Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.nungen des Landmannes, in welchen die besten Freuden des nächsten Jahres eingeschlossen liegen, ich lasse mir sagen, ob der Schnee der weißen Weihnachten von der Art ist, um das Versprechen grüner Ostern auch wirklich zu halten. Endlich sind die Gebräuche, mit welchen die Weihnacht in manchen Bauernstuben gefeiert wird, auch nicht zu unterschätzen; um die von kunstloser Hand angefertigten, ganz von traulichem Moos umgebenen "Krippen" sammeln sich Kinder, welche dann mit dem Oechslein oder Eselein an der Brust glücklicher zu Bette gehen, als die meisten Stadtkinder, nachdem sie den Crinolinen-Umfang ihrer neuen Puppen geprüft haben. Dieses Jahr ist das erste, in welchem ich mich zu alt fühle, um es noch einmal mit Schnee und Frost aufzunehmen. Es ist freilich auch das erste meiner Pensionirung, und wie das Amt den Verstand, so ziehe die Pensionirung das Alter nach sich. Wer nicht pensionirt wurde, weil er zu alt ist, der wird sicherlich alt werden, weil er pensionirt wurde. Nie durch Weib und Kind beglückt, nun auch zum erstenmale eines Vergnügens meiner kräftigeren Jahre beraubt, bleibt mir in meiner Einsamkeit nichts übrig, als mir still und allein den Weihnachtsbaum des Alters anzuzünden. Das ist natürlich der Baum der Einbildungskraft, über und über behängt mit Erinnerungen, worunter manches Spielzeug, nach welchem man aber einst ungemein ernsthaft die Hände ausgestreckt hat. Indem ich mich jedoch des Ausdrucks "Weihnachtsbaum des Alters" nungen des Landmannes, in welchen die besten Freuden des nächsten Jahres eingeschlossen liegen, ich lasse mir sagen, ob der Schnee der weißen Weihnachten von der Art ist, um das Versprechen grüner Ostern auch wirklich zu halten. Endlich sind die Gebräuche, mit welchen die Weihnacht in manchen Bauernstuben gefeiert wird, auch nicht zu unterschätzen; um die von kunstloser Hand angefertigten, ganz von traulichem Moos umgebenen “Krippen“ sammeln sich Kinder, welche dann mit dem Oechslein oder Eselein an der Brust glücklicher zu Bette gehen, als die meisten Stadtkinder, nachdem sie den Crinolinen-Umfang ihrer neuen Puppen geprüft haben. Dieses Jahr ist das erste, in welchem ich mich zu alt fühle, um es noch einmal mit Schnee und Frost aufzunehmen. Es ist freilich auch das erste meiner Pensionirung, und wie das Amt den Verstand, so ziehe die Pensionirung das Alter nach sich. Wer nicht pensionirt wurde, weil er zu alt ist, der wird sicherlich alt werden, weil er pensionirt wurde. Nie durch Weib und Kind beglückt, nun auch zum erstenmale eines Vergnügens meiner kräftigeren Jahre beraubt, bleibt mir in meiner Einsamkeit nichts übrig, als mir still und allein den Weihnachtsbaum des Alters anzuzünden. Das ist natürlich der Baum der Einbildungskraft, über und über behängt mit Erinnerungen, worunter manches Spielzeug, nach welchem man aber einst ungemein ernsthaft die Hände ausgestreckt hat. Indem ich mich jedoch des Ausdrucks „Weihnachtsbaum des Alters“ <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0008"/> nungen des Landmannes, in welchen die besten Freuden des nächsten Jahres eingeschlossen liegen, ich lasse mir sagen, ob der Schnee der weißen Weihnachten von der Art ist, um das Versprechen grüner Ostern auch wirklich zu halten. Endlich sind die Gebräuche, mit welchen die Weihnacht in manchen Bauernstuben gefeiert wird, auch nicht zu unterschätzen; um die von kunstloser Hand angefertigten, ganz von traulichem Moos umgebenen “Krippen“ sammeln sich Kinder, welche dann mit dem Oechslein oder Eselein an der Brust glücklicher zu Bette gehen, als die meisten Stadtkinder, nachdem sie den Crinolinen-Umfang ihrer neuen Puppen geprüft haben.</p><lb/> <p>Dieses Jahr ist das erste, in welchem ich mich zu alt fühle, um es noch einmal mit Schnee und Frost aufzunehmen. Es ist freilich auch das erste meiner Pensionirung, und wie das Amt den Verstand, so ziehe die Pensionirung das Alter nach sich. Wer nicht pensionirt wurde, weil er zu alt ist, der wird sicherlich alt werden, weil er pensionirt wurde. Nie durch Weib und Kind beglückt, nun auch zum erstenmale eines Vergnügens meiner kräftigeren Jahre beraubt, bleibt mir in meiner Einsamkeit nichts übrig, als mir still und allein den Weihnachtsbaum des Alters anzuzünden.</p><lb/> <p>Das ist natürlich der Baum der Einbildungskraft, über und über behängt mit Erinnerungen, worunter manches Spielzeug, nach welchem man aber einst ungemein ernsthaft die Hände ausgestreckt hat. Indem ich mich jedoch des Ausdrucks „Weihnachtsbaum des Alters“<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0008]
nungen des Landmannes, in welchen die besten Freuden des nächsten Jahres eingeschlossen liegen, ich lasse mir sagen, ob der Schnee der weißen Weihnachten von der Art ist, um das Versprechen grüner Ostern auch wirklich zu halten. Endlich sind die Gebräuche, mit welchen die Weihnacht in manchen Bauernstuben gefeiert wird, auch nicht zu unterschätzen; um die von kunstloser Hand angefertigten, ganz von traulichem Moos umgebenen “Krippen“ sammeln sich Kinder, welche dann mit dem Oechslein oder Eselein an der Brust glücklicher zu Bette gehen, als die meisten Stadtkinder, nachdem sie den Crinolinen-Umfang ihrer neuen Puppen geprüft haben.
Dieses Jahr ist das erste, in welchem ich mich zu alt fühle, um es noch einmal mit Schnee und Frost aufzunehmen. Es ist freilich auch das erste meiner Pensionirung, und wie das Amt den Verstand, so ziehe die Pensionirung das Alter nach sich. Wer nicht pensionirt wurde, weil er zu alt ist, der wird sicherlich alt werden, weil er pensionirt wurde. Nie durch Weib und Kind beglückt, nun auch zum erstenmale eines Vergnügens meiner kräftigeren Jahre beraubt, bleibt mir in meiner Einsamkeit nichts übrig, als mir still und allein den Weihnachtsbaum des Alters anzuzünden.
Das ist natürlich der Baum der Einbildungskraft, über und über behängt mit Erinnerungen, worunter manches Spielzeug, nach welchem man aber einst ungemein ernsthaft die Hände ausgestreckt hat. Indem ich mich jedoch des Ausdrucks „Weihnachtsbaum des Alters“
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Zitationshilfe: | Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/8>, abgerufen am 17.02.2025. |