Lorinser, Carl Ignaz: Der Sieg über die Branntweinpest in Oberschlesien. Oppeln, 1845.wird, daß diese den Branntwein viel mehr als jene lieben, da doch früher stets das Gegentheil behauptet wurde. Man hat also die geographische Lage erwogen, und nach einer unter uns noch immer gangbaren Meinung geglaubt, daß bei den nördlichen Völkern der Verstand, bei den südlichen das Gefühl (die Fantasie) vorwaltend, und lezteres bei der Sache das Entscheidende sei. Allein die Slaven leben hier mit den Deutschen unter demselben Breitegrade, und jener geistige Unterschied, der blos ein quantitatives Verhältniß ausdrückt, wird als ein allgemein gültiger schwerlich von Solchen anerkannt werden, die den Charakter der verschiedenen Nationen aus Erfahrung kennen. Die Franzosen z. B. sind von kundigen Beobachtern sogar als reine Verstandesmenschen angesehen worden, der Scharfsinn der Italiener ist fast zum Sprüchwort geworden, und die Deutschen werden unter beiden das gefühlvolle Wesen und die sogenannte Gemüthlichkeit am häufigsten zu vermissen glauben. Hätte bei den lezteren wirklich der Verstand ein so großes Uebergewicht, so müßte sie dieses um so mehr bestimmen, einer Gewohnheit zu entsagen, die für Leib und Seele offenbar verderblich ist. Mir scheint der unterscheidende Charakter vielmehr qualitativ zu sein und vorzugsweise in der Beweglichkeit des Gemüthes zu liegen, welches bei einigen Völkern regsamer und lebendiger, bei andern ruhiger und fester sich verhält. In dieser größeren Beweglichkeit, die auch den Slaven eigenthümlich ist, finde ich das wichtigste wird, daß diese den Branntwein viel mehr als jene lieben, da doch früher stets das Gegentheil behauptet wurde. Man hat also die geographische Lage erwogen, und nach einer unter uns noch immer gangbaren Meinung geglaubt, daß bei den nördlichen Völkern der Verstand, bei den südlichen das Gefühl (die Fantasie) vorwaltend, und lezteres bei der Sache das Entscheidende sei. Allein die Slaven leben hier mit den Deutschen unter demselben Breitegrade, und jener geistige Unterschied, der blos ein quantitatives Verhältniß ausdrückt, wird als ein allgemein gültiger schwerlich von Solchen anerkannt werden, die den Charakter der verschiedenen Nationen aus Erfahrung kennen. Die Franzosen z. B. sind von kundigen Beobachtern sogar als reine Verstandesmenschen angesehen worden, der Scharfsinn der Italiener ist fast zum Sprüchwort geworden, und die Deutschen werden unter beiden das gefühlvolle Wesen und die sogenannte Gemüthlichkeit am häufigsten zu vermissen glauben. Hätte bei den lezteren wirklich der Verstand ein so großes Uebergewicht, so müßte sie dieses um so mehr bestimmen, einer Gewohnheit zu entsagen, die für Leib und Seele offenbar verderblich ist. Mir scheint der unterscheidende Charakter vielmehr qualitativ zu sein und vorzugsweise in der Beweglichkeit des Gemüthes zu liegen, welches bei einigen Völkern regsamer und lebendiger, bei andern ruhiger und fester sich verhält. In dieser größeren Beweglichkeit, die auch den Slaven eigenthümlich ist, finde ich das wichtigste <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0071" n="61"/> wird, daß diese den Branntwein viel mehr als jene lieben, da doch früher stets das Gegentheil behauptet wurde. Man hat also die geographische Lage erwogen, und nach einer unter uns noch immer gangbaren Meinung geglaubt, daß bei den nördlichen Völkern der Verstand, bei den südlichen das Gefühl (die Fantasie) vorwaltend, und lezteres bei der Sache das Entscheidende sei. Allein die Slaven leben hier mit den Deutschen unter demselben Breitegrade, und jener geistige Unterschied, der blos ein quantitatives Verhältniß ausdrückt, wird als ein allgemein gültiger schwerlich von Solchen anerkannt werden, die den Charakter der verschiedenen Nationen aus Erfahrung kennen. Die Franzosen z. B. sind von kundigen Beobachtern sogar als reine Verstandesmenschen angesehen worden, der Scharfsinn der Italiener ist fast zum Sprüchwort geworden, und die Deutschen werden unter beiden das gefühlvolle Wesen und die sogenannte Gemüthlichkeit am häufigsten zu vermissen glauben. Hätte bei den lezteren wirklich der Verstand ein so großes Uebergewicht, so müßte sie dieses um so mehr bestimmen, einer Gewohnheit zu entsagen, die für Leib und Seele offenbar verderblich ist. Mir scheint der unterscheidende Charakter vielmehr qualitativ zu sein und vorzugsweise in der <hi rendition="#g">Beweglichkeit</hi> des Gemüthes zu liegen, welches bei einigen Völkern regsamer und lebendiger, bei andern ruhiger und fester sich verhält. In dieser größeren Beweglichkeit, die auch den Slaven eigenthümlich ist, finde ich das wichtigste </p> </div> </body> </text> </TEI> [61/0071]
wird, daß diese den Branntwein viel mehr als jene lieben, da doch früher stets das Gegentheil behauptet wurde. Man hat also die geographische Lage erwogen, und nach einer unter uns noch immer gangbaren Meinung geglaubt, daß bei den nördlichen Völkern der Verstand, bei den südlichen das Gefühl (die Fantasie) vorwaltend, und lezteres bei der Sache das Entscheidende sei. Allein die Slaven leben hier mit den Deutschen unter demselben Breitegrade, und jener geistige Unterschied, der blos ein quantitatives Verhältniß ausdrückt, wird als ein allgemein gültiger schwerlich von Solchen anerkannt werden, die den Charakter der verschiedenen Nationen aus Erfahrung kennen. Die Franzosen z. B. sind von kundigen Beobachtern sogar als reine Verstandesmenschen angesehen worden, der Scharfsinn der Italiener ist fast zum Sprüchwort geworden, und die Deutschen werden unter beiden das gefühlvolle Wesen und die sogenannte Gemüthlichkeit am häufigsten zu vermissen glauben. Hätte bei den lezteren wirklich der Verstand ein so großes Uebergewicht, so müßte sie dieses um so mehr bestimmen, einer Gewohnheit zu entsagen, die für Leib und Seele offenbar verderblich ist. Mir scheint der unterscheidende Charakter vielmehr qualitativ zu sein und vorzugsweise in der Beweglichkeit des Gemüthes zu liegen, welches bei einigen Völkern regsamer und lebendiger, bei andern ruhiger und fester sich verhält. In dieser größeren Beweglichkeit, die auch den Slaven eigenthümlich ist, finde ich das wichtigste
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