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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Fünfftes Buch
[Spaltenumbruch] unter worffen. Zeno versetzte: Jch glaube/ daß
diese beständiger als jene sind; weil das Helffen-
bein mit der Zeit gelbe wird. Alleine welchem
irrdischen Dinge lässet sich mit Bestand einige
Beständigkeit/ ausser in dem Unbestande/ zueig-
nen? Würmer und Fäulniß sind nicht nur
Werckzeuge der Eitelkeit/ und Scharffrichter
der alles fressenden Jahre. Was kein Holtz-
Wurm ausfressen/ keine Feuchtigkeit verfäu-
len kan/ wird durch Sturmwinde zerdrümmert/
durch Blitz eingeäschert/ durch Erdbeben zer-
nichtet. Die Brunnen vertrocknen/ die Stei-
ne werden zu Staube/ und gantze Gebürge wer-
den über einen Hauffen geworffen; wie mir der
grosse Caucasus ein grausames Schauspiel für
Augen gestellet hat. Denn nachdem wir bey
unserm wohlthätigen Priester des Prometheus
die Nacht über wohl ausgeruhet hatten/ nahmen
wir früh Abschied/ gingen durch ein steinichtes
Thal/ stiegen hierauff einen andern gähen Berg
hinauff/ in willens daselbst eine Höle zu beschau-
en/ in welcher Hercules/ und seine nach Col-
chis gereisete Gefärthen ihre Gedächtnisse ver-
lassen haben sollen. Wir waren noch nicht gar
auff der Spitze/ als der Fels unter uns zu beben/
und der gantze Berg gleichsam wie eine hängen-
de Wagschale hin und wieder zu wancken an-
fing. Der Himmel war helle und heiter; die
uns rings umher umgebende Berge aber spey-
ten mit grossem Gekrache Blitz und Flammen
aus. Der höchste Gipffel des Caucasus brach
entzwey/ und überschüttete mit seinem Grause
die darbey liegenden Thäler; mit dem Rauche
aber/ den er aus seinem itzt auffgespaltenen Ra-
chen ausstieß/ verfinsterte er das weite Gewölbe
des Himmels/ und die durchdringenden Strah-
len der Sonne. Der Tempel des Prometheus
fiel mit seinem felsichten Fusse in das Thal her-
ab/ durch welches wir erst gegangen waren; also
daß das grosse Welt-Gebäue sich nunmehr in
sein Nichts zu verwandeln schien. Jch stelle zu
iedes Nachdencken/ wie wir gezittert/ da die Klip-
[Spaltenumbruch] pen zitterten/ und wir die Berge zerbersten/ die
Steine zerschmeltzen sahen. Unser Antlitz erblaß-
te/ die Zunge verstummte/ das Hertze schlug/ als
wenn es sich aus dem in so grosser Lebensgefahr
schwebenden Leibe reißen wolte/ und unsere Bei-
ne waren nicht mehr starck genug uns auff den
Füssen zu erhalten; daher wir auff den Erdbo-
dem fielen/ und unter der Furcht/ daß wir von
denen einfallenden Gebürgen bald in dem Ab-
grunde der Erden würden begraben werden/ al-
ler Sinnen beraubet wurden. Jch weiß nicht
zu sagen/ wie lange wir in dieser Ohnmacht gele-
gen/ oder wie lange der Lauff unsers Lebens all-
hier gehemmet gewest. Gleichwohl kriegte ich
zum ersten meine Sinnen wieder/ und raffte mich
aus dieser Asche/ darmit wir inzwischen gantz
waren bedeckt worden/ wieder auff; Oropastes
aber und Syrmanis blieben noch gantz für todt
liegen. Weil ich nun den Göttern für Erhal-
tung meines Lebens nicht besser als durch hülff-
bare Beyspringung und Liebe gegen meinen
Geferthen zu dancken wuste/ eilte ich einer unfer-
ne von dem Berge abschüssenden Bach zu/
schöpffte daselbst in meine Hände Wasser/ brach-
te auch endlich durch Kühl- und Reibung zuwege/
daß anfangs Oropastes/ und hernach die Fürstin
Syrmanis wieder zu sich selbst kamen; wiewohl
sie eine lange Weile kein Wort reden konten.
Endlich sprachen wir einander wieder ein Hertze
zu/ fielen auf unsere Antlitzer/ um unsern Schutz-
Göttern Danck zu sagen/ und für fernere Be-
schirmung andächtig anzuruffen. Wir verwun-
derten uns hierauff über der seltzamen Verän-
derung der gantzen Gegend/ welche wir nicht ge-
kennt/ sondern uns vielmehr in ein ander Land
versetzt zu seyn gemeinet hätten/ wenn nicht wir
die Stücke von dem herab gestürtzten Promethi-
schen Tempel erkennet hätten. Weil denn der
Berg/ dar auff wir waren/ auff der Seite/ dahin
wir wolten/ auch abgespalten und unwegbar
worden war/ kehrten wir/ theils aus Noth/ theils
aus Vorwitz/ den Graus des herrlichen Tem-

pels

Fuͤnfftes Buch
[Spaltenumbruch] unter worffen. Zeno verſetzte: Jch glaube/ daß
dieſe beſtaͤndiger als jene ſind; weil das Helffen-
bein mit der Zeit gelbe wird. Alleine welchem
irrdiſchen Dinge laͤſſet ſich mit Beſtand einige
Beſtaͤndigkeit/ auſſer in dem Unbeſtande/ zueig-
nen? Wuͤrmer und Faͤulniß ſind nicht nur
Werckzeuge der Eitelkeit/ und Scharffrichter
der alles freſſenden Jahre. Was kein Holtz-
Wurm ausfreſſen/ keine Feuchtigkeit verfaͤu-
len kan/ wird durch Sturmwinde zerdruͤmmert/
durch Blitz eingeaͤſchert/ durch Erdbeben zer-
nichtet. Die Brunnen vertrocknen/ die Stei-
ne werden zu Staube/ und gantze Gebuͤrge wer-
den uͤber einen Hauffen geworffen; wie mir der
groſſe Caucaſus ein grauſames Schauſpiel fuͤr
Augen geſtellet hat. Denn nachdem wir bey
unſerm wohlthaͤtigen Prieſter des Prometheus
die Nacht uͤber wohl ausgeruhet hatten/ nahmen
wir fruͤh Abſchied/ gingen durch ein ſteinichtes
Thal/ ſtiegen hierauff einen andern gaͤhen Berg
hinauff/ in willens daſelbſt eine Hoͤle zu beſchau-
en/ in welcher Hercules/ und ſeine nach Col-
chis gereiſete Gefaͤrthen ihre Gedaͤchtniſſe ver-
laſſen haben ſollen. Wir waren noch nicht gar
auff der Spitze/ als der Fels unter uns zu beben/
und der gantze Berg gleichſam wie eine haͤngen-
de Wagſchale hin und wieder zu wancken an-
fing. Der Himmel war helle und heiter; die
uns rings umher umgebende Berge aber ſpey-
ten mit groſſem Gekrache Blitz und Flammen
aus. Der hoͤchſte Gipffel des Caucaſus brach
entzwey/ und uͤberſchuͤttete mit ſeinem Grauſe
die darbey liegenden Thaͤler; mit dem Rauche
aber/ den er aus ſeinem itzt auffgeſpaltenen Ra-
chen ausſtieß/ verfinſterte er das weite Gewoͤlbe
des Himmels/ und die durchdringenden Strah-
len der Sonne. Der Tempel des Prometheus
fiel mit ſeinem felſichten Fuſſe in das Thal her-
ab/ durch welches wir erſt gegangen waren; alſo
daß das groſſe Welt-Gebaͤue ſich nunmehr in
ſein Nichts zu verwandeln ſchien. Jch ſtelle zu
iedes Nachdencken/ wie wir gezittert/ da die Klip-
[Spaltenumbruch] pen zitterten/ und wir die Berge zerberſten/ die
Steine zeꝛſchmeltzen ſahen. Unſeꝛ Antlitz erblaß-
te/ die Zunge verſtummte/ das Hertze ſchlug/ als
wenn es ſich aus dem in ſo groſſer Lebensgefahr
ſchwebenden Leibe reißen wolte/ und unſere Bei-
ne waren nicht mehr ſtarck genug uns auff den
Fuͤſſen zu erhalten; daher wir auff den Erdbo-
dem fielen/ und unter der Furcht/ daß wir von
denen einfallenden Gebuͤrgen bald in dem Ab-
grunde der Erden wuͤrden begraben werden/ al-
ler Sinnen beraubet wurden. Jch weiß nicht
zu ſagen/ wie lange wir in dieſer Ohnmacht gele-
gen/ oder wie lange der Lauff unſers Lebens all-
hier gehemmet geweſt. Gleichwohl kriegte ich
zum erſten meine Siñen wieder/ und raffte mich
aus dieſer Aſche/ darmit wir inzwiſchen gantz
waren bedeckt worden/ wieder auff; Oropaſtes
aber und Syrmanis blieben noch gantz fuͤr todt
liegen. Weil ich nun den Goͤttern fuͤr Erhal-
tung meines Lebens nicht beſſer als durch huͤlff-
bare Beyſpringung und Liebe gegen meinen
Gefeꝛthen zu dancken wuſte/ eilte ich einer unfer-
ne von dem Berge abſchuͤſſenden Bach zu/
ſchoͤpffte daſelbſt in meine Haͤnde Waſſer/ brach-
te auch endlich durch Kuͤhl- und Reibung zuwege/
daß anfangs Oropaſtes/ und hernach die Fuͤrſtin
Syrmanis wieder zu ſich ſelbſt kamen; wiewohl
ſie eine lange Weile kein Wort reden konten.
Endlich ſprachen wir einander wieder ein Hertze
zu/ fielen auf unſere Antlitzer/ um unſern Schutz-
Goͤttern Danck zu ſagen/ und fuͤr fernere Be-
ſchirmung andaͤchtig anzuruffen. Wir verwun-
derten uns hierauff uͤber der ſeltzamen Veraͤn-
derung der gantzen Gegend/ welche wir nicht ge-
kennt/ ſondern uns vielmehr in ein ander Land
verſetzt zu ſeyn gemeinet haͤtten/ wenn nicht wir
die Stuͤcke von dem herab geſtuͤrtzten Promethi-
ſchen Tempel erkennet haͤtten. Weil denn der
Berg/ dar auff wir waren/ auff der Seite/ dahin
wir wolten/ auch abgeſpalten und unwegbar
worden war/ kehrten wir/ theils aus Noth/ theils
aus Vorwitz/ den Graus des herrlichen Tem-

pels
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[586/0642] Fuͤnfftes Buch unter worffen. Zeno verſetzte: Jch glaube/ daß dieſe beſtaͤndiger als jene ſind; weil das Helffen- bein mit der Zeit gelbe wird. Alleine welchem irrdiſchen Dinge laͤſſet ſich mit Beſtand einige Beſtaͤndigkeit/ auſſer in dem Unbeſtande/ zueig- nen? Wuͤrmer und Faͤulniß ſind nicht nur Werckzeuge der Eitelkeit/ und Scharffrichter der alles freſſenden Jahre. Was kein Holtz- Wurm ausfreſſen/ keine Feuchtigkeit verfaͤu- len kan/ wird durch Sturmwinde zerdruͤmmert/ durch Blitz eingeaͤſchert/ durch Erdbeben zer- nichtet. Die Brunnen vertrocknen/ die Stei- ne werden zu Staube/ und gantze Gebuͤrge wer- den uͤber einen Hauffen geworffen; wie mir der groſſe Caucaſus ein grauſames Schauſpiel fuͤr Augen geſtellet hat. Denn nachdem wir bey unſerm wohlthaͤtigen Prieſter des Prometheus die Nacht uͤber wohl ausgeruhet hatten/ nahmen wir fruͤh Abſchied/ gingen durch ein ſteinichtes Thal/ ſtiegen hierauff einen andern gaͤhen Berg hinauff/ in willens daſelbſt eine Hoͤle zu beſchau- en/ in welcher Hercules/ und ſeine nach Col- chis gereiſete Gefaͤrthen ihre Gedaͤchtniſſe ver- laſſen haben ſollen. Wir waren noch nicht gar auff der Spitze/ als der Fels unter uns zu beben/ und der gantze Berg gleichſam wie eine haͤngen- de Wagſchale hin und wieder zu wancken an- fing. Der Himmel war helle und heiter; die uns rings umher umgebende Berge aber ſpey- ten mit groſſem Gekrache Blitz und Flammen aus. Der hoͤchſte Gipffel des Caucaſus brach entzwey/ und uͤberſchuͤttete mit ſeinem Grauſe die darbey liegenden Thaͤler; mit dem Rauche aber/ den er aus ſeinem itzt auffgeſpaltenen Ra- chen ausſtieß/ verfinſterte er das weite Gewoͤlbe des Himmels/ und die durchdringenden Strah- len der Sonne. Der Tempel des Prometheus fiel mit ſeinem felſichten Fuſſe in das Thal her- ab/ durch welches wir erſt gegangen waren; alſo daß das groſſe Welt-Gebaͤue ſich nunmehr in ſein Nichts zu verwandeln ſchien. Jch ſtelle zu iedes Nachdencken/ wie wir gezittert/ da die Klip- pen zitterten/ und wir die Berge zerberſten/ die Steine zeꝛſchmeltzen ſahen. Unſeꝛ Antlitz erblaß- te/ die Zunge verſtummte/ das Hertze ſchlug/ als wenn es ſich aus dem in ſo groſſer Lebensgefahr ſchwebenden Leibe reißen wolte/ und unſere Bei- ne waren nicht mehr ſtarck genug uns auff den Fuͤſſen zu erhalten; daher wir auff den Erdbo- dem fielen/ und unter der Furcht/ daß wir von denen einfallenden Gebuͤrgen bald in dem Ab- grunde der Erden wuͤrden begraben werden/ al- ler Sinnen beraubet wurden. Jch weiß nicht zu ſagen/ wie lange wir in dieſer Ohnmacht gele- gen/ oder wie lange der Lauff unſers Lebens all- hier gehemmet geweſt. Gleichwohl kriegte ich zum erſten meine Siñen wieder/ und raffte mich aus dieſer Aſche/ darmit wir inzwiſchen gantz waren bedeckt worden/ wieder auff; Oropaſtes aber und Syrmanis blieben noch gantz fuͤr todt liegen. Weil ich nun den Goͤttern fuͤr Erhal- tung meines Lebens nicht beſſer als durch huͤlff- bare Beyſpringung und Liebe gegen meinen Gefeꝛthen zu dancken wuſte/ eilte ich einer unfer- ne von dem Berge abſchuͤſſenden Bach zu/ ſchoͤpffte daſelbſt in meine Haͤnde Waſſer/ brach- te auch endlich durch Kuͤhl- und Reibung zuwege/ daß anfangs Oropaſtes/ und hernach die Fuͤrſtin Syrmanis wieder zu ſich ſelbſt kamen; wiewohl ſie eine lange Weile kein Wort reden konten. Endlich ſprachen wir einander wieder ein Hertze zu/ fielen auf unſere Antlitzer/ um unſern Schutz- Goͤttern Danck zu ſagen/ und fuͤr fernere Be- ſchirmung andaͤchtig anzuruffen. Wir verwun- derten uns hierauff uͤber der ſeltzamen Veraͤn- derung der gantzen Gegend/ welche wir nicht ge- kennt/ ſondern uns vielmehr in ein ander Land verſetzt zu ſeyn gemeinet haͤtten/ wenn nicht wir die Stuͤcke von dem herab geſtuͤrtzten Promethi- ſchen Tempel erkennet haͤtten. Weil denn der Berg/ dar auff wir waren/ auff der Seite/ dahin wir wolten/ auch abgeſpalten und unwegbar worden war/ kehrten wir/ theils aus Noth/ theils aus Vorwitz/ den Graus des herrlichen Tem- pels

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/642>, abgerufen am 22.11.2024.