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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

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Der geistliche Frühling.
sie doch allezeit: HErr JEsu komme bald! dann seine Offenbahrung
ist immer herrlicher: Johannes ware voll Glaubens und H. Geistes,
lag JEsu in der Schooß, schmeckte und fühlete ewiges Leben in sich
und stund in hoher Gemeinschafft mit dem Vatter und mit seinem
Sohn JEsu Christo, ware auch an seinem Leib durchdrungen von
JEsu Lebens-Kräfften und balsamischen Liebes-Säfften, so daß er
unverletzt aus siedenden Oel-Keßlen hervor kame; nichts desto we-
niger fiele er, als ein Todter zur Erden, da er JEsum sahe a. Die
Seel kan nicht zweifflen, JEsus seye ihr nah, und sie nahe bey ihm,
sie gespührt aber dabey, daß in Christo mehr sey, als sie bißher ge-
nossen, sie findt keinen Grund, wann ihr schon vieles entdeckt wird,
in grosser Lieblichkeit, so dunckt es sie (und ist in der That nicht an-
ders) sie stehe erst am Ufer des weiten Oceans oder Meeres, sie
schwebe noch bey weitem nicht darauf, will geschweigen daß sie nach
der bodenlosen Tieffe der Liebe GOttes in Christo JEsu hinsincken
sollte.

Deswe-
gen solle
sie sich
nicht nur
mit eini-
gen Gna-
den-ein-
flüßen ab-
weisen
lassen,

§. 12. Darum, liebe Zuhörer, lasset uns mit eint und anderen
Vertröstungen von JEsu mit etwelchen Süßigkeiten uns nicht ver-
gnügen, sondern allzeit nach mehrerem Einfluß seiner Gnaden mit
Verlangen trachten, er will uns täglich mehr geben und hats nicht
gern, wo wir uns mit so wenigem abspeisen lassen, wir müssen im-
mer tieffer zu ihm gezogen werden. Ach wie bald entziehet sich der
Willen, der sich nicht gäntzlich JEsu zum Opfer übergeben hat,
dieses hat JEsus seinem Jünger Petro zuvor gesagt: Man wird
dich führen wo du nicht hin willt b, in Petro hat zwar der siegrei-
che, mit dem Freuden-Oel angefüllte Will der neuen Creatur, das
Widerstreben der alten Natur weit überwunden, uns aber ist dieses
ein Beyspiel, daß auch der geringste Still- oder Widerstand uns
schädlich und gar sehr hinderlich sey, es ist noch unendlich viel übrig
zu erfahren, zu geniessen und zu empfahen, es ist nöthig, daß wir
fortgehen, uns alle Morgen mit JEsu auf den Weg begeben, auf
der Reise nicht unlustig werden, biß wir das vorgesteckte Ziel ergreif-
fen; Dieses will uns der Apostel zu verstehen geben, wann er sagt:
ich lebe aber nun nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir c; und
doch an einem anderen Ort bekennet er, er jage allererst dem Klei-

nod
a Apoc. I. 17.
b Joh. XXI. 18.
c Gal. II. 20.

Der geiſtliche Fruͤhling.
ſie doch allezeit: HErr JEſu komme bald! dann ſeine Offenbahrung
iſt immer herrlicher: Johannes ware voll Glaubens und H. Geiſtes,
lag JEſu in der Schooß, ſchmeckte und fuͤhlete ewiges Leben in ſich
und ſtund in hoher Gemeinſchafft mit dem Vatter und mit ſeinem
Sohn JEſu Chriſto, ware auch an ſeinem Leib durchdrungen von
JEſu Lebens-Kraͤfften und balſamiſchen Liebes-Saͤfften, ſo daß er
unverletzt aus ſiedenden Oel-Keßlen hervor kame; nichts deſto we-
niger fiele er, als ein Todter zur Erden, da er JEſum ſahe a. Die
Seel kan nicht zweifflen, JEſus ſeye ihr nah, und ſie nahe bey ihm,
ſie geſpuͤhrt aber dabey, daß in Chriſto mehr ſey, als ſie bißher ge-
noſſen, ſie findt keinen Grund, wann ihr ſchon vieles entdeckt wird,
in groſſer Lieblichkeit, ſo dunckt es ſie (und iſt in der That nicht an-
ders) ſie ſtehe erſt am Ufer des weiten Oceans oder Meeres, ſie
ſchwebe noch bey weitem nicht darauf, will geſchweigen daß ſie nach
der bodenloſen Tieffe der Liebe GOttes in Chriſto JEſu hinſincken
ſollte.

Deswe-
gen ſolle
ſie ſich
nicht nur
mit eini-
gen Gna-
den-ein-
fluͤßen ab-
weiſen
laſſen,

§. 12. Darum, liebe Zuhoͤrer, laſſet uns mit eint und anderen
Vertroͤſtungen von JEſu mit etwelchen Suͤßigkeiten uns nicht ver-
gnuͤgen, ſondern allzeit nach mehrerem Einfluß ſeiner Gnaden mit
Verlangen trachten, er will uns taͤglich mehr geben und hats nicht
gern, wo wir uns mit ſo wenigem abſpeiſen laſſen, wir muͤſſen im-
mer tieffer zu ihm gezogen werden. Ach wie bald entziehet ſich der
Willen, der ſich nicht gaͤntzlich JEſu zum Opfer uͤbergeben hat,
dieſes hat JEſus ſeinem Juͤnger Petro zuvor geſagt: Man wird
dich fuͤhren wo du nicht hin willt b, in Petro hat zwar der ſiegrei-
che, mit dem Freuden-Oel angefuͤllte Will der neuen Creatur, das
Widerſtreben der alten Natur weit uͤberwunden, uns aber iſt dieſes
ein Beyſpiel, daß auch der geringſte Still- oder Widerſtand uns
ſchaͤdlich und gar ſehr hinderlich ſey, es iſt noch unendlich viel uͤbrig
zu erfahren, zu genieſſen und zu empfahen, es iſt noͤthig, daß wir
fortgehen, uns alle Morgen mit JEſu auf den Weg begeben, auf
der Reiſe nicht unluſtig werden, biß wir das vorgeſteckte Ziel ergreif-
fen; Dieſes will uns der Apoſtel zu verſtehen geben, wann er ſagt:
ich lebe aber nun nicht mehr ich, ſondern Chriſtus lebt in mir c; und
doch an einem anderen Ort bekennet er, er jage allererſt dem Klei-

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a Apoc. I. 17.
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[282/0378] Der geiſtliche Fruͤhling. ſie doch allezeit: HErr JEſu komme bald! dann ſeine Offenbahrung iſt immer herrlicher: Johannes ware voll Glaubens und H. Geiſtes, lag JEſu in der Schooß, ſchmeckte und fuͤhlete ewiges Leben in ſich und ſtund in hoher Gemeinſchafft mit dem Vatter und mit ſeinem Sohn JEſu Chriſto, ware auch an ſeinem Leib durchdrungen von JEſu Lebens-Kraͤfften und balſamiſchen Liebes-Saͤfften, ſo daß er unverletzt aus ſiedenden Oel-Keßlen hervor kame; nichts deſto we- niger fiele er, als ein Todter zur Erden, da er JEſum ſahe a. Die Seel kan nicht zweifflen, JEſus ſeye ihr nah, und ſie nahe bey ihm, ſie geſpuͤhrt aber dabey, daß in Chriſto mehr ſey, als ſie bißher ge- noſſen, ſie findt keinen Grund, wann ihr ſchon vieles entdeckt wird, in groſſer Lieblichkeit, ſo dunckt es ſie (und iſt in der That nicht an- ders) ſie ſtehe erſt am Ufer des weiten Oceans oder Meeres, ſie ſchwebe noch bey weitem nicht darauf, will geſchweigen daß ſie nach der bodenloſen Tieffe der Liebe GOttes in Chriſto JEſu hinſincken ſollte. §. 12. Darum, liebe Zuhoͤrer, laſſet uns mit eint und anderen Vertroͤſtungen von JEſu mit etwelchen Suͤßigkeiten uns nicht ver- gnuͤgen, ſondern allzeit nach mehrerem Einfluß ſeiner Gnaden mit Verlangen trachten, er will uns taͤglich mehr geben und hats nicht gern, wo wir uns mit ſo wenigem abſpeiſen laſſen, wir muͤſſen im- mer tieffer zu ihm gezogen werden. Ach wie bald entziehet ſich der Willen, der ſich nicht gaͤntzlich JEſu zum Opfer uͤbergeben hat, dieſes hat JEſus ſeinem Juͤnger Petro zuvor geſagt: Man wird dich fuͤhren wo du nicht hin willt b, in Petro hat zwar der ſiegrei- che, mit dem Freuden-Oel angefuͤllte Will der neuen Creatur, das Widerſtreben der alten Natur weit uͤberwunden, uns aber iſt dieſes ein Beyſpiel, daß auch der geringſte Still- oder Widerſtand uns ſchaͤdlich und gar ſehr hinderlich ſey, es iſt noch unendlich viel uͤbrig zu erfahren, zu genieſſen und zu empfahen, es iſt noͤthig, daß wir fortgehen, uns alle Morgen mit JEſu auf den Weg begeben, auf der Reiſe nicht unluſtig werden, biß wir das vorgeſteckte Ziel ergreif- fen; Dieſes will uns der Apoſtel zu verſtehen geben, wann er ſagt: ich lebe aber nun nicht mehr ich, ſondern Chriſtus lebt in mir c; und doch an einem anderen Ort bekennet er, er jage allererſt dem Klei- nod a Apoc. I. 17. b Joh. XXI. 18. c Gal. II. 20.

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Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/378>, abgerufen am 12.05.2024.