Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

solchen Sachen muß ein Mädchen, wie du, noch gar nichts wissen. Zu unserer Zeit schlugen wir die Augen nieder, wenn nur das Wort Heirath genannt wurde. Die Welt wird immer schlimmer.

Mariane sagte nichts, aber sie vergaß Justinens Bemerkung eben so wenig. Sie konnte es nicht leugnen, daß Börner sich an sie drängte, ihr auffallenden Vorzug bewies, sie mit Blicken und Schmeicheleien, mit Gefälligkeiten aller Art verfolgte. Sonst war sie zu unbefangen, jetzt oft zu traurig gewesen, um viel darauf zu achten; zuweilen fand sie sich wohl von seiner Aufmerksamkeit belästigt, doch das hielt sie sich nicht zu Gute, schrieb es auf ihre Verstimmung und zwang sich zu doppelter Freundlichkeit. Justinens Warnung erschreckte sie, sie dachte nach und fand Ursache, ihr Recht zu geben. Seit ihrem Unglück begegnete sie oft einem seltsamen freudigen Blick in Börner's Augen, besonders wenn Pistor's Name zufällig genannt wurde oder irgend eine Wendung des Gesprächs ihr Herz traf und das Blut verrätherisch in ihre Wange trieb. Schadenfreude oder Haß malte sich in diesem Blicke. Einmal hat er sogar über das Mißgeschick der Truppen gespöttelt und das höhnende Witzwort: "sächsisches Piquet" gebraucht. Sie konnte das nicht ruhig hören und erhob zitternd ihre Stimme, ihm zu sagen, wie dies Erliegen der Armee keine Schande bringe, sondern ihr langer Widerstand in solcher Bedrängniß noch von späten Zeiten geehrt werden würde. Ein Verweis von ihrem Vater, sobald sie allein waren,

solchen Sachen muß ein Mädchen, wie du, noch gar nichts wissen. Zu unserer Zeit schlugen wir die Augen nieder, wenn nur das Wort Heirath genannt wurde. Die Welt wird immer schlimmer.

Mariane sagte nichts, aber sie vergaß Justinens Bemerkung eben so wenig. Sie konnte es nicht leugnen, daß Börner sich an sie drängte, ihr auffallenden Vorzug bewies, sie mit Blicken und Schmeicheleien, mit Gefälligkeiten aller Art verfolgte. Sonst war sie zu unbefangen, jetzt oft zu traurig gewesen, um viel darauf zu achten; zuweilen fand sie sich wohl von seiner Aufmerksamkeit belästigt, doch das hielt sie sich nicht zu Gute, schrieb es auf ihre Verstimmung und zwang sich zu doppelter Freundlichkeit. Justinens Warnung erschreckte sie, sie dachte nach und fand Ursache, ihr Recht zu geben. Seit ihrem Unglück begegnete sie oft einem seltsamen freudigen Blick in Börner's Augen, besonders wenn Pistor's Name zufällig genannt wurde oder irgend eine Wendung des Gesprächs ihr Herz traf und das Blut verrätherisch in ihre Wange trieb. Schadenfreude oder Haß malte sich in diesem Blicke. Einmal hat er sogar über das Mißgeschick der Truppen gespöttelt und das höhnende Witzwort: „sächsisches Piquet“ gebraucht. Sie konnte das nicht ruhig hören und erhob zitternd ihre Stimme, ihm zu sagen, wie dies Erliegen der Armee keine Schande bringe, sondern ihr langer Widerstand in solcher Bedrängniß noch von späten Zeiten geehrt werden würde. Ein Verweis von ihrem Vater, sobald sie allein waren,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0036"/>
solchen Sachen muß ein Mädchen, wie du,                noch gar nichts wissen. Zu unserer Zeit schlugen wir die Augen nieder, wenn nur das                Wort Heirath genannt wurde. Die Welt wird immer schlimmer.</p><lb/>
        <p>Mariane sagte nichts, aber sie vergaß Justinens Bemerkung eben so wenig. Sie konnte                es nicht leugnen, daß Börner sich an sie drängte, ihr auffallenden Vorzug bewies, sie                mit Blicken und Schmeicheleien, mit Gefälligkeiten aller Art verfolgte. Sonst war sie                zu unbefangen, jetzt oft zu traurig gewesen, um viel darauf zu achten; zuweilen fand                sie sich wohl von seiner Aufmerksamkeit belästigt, doch das hielt sie sich nicht zu                Gute, schrieb es auf ihre Verstimmung und zwang sich zu doppelter Freundlichkeit.                Justinens Warnung erschreckte sie, sie dachte nach und fand Ursache, ihr Recht zu                geben. Seit ihrem Unglück begegnete sie oft einem seltsamen freudigen Blick in                Börner's Augen, besonders wenn Pistor's Name zufällig genannt wurde oder irgend eine                Wendung des Gesprächs ihr Herz traf und das Blut verrätherisch in ihre Wange trieb.                Schadenfreude oder Haß malte sich in diesem Blicke. Einmal hat er sogar über das                Mißgeschick der Truppen gespöttelt und das höhnende Witzwort: &#x201E;sächsisches Piquet&#x201C;                gebraucht. Sie konnte das nicht ruhig hören und erhob zitternd ihre Stimme, ihm zu                sagen, wie dies Erliegen der Armee keine Schande bringe, sondern ihr langer                Widerstand in solcher Bedrängniß noch von späten Zeiten geehrt werden würde. Ein                Verweis von ihrem Vater, sobald sie allein waren,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0036] solchen Sachen muß ein Mädchen, wie du, noch gar nichts wissen. Zu unserer Zeit schlugen wir die Augen nieder, wenn nur das Wort Heirath genannt wurde. Die Welt wird immer schlimmer. Mariane sagte nichts, aber sie vergaß Justinens Bemerkung eben so wenig. Sie konnte es nicht leugnen, daß Börner sich an sie drängte, ihr auffallenden Vorzug bewies, sie mit Blicken und Schmeicheleien, mit Gefälligkeiten aller Art verfolgte. Sonst war sie zu unbefangen, jetzt oft zu traurig gewesen, um viel darauf zu achten; zuweilen fand sie sich wohl von seiner Aufmerksamkeit belästigt, doch das hielt sie sich nicht zu Gute, schrieb es auf ihre Verstimmung und zwang sich zu doppelter Freundlichkeit. Justinens Warnung erschreckte sie, sie dachte nach und fand Ursache, ihr Recht zu geben. Seit ihrem Unglück begegnete sie oft einem seltsamen freudigen Blick in Börner's Augen, besonders wenn Pistor's Name zufällig genannt wurde oder irgend eine Wendung des Gesprächs ihr Herz traf und das Blut verrätherisch in ihre Wange trieb. Schadenfreude oder Haß malte sich in diesem Blicke. Einmal hat er sogar über das Mißgeschick der Truppen gespöttelt und das höhnende Witzwort: „sächsisches Piquet“ gebraucht. Sie konnte das nicht ruhig hören und erhob zitternd ihre Stimme, ihm zu sagen, wie dies Erliegen der Armee keine Schande bringe, sondern ihr langer Widerstand in solcher Bedrängniß noch von späten Zeiten geehrt werden würde. Ein Verweis von ihrem Vater, sobald sie allein waren,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:20:58Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:20:58Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/36
Zitationshilfe: Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/36>, abgerufen am 23.11.2024.