halb, unvollkommen, jucks-weise nur unterweilen, sondern bestän- dig: Hunger und Durst entstehen aus einem wesentlichen Mangel, der den Leib verunruhiget, quälet, ängstiget, also daß ihn die To- des-Forcht treibet und nöthiget sich nach Nahrung umzusehen; eben- mäßig förchtet die hungerige Seele Tod und Hölle, so lang sie JE- sum nicht hat, gerade wie Rachel zu Jacob sagte: Schaffe mir Kinder, oder ich stirbe, so ängstlichen seufftzet das Hertz zu GOTT, daß JEsus in ihme eine Gestalt gewinne a.
§. 5. O ihr arme Seelen habt ihr dann keine Begierden? seydDie wel- che in die- sen Um- ständen stehen, werden von ihrer Thorheit überzeu- get. ihr dann so tumm, so zerstreuet, so voll und truncken von denen Din- gen dieser Welt, daß ihr das himmlische Sehnen eurer Seelen, so der grosse Werckmeister in euers Hertzens-Grund eingepräget hat, nicht gewar werdet? Liebet ihr das Leben gar nichts? scheuet ihr den Tod und die Qualen nichts? Wo wollet ihr Leben und Himmel finden als im Frieden mit GOtt und der Vereinigung mit seiner Liebe. Macht euch das keine Mühe, daß die Sünd das Zorn-Feuer GOt- tes über euch angezündet und eure Seelen dem ewigen Verderben unterworffen? Bewegen euch GOttes Erbarmungen nichts, daß er euch seinen Sohn gegeben, der für euch am Creutz gestorben ist und uns seine vollkommene Gerechtigkeit in seinem gecreutzigten Fleisch und vergossenen Blut anbietet? soll dann euer Hunger und Durst nach JEsu Christo nicht eben so groß seyn, als die natürliche Liebe zum Leben und das Grauen vorm Tod und ewiger Noth? Soll die Begierd nach JEsu nicht eben so brünstig seyn als die Begierd dem künfftigen Zorn zu entrinnen, der uns in höllischen Abgrund stürtzet und eben so sehnlich als die Begierd den GOtt der Liebe zu unserm ver- söhnten Vatter zu haben, der uns ewig Leben gibt und erhalt; Folg- lich soll unser Hunger und Durst nach Christi Fleisch und Blut, nach Christi Leben und Freud ohne Maß und ohne Schrancken seyn, zu- mahlen es das eintzige Mittel ist die natürliche Lebens-Begierde zu erfüllen; aber ach wie kalt ist unser Hertz gegen JESU.
§. 6. Und wie schlecht ist das Verlangen mit GOttes SchönheitJn dem wenigen Verlan- gen mit der Hei- ligkeit und Heiligkeit begnadiget und vereiniget zu werden, welche ein Quel- le vollkommnester Tugenden ist die Seele zu zieren! die Sünde schei- det uns von dieser Göttlichen Schönheit; GOtt aber offenbahret
seinen
aMatth. V. 6.
T t t t t t 2
Lebens-Mahlzeit.
halb, unvollkommen, jucks-weiſe nur unterweilen, ſondern beſtaͤn- dig: Hunger und Durſt entſtehen aus einem weſentlichen Mangel, der den Leib verunruhiget, quaͤlet, aͤngſtiget, alſo daß ihn die To- des-Forcht treibet und noͤthiget ſich nach Nahrung umzuſehen; eben- maͤßig foͤrchtet die hungerige Seele Tod und Hoͤlle, ſo lang ſie JE- ſum nicht hat, gerade wie Rachel zu Jacob ſagte: Schaffe mir Kinder, oder ich ſtirbe, ſo aͤngſtlichen ſeufftzet das Hertz zu GOTT, daß JEſus in ihme eine Geſtalt gewinne a.
§. 5. O ihr arme Seelen habt ihr dann keine Begierden? ſeydDie wel- che in die- ſen Um- ſtaͤnden ſtehen, werden von ihrer Thorheit uͤberzeu- get. ihr dann ſo tumm, ſo zerſtreuet, ſo voll und truncken von denen Din- gen dieſer Welt, daß ihr das himmliſche Sehnen eurer Seelen, ſo der groſſe Werckmeiſter in euers Hertzens-Grund eingepraͤget hat, nicht gewar werdet? Liebet ihr das Leben gar nichts? ſcheuet ihr den Tod und die Qualen nichts? Wo wollet ihr Leben und Himmel finden als im Frieden mit GOtt und der Vereinigung mit ſeiner Liebe. Macht euch das keine Muͤhe, daß die Suͤnd das Zorn-Feuer GOt- tes uͤber euch angezuͤndet und eure Seelen dem ewigen Verderben unterworffen? Bewegen euch GOttes Erbarmungen nichts, daß er euch ſeinen Sohn gegeben, der fuͤr euch am Creutz geſtorben iſt und uns ſeine vollkommene Gerechtigkeit in ſeinem gecreutzigten Fleiſch und vergoſſenen Blut anbietet? ſoll dann euer Hunger und Durſt nach JEſu Chriſto nicht eben ſo groß ſeyn, als die natuͤrliche Liebe zum Leben und das Grauen vorm Tod und ewiger Noth? Soll die Begierd nach JEſu nicht eben ſo bruͤnſtig ſeyn als die Begierd dem kuͤnfftigen Zorn zu entrinnen, der uns in hoͤlliſchen Abgrund ſtuͤrtzet und eben ſo ſehnlich als die Begierd den GOtt der Liebe zu unſerm ver- ſoͤhnten Vatter zu haben, der uns ewig Leben gibt und erhalt; Folg- lich ſoll unſer Hunger und Durſt nach Chriſti Fleiſch und Blut, nach Chriſti Leben und Freud ohne Maß und ohne Schrancken ſeyn, zu- mahlen es das eintzige Mittel iſt die natuͤrliche Lebens-Begierde zu erfuͤllen; aber ach wie kalt iſt unſer Hertz gegen JESU.
§. 6. Und wie ſchlecht iſt das Verlangen mit GOttes SchoͤnheitJn dem wenigen Verlan- gen mit der Hei- ligkeit und Heiligkeit begnadiget und vereiniget zu werden, welche ein Quel- le vollkommneſter Tugenden iſt die Seele zu zieren! die Suͤnde ſchei- det uns von dieſer Goͤttlichen Schoͤnheit; GOtt aber offenbahret
ſeinen
aMatth. V. 6.
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Lebens-Mahlzeit.
halb, unvollkommen, jucks-weiſe nur unterweilen, ſondern beſtaͤn-
dig: Hunger und Durſt entſtehen aus einem weſentlichen Mangel,
der den Leib verunruhiget, quaͤlet, aͤngſtiget, alſo daß ihn die To-
des-Forcht treibet und noͤthiget ſich nach Nahrung umzuſehen; eben-
maͤßig foͤrchtet die hungerige Seele Tod und Hoͤlle, ſo lang ſie JE-
ſum nicht hat, gerade wie Rachel zu Jacob ſagte: Schaffe mir
Kinder, oder ich ſtirbe, ſo aͤngſtlichen ſeufftzet das Hertz zu GOTT,
daß JEſus in ihme eine Geſtalt gewinne a.
§. 5. O ihr arme Seelen habt ihr dann keine Begierden? ſeyd
ihr dann ſo tumm, ſo zerſtreuet, ſo voll und truncken von denen Din-
gen dieſer Welt, daß ihr das himmliſche Sehnen eurer Seelen, ſo
der groſſe Werckmeiſter in euers Hertzens-Grund eingepraͤget hat,
nicht gewar werdet? Liebet ihr das Leben gar nichts? ſcheuet ihr
den Tod und die Qualen nichts? Wo wollet ihr Leben und Himmel
finden als im Frieden mit GOtt und der Vereinigung mit ſeiner Liebe.
Macht euch das keine Muͤhe, daß die Suͤnd das Zorn-Feuer GOt-
tes uͤber euch angezuͤndet und eure Seelen dem ewigen Verderben
unterworffen? Bewegen euch GOttes Erbarmungen nichts, daß er
euch ſeinen Sohn gegeben, der fuͤr euch am Creutz geſtorben iſt und
uns ſeine vollkommene Gerechtigkeit in ſeinem gecreutzigten Fleiſch
und vergoſſenen Blut anbietet? ſoll dann euer Hunger und Durſt
nach JEſu Chriſto nicht eben ſo groß ſeyn, als die natuͤrliche Liebe
zum Leben und das Grauen vorm Tod und ewiger Noth? Soll die
Begierd nach JEſu nicht eben ſo bruͤnſtig ſeyn als die Begierd dem
kuͤnfftigen Zorn zu entrinnen, der uns in hoͤlliſchen Abgrund ſtuͤrtzet und
eben ſo ſehnlich als die Begierd den GOtt der Liebe zu unſerm ver-
ſoͤhnten Vatter zu haben, der uns ewig Leben gibt und erhalt; Folg-
lich ſoll unſer Hunger und Durſt nach Chriſti Fleiſch und Blut, nach
Chriſti Leben und Freud ohne Maß und ohne Schrancken ſeyn, zu-
mahlen es das eintzige Mittel iſt die natuͤrliche Lebens-Begierde zu
erfuͤllen; aber ach wie kalt iſt unſer Hertz gegen JESU.
Die wel-
che in die-
ſen Um-
ſtaͤnden
ſtehen,
werden
von ihrer
Thorheit
uͤberzeu-
get.
§. 6. Und wie ſchlecht iſt das Verlangen mit GOttes Schoͤnheit
und Heiligkeit begnadiget und vereiniget zu werden, welche ein Quel-
le vollkommneſter Tugenden iſt die Seele zu zieren! die Suͤnde ſchei-
det uns von dieſer Goͤttlichen Schoͤnheit; GOtt aber offenbahret
ſeinen
Jn dem
wenigen
Verlan-
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der Hei-
ligkeit
a Matth. V. 6.
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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 1067. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/1163>, abgerufen am 22.11.2024.
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