eben wie auch die heilige Propheten, einer armen Hure, die auf dem Marckt am Pranger stehet und Schanden halber sterben möch- te: Das Gesetz, Gewissen und alle Creatur schelten sie. Noch ist das Allerschwerste, daß sie gedencket, sie werde dieser Schand nim- mer los, weil sie lebe; Sünde, Teufel, Gesetz wollen sie zu tod drucken. Wann nun der Fürst des Landes einen barmhertzigen Ge- dancken zum Weib überkäme, und spräche zu seinen Räthen: Wohl- an! ich bin Herr, ich will hie etwas anrichten, davon man in al- len Landen sagen soll; ich will dem Weib so grosse Ehre anthun, daß sie der Schand gantz vergessen solle. Ja sie soll nachmahls GOtt dancken, daß ihr Fall ein Anlaß gewesen zu so grosser Herrlichkeit, sie soll meine Braut seyn. Sie wird solcher Gnade eingedenck blei- ben und mich lieb und werth haben.
Wie sollten sich doch die Räthe verwundern? Darnach gienge der Fürst mit den Grossen und Edelleuten seines Hofs mitten unter das Volck zum Weibe, und nähme ihr den Schandstein (bey uns das Halseisen) ab, und spräche: Meine Tochter, sey getrost! ich weiß wohl, daß deine Sache nicht recht ist; es soll aber keine Noth haben, du hast Gunst bey mir. O wie wunderlich wurde dem ar- men Weib zu muth seyn und gedencken: Ey lieber GOTT! was für eine tröstliche Sache widerfähret mir! was hat der Fürste im Sinn, wie kommt er darzu, daß er mich in dieser grossen Schand selbst in eigener Person tröstet. Wie wurden doch die Richter sol- ches sehende sich verbergen! das gemeine Volck, das zuvor mit Steinen und Koth zuwarff, stille stehen, schweigen.
Dernach fienge der Fürst an und spräche überlaut: Weib! ge- denck den Lebenlang daran, aus welcher Schand ich dich errettet, und zu welcher Ehre ich dich ohne dein Verdienst und wider das Urtheil das rechtlich über dich gesprochen war, gebracht habe: Jch habe dich erwählet, du sollt meine Allerliebste, eine Fürstin seyn, und Herrin über die Richtere; ließ ihr auch alsobald einen Fürsten- Schmuck anziehen: Jch meyne, die arme Frau möchte alsdann vor Freuden sterben.
§. 20. O
Die geiſtliche Vermaͤhlung JEſu
eben wie auch die heilige Propheten, einer armen Hure, die auf dem Marckt am Pranger ſtehet und Schanden halber ſterben moͤch- te: Das Geſetz, Gewiſſen und alle Creatur ſchelten ſie. Noch iſt das Allerſchwerſte, daß ſie gedencket, ſie werde dieſer Schand nim- mer los, weil ſie lebe; Suͤnde, Teufel, Geſetz wollen ſie zu tod drucken. Wann nun der Fuͤrſt des Landes einen barmhertzigen Ge- dancken zum Weib uͤberkaͤme, und ſpraͤche zu ſeinen Raͤthen: Wohl- an! ich bin Herr, ich will hie etwas anrichten, davon man in al- len Landen ſagen ſoll; ich will dem Weib ſo groſſe Ehre anthun, daß ſie der Schand gantz vergeſſen ſolle. Ja ſie ſoll nachmahls GOtt dancken, daß ihr Fall ein Anlaß geweſen zu ſo groſſer Herrlichkeit, ſie ſoll meine Braut ſeyn. Sie wird ſolcher Gnade eingedenck blei- ben und mich lieb und werth haben.
Wie ſollten ſich doch die Raͤthe verwundern? Darnach gienge der Fuͤrſt mit den Groſſen und Edelleuten ſeines Hofs mitten unter das Volck zum Weibe, und naͤhme ihr den Schandſtein (bey uns das Halseiſen) ab, und ſpraͤche: Meine Tochter, ſey getroſt! ich weiß wohl, daß deine Sache nicht recht iſt; es ſoll aber keine Noth haben, du haſt Gunſt bey mir. O wie wunderlich wurde dem ar- men Weib zu muth ſeyn und gedencken: Ey lieber GOTT! was fuͤr eine troͤſtliche Sache widerfaͤhret mir! was hat der Fuͤrſte im Sinn, wie kommt er darzu, daß er mich in dieſer groſſen Schand ſelbſt in eigener Perſon troͤſtet. Wie wurden doch die Richter ſol- ches ſehende ſich verbergen! das gemeine Volck, das zuvor mit Steinen und Koth zuwarff, ſtille ſtehen, ſchweigen.
Dernach fienge der Fuͤrſt an und ſpraͤche uͤberlaut: Weib! ge- denck den Lebenlang daran, aus welcher Schand ich dich errettet, und zu welcher Ehre ich dich ohne dein Verdienſt und wider das Urtheil das rechtlich uͤber dich geſprochen war, gebracht habe: Jch habe dich erwaͤhlet, du ſollt meine Allerliebſte, eine Fuͤrſtin ſeyn, und Herrin uͤber die Richtere; ließ ihr auch alſobald einen Fuͤrſten- Schmuck anziehen: Jch meyne, die arme Frau moͤchte alsdann vor Freuden ſterben.
§. 20. O
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f1416"n="1320"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Die geiſtliche Vermaͤhlung JEſu</hi></fw><lb/>
eben wie auch die heilige Propheten, einer armen Hure, die auf<lb/>
dem Marckt am Pranger ſtehet und Schanden halber ſterben moͤch-<lb/>
te: Das Geſetz, Gewiſſen und alle Creatur ſchelten ſie. Noch iſt<lb/>
das Allerſchwerſte, daß ſie gedencket, ſie werde dieſer Schand nim-<lb/>
mer los, weil ſie lebe; Suͤnde, Teufel, Geſetz wollen ſie zu tod<lb/>
drucken. Wann nun der Fuͤrſt des Landes einen barmhertzigen Ge-<lb/>
dancken zum Weib uͤberkaͤme, und ſpraͤche zu ſeinen Raͤthen: Wohl-<lb/>
an! ich bin Herr, ich will hie etwas anrichten, davon man in al-<lb/>
len Landen ſagen ſoll; ich will dem Weib ſo groſſe Ehre anthun, daß<lb/>ſie der Schand gantz vergeſſen ſolle. Ja ſie ſoll nachmahls GOtt<lb/>
dancken, daß ihr Fall ein Anlaß geweſen zu ſo groſſer Herrlichkeit,<lb/>ſie ſoll meine Braut ſeyn. Sie wird ſolcher Gnade eingedenck blei-<lb/>
ben und mich lieb und werth haben.</p><lb/><p>Wie ſollten ſich doch die Raͤthe verwundern? Darnach gienge<lb/>
der Fuͤrſt mit den Groſſen und Edelleuten ſeines Hofs mitten unter<lb/>
das Volck zum Weibe, und naͤhme ihr den Schandſtein (bey uns<lb/>
das Halseiſen) ab, und ſpraͤche: Meine Tochter, ſey getroſt! ich<lb/>
weiß wohl, daß deine Sache nicht recht iſt; es ſoll aber keine Noth<lb/>
haben, du haſt Gunſt bey mir. O wie wunderlich wurde dem ar-<lb/>
men Weib zu muth ſeyn und gedencken: Ey lieber GOTT! was<lb/>
fuͤr eine troͤſtliche Sache widerfaͤhret mir! was hat der Fuͤrſte im<lb/>
Sinn, wie kommt er darzu, daß er mich in dieſer groſſen Schand<lb/>ſelbſt in eigener Perſon troͤſtet. Wie wurden doch die Richter ſol-<lb/>
ches ſehende ſich verbergen! das gemeine Volck, das zuvor mit<lb/>
Steinen und Koth zuwarff, ſtille ſtehen, ſchweigen.</p><lb/><p>Dernach fienge der Fuͤrſt an und ſpraͤche uͤberlaut: Weib! ge-<lb/>
denck den Lebenlang daran, aus welcher Schand ich dich errettet,<lb/>
und zu welcher Ehre ich dich ohne dein Verdienſt und wider das<lb/>
Urtheil das rechtlich uͤber dich geſprochen war, gebracht habe: Jch<lb/>
habe dich erwaͤhlet, du ſollt meine Allerliebſte, eine Fuͤrſtin ſeyn,<lb/>
und Herrin uͤber die Richtere; ließ ihr auch alſobald einen Fuͤrſten-<lb/>
Schmuck anziehen: Jch meyne, die arme Frau moͤchte alsdann vor<lb/>
Freuden ſterben.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">§. 20. O</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[1320/1416]
Die geiſtliche Vermaͤhlung JEſu
eben wie auch die heilige Propheten, einer armen Hure, die auf
dem Marckt am Pranger ſtehet und Schanden halber ſterben moͤch-
te: Das Geſetz, Gewiſſen und alle Creatur ſchelten ſie. Noch iſt
das Allerſchwerſte, daß ſie gedencket, ſie werde dieſer Schand nim-
mer los, weil ſie lebe; Suͤnde, Teufel, Geſetz wollen ſie zu tod
drucken. Wann nun der Fuͤrſt des Landes einen barmhertzigen Ge-
dancken zum Weib uͤberkaͤme, und ſpraͤche zu ſeinen Raͤthen: Wohl-
an! ich bin Herr, ich will hie etwas anrichten, davon man in al-
len Landen ſagen ſoll; ich will dem Weib ſo groſſe Ehre anthun, daß
ſie der Schand gantz vergeſſen ſolle. Ja ſie ſoll nachmahls GOtt
dancken, daß ihr Fall ein Anlaß geweſen zu ſo groſſer Herrlichkeit,
ſie ſoll meine Braut ſeyn. Sie wird ſolcher Gnade eingedenck blei-
ben und mich lieb und werth haben.
Wie ſollten ſich doch die Raͤthe verwundern? Darnach gienge
der Fuͤrſt mit den Groſſen und Edelleuten ſeines Hofs mitten unter
das Volck zum Weibe, und naͤhme ihr den Schandſtein (bey uns
das Halseiſen) ab, und ſpraͤche: Meine Tochter, ſey getroſt! ich
weiß wohl, daß deine Sache nicht recht iſt; es ſoll aber keine Noth
haben, du haſt Gunſt bey mir. O wie wunderlich wurde dem ar-
men Weib zu muth ſeyn und gedencken: Ey lieber GOTT! was
fuͤr eine troͤſtliche Sache widerfaͤhret mir! was hat der Fuͤrſte im
Sinn, wie kommt er darzu, daß er mich in dieſer groſſen Schand
ſelbſt in eigener Perſon troͤſtet. Wie wurden doch die Richter ſol-
ches ſehende ſich verbergen! das gemeine Volck, das zuvor mit
Steinen und Koth zuwarff, ſtille ſtehen, ſchweigen.
Dernach fienge der Fuͤrſt an und ſpraͤche uͤberlaut: Weib! ge-
denck den Lebenlang daran, aus welcher Schand ich dich errettet,
und zu welcher Ehre ich dich ohne dein Verdienſt und wider das
Urtheil das rechtlich uͤber dich geſprochen war, gebracht habe: Jch
habe dich erwaͤhlet, du ſollt meine Allerliebſte, eine Fuͤrſtin ſeyn,
und Herrin uͤber die Richtere; ließ ihr auch alſobald einen Fuͤrſten-
Schmuck anziehen: Jch meyne, die arme Frau moͤchte alsdann vor
Freuden ſterben.
§. 20. O
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 1320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/1416>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.