Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.schauen, um sich von der vollen Wahrheit zu überzeugen, fragte sie: Rein also aus Liebe zur Natur haben Sie diese Winterreise unternommen und gerade in diese von der Residenz so weit entlegene Gegend? Wie sie jetzt vor mir stand, die zierliche Gestalt, der die Treppenstufen zu einem würdig erhöhenden Piedestal dienten, im Antlitz einen fast beklommenen Ernst, eine Antwort erwartend, die, an sich unwichtig, nur ihrer Abgeschiedenheit und Vereinsamung bedeutungsvoll vorkommen konnte, da wäre es mir eine unmögliche Entweihung alles dessen gewesen, was in meinem alten Herzen noch an Poesie übrig war, wenn ich eine Unwahrheit gesagt hätte. Ich entgegnete daher: Ich bin Custos der Kunstschätze des Fürsten***). Oft hörte ich meinen lieben Gebieter begeistert von einem Gemälde sprechen, daß sich in der Sammlung dieses Schlosses befinden soll. Zwar nicht einer Hoffnung, aber doch einer leichten Möglichkeit, des Bildes ansichtig zu werden, wollte ich Raum lassen, als ich meinen gewohnten Weihnachtsausflug diesmal hieher lenkte. Ein Schatten flog über ihre Züge, und mit einer gewissen Herbheit des Tones sagte sie: Welchen Namen führt das Bild, das Sie meinen? Ich erwiderte: Es ist Ary Scheffer's heilige Monica mit ihrem Sohne, dem heiligen Augustin. Sie wurde bleich und starrte mich einige Augen- schauen, um sich von der vollen Wahrheit zu überzeugen, fragte sie: Rein also aus Liebe zur Natur haben Sie diese Winterreise unternommen und gerade in diese von der Residenz so weit entlegene Gegend? Wie sie jetzt vor mir stand, die zierliche Gestalt, der die Treppenstufen zu einem würdig erhöhenden Piedestal dienten, im Antlitz einen fast beklommenen Ernst, eine Antwort erwartend, die, an sich unwichtig, nur ihrer Abgeschiedenheit und Vereinsamung bedeutungsvoll vorkommen konnte, da wäre es mir eine unmögliche Entweihung alles dessen gewesen, was in meinem alten Herzen noch an Poesie übrig war, wenn ich eine Unwahrheit gesagt hätte. Ich entgegnete daher: Ich bin Custos der Kunstschätze des Fürsten***). Oft hörte ich meinen lieben Gebieter begeistert von einem Gemälde sprechen, daß sich in der Sammlung dieses Schlosses befinden soll. Zwar nicht einer Hoffnung, aber doch einer leichten Möglichkeit, des Bildes ansichtig zu werden, wollte ich Raum lassen, als ich meinen gewohnten Weihnachtsausflug diesmal hieher lenkte. Ein Schatten flog über ihre Züge, und mit einer gewissen Herbheit des Tones sagte sie: Welchen Namen führt das Bild, das Sie meinen? Ich erwiderte: Es ist Ary Scheffer's heilige Monica mit ihrem Sohne, dem heiligen Augustin. Sie wurde bleich und starrte mich einige Augen- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0028"/> schauen, um sich von der vollen Wahrheit zu überzeugen, fragte sie:</p><lb/> <p>Rein also aus Liebe zur Natur haben Sie diese Winterreise unternommen und gerade in diese von der Residenz so weit entlegene Gegend?</p><lb/> <p>Wie sie jetzt vor mir stand, die zierliche Gestalt, der die Treppenstufen zu einem würdig erhöhenden Piedestal dienten, im Antlitz einen fast beklommenen Ernst, eine Antwort erwartend, die, an sich unwichtig, nur ihrer Abgeschiedenheit und Vereinsamung bedeutungsvoll vorkommen konnte, da wäre es mir eine unmögliche Entweihung alles dessen gewesen, was in meinem alten Herzen noch an Poesie übrig war, wenn ich eine Unwahrheit gesagt hätte. Ich entgegnete daher:</p><lb/> <p>Ich bin Custos der Kunstschätze des Fürsten***). Oft hörte ich meinen lieben Gebieter begeistert von einem Gemälde sprechen, daß sich in der Sammlung dieses Schlosses befinden soll. Zwar nicht einer Hoffnung, aber doch einer leichten Möglichkeit, des Bildes ansichtig zu werden, wollte ich Raum lassen, als ich meinen gewohnten Weihnachtsausflug diesmal hieher lenkte.</p><lb/> <p>Ein Schatten flog über ihre Züge, und mit einer gewissen Herbheit des Tones sagte sie: Welchen Namen führt das Bild, das Sie meinen?</p><lb/> <p>Ich erwiderte: Es ist Ary Scheffer's heilige Monica mit ihrem Sohne, dem heiligen Augustin.</p><lb/> <p>Sie wurde bleich und starrte mich einige Augen-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
schauen, um sich von der vollen Wahrheit zu überzeugen, fragte sie:
Rein also aus Liebe zur Natur haben Sie diese Winterreise unternommen und gerade in diese von der Residenz so weit entlegene Gegend?
Wie sie jetzt vor mir stand, die zierliche Gestalt, der die Treppenstufen zu einem würdig erhöhenden Piedestal dienten, im Antlitz einen fast beklommenen Ernst, eine Antwort erwartend, die, an sich unwichtig, nur ihrer Abgeschiedenheit und Vereinsamung bedeutungsvoll vorkommen konnte, da wäre es mir eine unmögliche Entweihung alles dessen gewesen, was in meinem alten Herzen noch an Poesie übrig war, wenn ich eine Unwahrheit gesagt hätte. Ich entgegnete daher:
Ich bin Custos der Kunstschätze des Fürsten***). Oft hörte ich meinen lieben Gebieter begeistert von einem Gemälde sprechen, daß sich in der Sammlung dieses Schlosses befinden soll. Zwar nicht einer Hoffnung, aber doch einer leichten Möglichkeit, des Bildes ansichtig zu werden, wollte ich Raum lassen, als ich meinen gewohnten Weihnachtsausflug diesmal hieher lenkte.
Ein Schatten flog über ihre Züge, und mit einer gewissen Herbheit des Tones sagte sie: Welchen Namen führt das Bild, das Sie meinen?
Ich erwiderte: Es ist Ary Scheffer's heilige Monica mit ihrem Sohne, dem heiligen Augustin.
Sie wurde bleich und starrte mich einige Augen-
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(2017-03-15T14:30:32Z)
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
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