durch die grosse Traurigkeit der Weiber und Jünger nach Christi Tod.
Kennzei- chen dieser Geburt.
Fragst du aber ob wohl ein jeder seinen Zustand, worinn er ste- het, deutlich erkennen könne?
Antw. Ein Mensch weiß ja, ob er in der Welt seye und lebe oder nicht, ob er sehe, höre, esse, trincke, rede, arbeite oder nicht: ob er klein, schwach, arm, gering, verachtet, oder groß, starck, reich, fürnehm und gewaltig sey. Ein Mensch weiß, wann ein groß- mächtige Veränderung bey ihm vorgehet; er kan je sagen, hiebevor achtete ich Christi Willen nicht, jetz jetz hungert meine Seele nach sei- nen Tugenden und ist meine süsseste Lust ihm zu gehorchen, an Jhn zu gedencken, wie ein Kind am liebsten bey seiner Mutter ist; jetz hange ich an den Brüsten des Lamms GOttes und sauge die süsse Milch seiner Gnade, Liebe und H. Geistes begierig in mich, betrach- te daheim und draussen Göttliche Wahrheiten; ich esse und verdäue das Wort im flehenden Gebett; also daß mirs andere können anse- hen, was ich in H. Schrifft gelesen; wahre Demuth hindert nicht solches zum Preise GOttes heraus zu sagen was man vorhin gewe- sen und durch GOttes Gnade jetz sey; wie Paulus gethan.
Es predi- get die gantze Natur als
§. 10. Fr. Mahlet uns denn auch das Buch der Natur dieses grosse Geheimniß der neuen Geburt vor unsere Augen?
Antw. Ja! an allen Enden, wo man sich hinwendet; so sehr der Teufel dawider brummet und so gerne seine Unterthanen auch ihren Namen und Gedächtniß auskratzen wollten, wie dann im Jahr 1724. der Pöbel im Appenzeller Land, die Lehre von der Wiedergeburt durch das allgemeine Hand-Meer haben wollen absetzen und ihren Predigern allen ins gesammt scharff verbieten, dieser Lehre nicht mehr zu gedencken, so nun einige Neulinge wollen aufbringen, wovon ihre alt-vordere nichts gewußt und wäre es wohl übel gesagt, wann man nicht könnte in Himmel kommen oder man würde gantz anderst und s. f. Allein diesen Himmels-Stürmern zu begegnen, haben sich die Prediger vereinbaret; an gleichem Sonntag auf allen Can- tzeln im gantzen Land diesen Text Joh. 3, 5. zu verhandeln und Ur- sach dessen anzuzeigen. Mir selbst ist begegnet, daß, als ich in Jf- ferten mein Amt antratte, mich ein Herr freundlich warnete, ich solle ja nichts von Wiedergeburt melden, wo ich nicht in Verdacht der Pietisterey gerathen wolle. GOtt aber hat die Fußstapffen und
Spuren
Das Haus GOTTES,
durch die groſſe Traurigkeit der Weiber und Juͤnger nach Chriſti Tod.
Kennzei- chen dieſer Geburt.
Fragſt du aber ob wohl ein jeder ſeinen Zuſtand, worinn er ſte- het, deutlich erkennen koͤnne?
Antw. Ein Menſch weiß ja, ob er in der Welt ſeye und lebe oder nicht, ob er ſehe, hoͤre, eſſe, trincke, rede, arbeite oder nicht: ob er klein, ſchwach, arm, gering, verachtet, oder groß, ſtarck, reich, fuͤrnehm und gewaltig ſey. Ein Menſch weiß, wann ein groß- maͤchtige Veraͤnderung bey ihm vorgehet; er kan je ſagen, hiebevor achtete ich Chriſti Willen nicht, jetz jetz hungert meine Seele nach ſei- nen Tugenden und iſt meine ſuͤſſeſte Luſt ihm zu gehorchen, an Jhn zu gedencken, wie ein Kind am liebſten bey ſeiner Mutter iſt; jetz hange ich an den Bruͤſten des Lamms GOttes und ſauge die ſuͤſſe Milch ſeiner Gnade, Liebe und H. Geiſtes begierig in mich, betrach- te daheim und drauſſen Goͤttliche Wahrheiten; ich eſſe und verdaͤue das Wort im flehenden Gebett; alſo daß mirs andere koͤnnen anſe- hen, was ich in H. Schrifft geleſen; wahre Demuth hindert nicht ſolches zum Preiſe GOttes heraus zu ſagen was man vorhin gewe- ſen und durch GOttes Gnade jetz ſey; wie Paulus gethan.
Es predi- get die gantze Natur als
§. 10. Fr. Mahlet uns denn auch das Buch der Natur dieſes groſſe Geheimniß der neuen Geburt vor unſere Augen?
Antw. Ja! an allen Enden, wo man ſich hinwendet; ſo ſehr der Teufel dawider brummet und ſo gerne ſeine Unterthanen auch ihren Namen und Gedaͤchtniß auskratzen wollten, wie dann im Jahr 1724. der Poͤbel im Appenzeller Land, die Lehre von der Wiedergeburt durch das allgemeine Hand-Meer haben wollen abſetzen und ihren Predigern allen ins geſammt ſcharff verbieten, dieſer Lehre nicht mehr zu gedencken, ſo nun einige Neulinge wollen aufbringen, wovon ihre alt-vordere nichts gewußt und waͤre es wohl uͤbel geſagt, wann man nicht koͤnnte in Himmel kommen oder man wuͤrde gantz anderſt und ſ. f. Allein dieſen Himmels-Stuͤrmern zu begegnen, haben ſich die Prediger vereinbaret; an gleichem Sonntag auf allen Can- tzeln im gantzen Land dieſen Text Joh. 3, 5. zu verhandeln und Ur- ſach deſſen anzuzeigen. Mir ſelbſt iſt begegnet, daß, als ich in Jf- ferten mein Amt antratte, mich ein Herr freundlich warnete, ich ſolle ja nichts von Wiedergeburt melden, wo ich nicht in Verdacht der Pietiſterey gerathen wolle. GOtt aber hat die Fußſtapffen und
Spuren
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Das Haus GOTTES,
durch die groſſe Traurigkeit der Weiber und Juͤnger nach Chriſti
Tod.
Fragſt du aber ob wohl ein jeder ſeinen Zuſtand, worinn er ſte-
het, deutlich erkennen koͤnne?
Antw. Ein Menſch weiß ja, ob er in der Welt ſeye und lebe oder
nicht, ob er ſehe, hoͤre, eſſe, trincke, rede, arbeite oder nicht:
ob er klein, ſchwach, arm, gering, verachtet, oder groß, ſtarck,
reich, fuͤrnehm und gewaltig ſey. Ein Menſch weiß, wann ein groß-
maͤchtige Veraͤnderung bey ihm vorgehet; er kan je ſagen, hiebevor
achtete ich Chriſti Willen nicht, jetz jetz hungert meine Seele nach ſei-
nen Tugenden und iſt meine ſuͤſſeſte Luſt ihm zu gehorchen, an Jhn
zu gedencken, wie ein Kind am liebſten bey ſeiner Mutter iſt; jetz
hange ich an den Bruͤſten des Lamms GOttes und ſauge die ſuͤſſe
Milch ſeiner Gnade, Liebe und H. Geiſtes begierig in mich, betrach-
te daheim und drauſſen Goͤttliche Wahrheiten; ich eſſe und verdaͤue
das Wort im flehenden Gebett; alſo daß mirs andere koͤnnen anſe-
hen, was ich in H. Schrifft geleſen; wahre Demuth hindert nicht
ſolches zum Preiſe GOttes heraus zu ſagen was man vorhin gewe-
ſen und durch GOttes Gnade jetz ſey; wie Paulus gethan.
§. 10. Fr. Mahlet uns denn auch das Buch der Natur dieſes
groſſe Geheimniß der neuen Geburt vor unſere Augen?
Antw. Ja! an allen Enden, wo man ſich hinwendet; ſo ſehr der
Teufel dawider brummet und ſo gerne ſeine Unterthanen auch ihren
Namen und Gedaͤchtniß auskratzen wollten, wie dann im Jahr 1724.
der Poͤbel im Appenzeller Land, die Lehre von der Wiedergeburt
durch das allgemeine Hand-Meer haben wollen abſetzen und ihren
Predigern allen ins geſammt ſcharff verbieten, dieſer Lehre nicht mehr
zu gedencken, ſo nun einige Neulinge wollen aufbringen, wovon
ihre alt-vordere nichts gewußt und waͤre es wohl uͤbel geſagt, wann
man nicht koͤnnte in Himmel kommen oder man wuͤrde gantz anderſt
und ſ. f. Allein dieſen Himmels-Stuͤrmern zu begegnen, haben
ſich die Prediger vereinbaret; an gleichem Sonntag auf allen Can-
tzeln im gantzen Land dieſen Text Joh. 3, 5. zu verhandeln und Ur-
ſach deſſen anzuzeigen. Mir ſelbſt iſt begegnet, daß, als ich in Jf-
ferten mein Amt antratte, mich ein Herr freundlich warnete, ich
ſolle ja nichts von Wiedergeburt melden, wo ich nicht in Verdacht
der Pietiſterey gerathen wolle. GOtt aber hat die Fußſtapffen und
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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/312>, abgerufen am 22.11.2024.
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