1. Ach wie ſtehets um uns? iſt der Winter vorbey im Hertzen?
hat die Gnad JEſu, die Widerſetzlichkeit der ſuͤndigen Natur uͤber-
wunden? es frage doch ein jeder ſich ſelbſt, als wie vor den Augen
des allwiſſenden HErren, der in unſere Suͤnd und Gerechtigkeit hin-
ein ſiehet und gar genau weißt, wie es in uns beſchaffen ſey: Ach
kan JEſus meinen Zuſtand ſeiner geheimen Freunden anruͤhmen als
etwas goͤttliches und Himmel-wuͤrdiges, daß ſich die heilige Engel
darob erfreuen; iſt mein eißkaltes Hertz aufentfroren vom Gnaden-
Schein des Evangelii? hat mich die Seelen-Sonne JESUS alſo
kraͤfftig angeſchienen, daß alles in mir zu reinem und demuͤthigem Gehor-
ſam alles Willens GOttes erweicht worden? hat GOttes un-
endliche Treue und die groſſe Liebe JEſu mein Hertz eingeſchmeltzt,
alſo daß meine Seele immer in verborgenem Weinen daher gehe,
daß ich ſolch einen GOtt und JEſum ſo lang nicht gekannt und ſo
wenig geliebt, auch ihme keine rechte Ehre und Freude geweſen in
Zion?

wird ſich
ergeben,
daß derſel-
be bey den
meiſten:
noch an-
halte.

§. 2. Du weiſt es am beſten, mein lieber Chriſt! ob du dich ſo
ernſtlich und beſtaͤndig zu dem verklaͤrten JEſu als der Sonnen der
geiſtlichen, himmliſchen Welt gewendet habeſt, daß die Stralen ſei-
ner Liebe und H. Geiſtes dein Hertz biß auf den Grund treffen, er-
waͤrmen und durchdringen koͤnnen, in ſo weit daß alles Eiß und
Schnee des eigenen Rechts, Anſpruchs, Habens und Erhaltens in dir
zerfloſſen und dein Erdreich eine neue Geſtalt bekommen: ich weiß
wohl, wie es gemeiniglich pflegt zu gehen; es fallt etwan ein heiterer
Stral der Herrlichkeit JESU in die Seel davon die Einbildung
ſo ſtarck eingenommen und erhitzet wird, daß es den Menſchen daucht,
er brenne von Liebe zu JESU und wollte er Leben und alles vor ihne
hingeben, allein daß das Hertz des Geiſtes der Wille nicht gewonnen,
ſondern nur die Phantaſey getroffen ſeye, wodurch im Hertzen des
Leibs, dem Stuͤcklein Fleiſch eine ſuͤſſe, hitzige, annehmliche Bewe-

gung
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[332/0428] Der geiſtliche Fruͤhling. nicht kan verdruͤßig machen oder muͤd dich mit uns laͤnger zu ſchlep- pen. Das achte Capitel. Klag uͤber den bey den meiſten noch herrſchenden Winter, mit Er- maͤhnung, ſich von JEſu erwaͤrmen und fruchtbar machen zu laſſen. §. 1. Ach wie ſtehets um uns? iſt der Winter vorbey im Hertzen? hat die Gnad JEſu, die Widerſetzlichkeit der ſuͤndigen Natur uͤber- wunden? es frage doch ein jeder ſich ſelbſt, als wie vor den Augen des allwiſſenden HErren, der in unſere Suͤnd und Gerechtigkeit hin- ein ſiehet und gar genau weißt, wie es in uns beſchaffen ſey: Ach kan JEſus meinen Zuſtand ſeiner geheimen Freunden anruͤhmen als etwas goͤttliches und Himmel-wuͤrdiges, daß ſich die heilige Engel darob erfreuen; iſt mein eißkaltes Hertz aufentfroren vom Gnaden- Schein des Evangelii? hat mich die Seelen-Sonne JESUS alſo kraͤfftig angeſchienen, daß alles in mir zu reinem und demuͤthigem Gehor- ſam alles Willens GOttes erweicht worden? hat GOttes un- endliche Treue und die groſſe Liebe JEſu mein Hertz eingeſchmeltzt, alſo daß meine Seele immer in verborgenem Weinen daher gehe, daß ich ſolch einen GOtt und JEſum ſo lang nicht gekannt und ſo wenig geliebt, auch ihme keine rechte Ehre und Freude geweſen in Zion? §. 2. Du weiſt es am beſten, mein lieber Chriſt! ob du dich ſo ernſtlich und beſtaͤndig zu dem verklaͤrten JEſu als der Sonnen der geiſtlichen, himmliſchen Welt gewendet habeſt, daß die Stralen ſei- ner Liebe und H. Geiſtes dein Hertz biß auf den Grund treffen, er- waͤrmen und durchdringen koͤnnen, in ſo weit daß alles Eiß und Schnee des eigenen Rechts, Anſpruchs, Habens und Erhaltens in dir zerfloſſen und dein Erdreich eine neue Geſtalt bekommen: ich weiß wohl, wie es gemeiniglich pflegt zu gehen; es fallt etwan ein heiterer Stral der Herrlichkeit JESU in die Seel davon die Einbildung ſo ſtarck eingenommen und erhitzet wird, daß es den Menſchen daucht, er brenne von Liebe zu JESU und wollte er Leben und alles vor ihne hingeben, allein daß das Hertz des Geiſtes der Wille nicht gewonnen, ſondern nur die Phantaſey getroffen ſeye, wodurch im Hertzen des Leibs, dem Stuͤcklein Fleiſch eine ſuͤſſe, hitzige, annehmliche Bewe- gung

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Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/428>, abgerufen am 21.11.2024.