Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

Bild:
<< vorherige Seite

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] schreitungen der Vernunft-Gräntzen wären;
könte in einem Hertzen/ welches keiner Tugend
fähig wäre/ und in einem Kopfe ohne Vernunft/
so wenig ein Laster und der Beyfall einer falschen
Meynung Platz finden/ als diß/ was kein Leben
hat/ sterben. Dannenhero/ wenn ein Thier
schiene bald Hofnung/ bald Grimm/ bald Liebe
zu erwehlen/ wäre es ein blosser Schatten wah-
rer Gemüths-Regungen. Einem Löwen kä-
me die Eigenschafft des Zornes nicht viel besser
zu/ als einer Wolcke/ wenn sie blitzet. Eine
Hinde wäre nicht eigentlicher traurig/ als der
Monde/ wenn er verfinstert würde. Zeno be-
gegnete Rhemetalcen: Er hörte wol/ daß er die
Stoischen Weisen zu seinem Lehr-Meister ge-
habt hätte/ welche die in dem Hertzen wohnenden
Gemüths-Regungen in das Gehirne versetzten/
darinnen derselben so wenig/ als Einwohner im
Monden/ zu finden wären. Sie schlügen sich
aber selbst/ wenn sie Kindern/ Narren und vollen
Leuten selbige nicht absprechen könten/ welche
doch weniger Vernunft/ als Papagoyen und
Elefanten hätten. Denn bey den Kindern
wäre sie noch ungebohren/ in Rarren todt/ bey
Vollen eingeschlaffen. Die ersten weinten aus
Unvernunft umb ihre Tocken so bitterlich/ als
Oenone umb ihren Paris/ und Priamus umb
sein Königreich. Sie erschrecken für einer Lar-
ve mehr/ als Brutus für seinem bösen Geiste.
Der Wahnsinnige zu Athen opferte aus einge-
bildetem Eigenthum/ frembder Schiffe halber/
sein abgeschnidtenes Haar dem stürmenden
Meer und Winde so willig/ als es die beläger-
ten Frauen zu Carthago zu Bogen-Sehnen
hergaben. Die Vollen zu Syracusa warffen
aus geträumtem Schiffbruche mühsamer alles
zum Fenster des Schenckhauses hinaus/ als der
Schiffbruch-leidende Ulysses alles über Bord.
Rhemetalces wendete ein: Dieser Art Men-
schen könte er eben so wenig wahre Gemüths-
Regungen/ als dem Vieh enthängen/ weil ihnen
eben so wenig die Wahl ihrer anklebenden
[Spaltenumbruch] Schwach heit/ als dem Vieh/ ihrer angebohrnen
Art zu widerstehen/ mangelte. Der Hase und
der Hirsch wären allemal furchtsam/ der Löwe und
Tiger allemal grimmig/ und die Tauben kön-
ten nichts als immer liebreitzend seyn. Zeno wider-
sprach diß durch diese Frage: Ob er die Hirschen
niemals einen Jäger hätte tödten sehen? Ob nicht
Ptolomäus sieben paar hoffärtig hertrabende
Hirschen an so viel güldnen Wagen geführet/ und
Mithridates so viel behertzte zu seiner Leib-Wa-
che erkieset habe? Des Sertorius weisse Hindin
hätte den Ruhm einer Wahrsagerin erworben/
und eine andere in Egypten die Griechische
Sprache verstehen gelernet. Hätte nicht Ono-
marchus mit den zahmen Löwen gespeiset/ An-
tonius sie für seinen Wagen gespannet? Hanno
hätte einen/ wie ein Lamb/ bey der Hand geführt/
und dadurch von seinem argwöhnischen Vater-
lande ihm seine Hinrichtung zugezogen. Men-
tor von Syracuse/ Elpis aus Samos und An-
droclus hätten durch ihre Wolthaten sie zu einer
empfindlichen Liebe bewogen. Die Turtel-
Taube ergrimmete sich wider den Raben/ betrü-
bete sich über den Tod ihres Gespielen/ trincke
nur trübes Wasser/ und sitze auff keinen grünen
Zweig mehr. Sollen nun diese Thiere keine
wahre Gemüths-Regung haben? Sie haben
ja alle Sinnen der Menschen/ welche ihnen so
wol als uns alles annehmliche und verdrüßliche
empfindlich machen; ja in unterschiedenen über-
treffen sie uns noch. Wer wil sich überreden
lassen/ daß der Hase für den Hunden nicht aus
Furcht fliehe/ und das Rebhun sich für dem Ha-
bichte nicht aus Schrecken verkrieche? Wer wil
an dem Grimme des Löwen zweifeln/ wenn für
seinem Brüllen die Wälder beben/ und tausend
Thiere zittern/ oder er Spisse und Degen zer-
malmet/ und die Jäger zerfleischet? Rhemetal-
ces fiel ein: Alle diese Bewegungen der Thiere
schritten über keine Gräntzen/ weil sie keine Ver-
nunft zur Anweiserin/ und kein Gesetze zur
Richtschnur hätten. Zeno antwortete: Es

folgte
M 3

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] ſchreitungen der Vernunft-Graͤntzen waͤren;
koͤnte in einem Hertzen/ welches keiner Tugend
faͤhig waͤre/ und in einem Kopfe ohne Vernunft/
ſo wenig ein Laſter und der Beyfall einer falſchen
Meynung Platz finden/ als diß/ was kein Leben
hat/ ſterben. Dannenhero/ wenn ein Thier
ſchiene bald Hofnung/ bald Grimm/ bald Liebe
zu erwehlen/ waͤre es ein bloſſer Schatten wah-
rer Gemuͤths-Regungen. Einem Loͤwen kaͤ-
me die Eigenſchafft des Zornes nicht viel beſſer
zu/ als einer Wolcke/ wenn ſie blitzet. Eine
Hinde waͤre nicht eigentlicher traurig/ als der
Monde/ wenn er verfinſtert wuͤrde. Zeno be-
gegnete Rhemetalcen: Er hoͤrte wol/ daß er die
Stoiſchen Weiſen zu ſeinem Lehr-Meiſter ge-
habt haͤtte/ welche die in dem Hertzen wohnenden
Gemuͤths-Regungen in das Gehirne verſetzten/
darinnen derſelben ſo wenig/ als Einwohner im
Monden/ zu finden waͤren. Sie ſchluͤgen ſich
aber ſelbſt/ wenn ſie Kindern/ Narren und vollen
Leuten ſelbige nicht abſprechen koͤnten/ welche
doch weniger Vernunft/ als Papagoyen und
Elefanten haͤtten. Denn bey den Kindern
waͤre ſie noch ungebohren/ in Rarren todt/ bey
Vollen eingeſchlaffen. Die erſten weinten aus
Unvernunft umb ihre Tocken ſo bitterlich/ als
Oenone umb ihren Paris/ und Priamus umb
ſein Koͤnigreich. Sie erſchrecken fuͤr einer Lar-
ve mehr/ als Brutus fuͤr ſeinem boͤſen Geiſte.
Der Wahnſinnige zu Athen opferte aus einge-
bildetem Eigenthum/ frembder Schiffe halber/
ſein abgeſchnidtenes Haar dem ſtuͤrmenden
Meer und Winde ſo willig/ als es die belaͤger-
ten Frauen zu Carthago zu Bogen-Sehnen
hergaben. Die Vollen zu Syracuſa warffen
aus getraͤumtem Schiffbruche muͤhſamer alles
zum Fenſter des Schenckhauſes hinaus/ als der
Schiffbruch-leidende Ulyſſes alles uͤber Bord.
Rhemetalces wendete ein: Dieſer Art Men-
ſchen koͤnte er eben ſo wenig wahre Gemuͤths-
Regungen/ als dem Vieh enthaͤngen/ weil ihnen
eben ſo wenig die Wahl ihrer anklebenden
[Spaltenumbruch] Schwach heit/ als dem Vieh/ ihrer angebohrnen
Art zu widerſtehen/ mangelte. Der Haſe und
deꝛ Hirſch waͤꝛen allemal furchtſam/ deꝛ Loͤwe und
Tiger allemal grimmig/ und die Tauben koͤn-
ten nichts als im̃er liebreitzend ſeyn. Zeno wideꝛ-
ſprach diß durch dieſe Frage: Ob er die Hirſchen
niemals einen Jaͤger haͤtte toͤdten ſehen? Ob nicht
Ptolomaͤus ſieben paar hoffaͤrtig hertrabende
Hiꝛſchen an ſo viel guͤldnen Wagen gefuͤhꝛet/ und
Mithridates ſo viel behertzte zu ſeiner Leib-Wa-
che erkieſet habe? Des Sertorius weiſſe Hindin
haͤtte den Ruhm einer Wahrſagerin erworben/
und eine andere in Egypten die Griechiſche
Sprache verſtehen gelernet. Haͤtte nicht Ono-
marchus mit den zahmen Loͤwen geſpeiſet/ An-
tonius ſie fuͤr ſeinen Wagen geſpannet? Hanno
haͤtte einen/ wie ein Lamb/ bey der Hand gefuͤhrt/
und dadurch von ſeinem argwoͤhniſchen Vater-
lande ihm ſeine Hinrichtung zugezogen. Men-
tor von Syracuſe/ Elpis aus Samos und An-
droclus haͤtten durch ihre Wolthaten ſie zu einer
empfindlichen Liebe bewogen. Die Turtel-
Taube ergrimmete ſich wider den Raben/ betruͤ-
bete ſich uͤber den Tod ihres Geſpielen/ trincke
nur truͤbes Waſſer/ und ſitze auff keinen gruͤnen
Zweig mehr. Sollen nun dieſe Thiere keine
wahre Gemuͤths-Regung haben? Sie haben
ja alle Sinnen der Menſchen/ welche ihnen ſo
wol als uns alles annehmliche und verdruͤßliche
empfindlich machen; ja in unterſchiedenen uͤber-
treffen ſie uns noch. Wer wil ſich uͤberreden
laſſen/ daß der Haſe fuͤr den Hunden nicht aus
Furcht fliehe/ und das Rebhun ſich fuͤr dem Ha-
bichte nicht aus Schrecken verkrieche? Wer wil
an dem Grimme des Loͤwen zweifeln/ wenn fuͤr
ſeinem Bruͤllen die Waͤlder beben/ und tauſend
Thiere zittern/ oder er Spiſſe und Degen zer-
malmet/ und die Jaͤger zerfleiſchet? Rhemetal-
ces fiel ein: Alle dieſe Bewegungen der Thiere
ſchritten uͤber keine Graͤntzen/ weil ſie keine Ver-
nunft zur Anweiſerin/ und kein Geſetze zur
Richtſchnur haͤtten. Zeno antwortete: Es

folgte
M 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0143" n="93"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Arminius und Thußnelda.</hi></fw><lb/><cb/>
&#x017F;chreitungen der Vernunft-Gra&#x0364;ntzen wa&#x0364;ren;<lb/>
ko&#x0364;nte in einem Hertzen/ welches keiner Tugend<lb/>
fa&#x0364;hig wa&#x0364;re/ und in einem Kopfe ohne Vernunft/<lb/>
&#x017F;o wenig ein La&#x017F;ter und der Beyfall einer fal&#x017F;chen<lb/>
Meynung Platz finden/ als diß/ was kein Leben<lb/>
hat/ &#x017F;terben. Dannenhero/ wenn ein Thier<lb/>
&#x017F;chiene bald Hofnung/ bald Grimm/ bald Liebe<lb/>
zu erwehlen/ wa&#x0364;re es ein blo&#x017F;&#x017F;er Schatten wah-<lb/>
rer Gemu&#x0364;ths-Regungen. Einem Lo&#x0364;wen ka&#x0364;-<lb/>
me die Eigen&#x017F;chafft des Zornes nicht viel be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
zu/ als einer Wolcke/ wenn &#x017F;ie blitzet. Eine<lb/>
Hinde wa&#x0364;re nicht eigentlicher traurig/ als der<lb/>
Monde/ wenn er verfin&#x017F;tert wu&#x0364;rde. Zeno be-<lb/>
gegnete Rhemetalcen: Er ho&#x0364;rte wol/ daß er die<lb/>
Stoi&#x017F;chen Wei&#x017F;en zu &#x017F;einem Lehr-Mei&#x017F;ter ge-<lb/>
habt ha&#x0364;tte/ welche die in dem Hertzen wohnenden<lb/>
Gemu&#x0364;ths-Regungen in das Gehirne ver&#x017F;etzten/<lb/>
darinnen der&#x017F;elben &#x017F;o wenig/ als Einwohner im<lb/>
Monden/ zu finden wa&#x0364;ren. Sie &#x017F;chlu&#x0364;gen &#x017F;ich<lb/>
aber &#x017F;elb&#x017F;t/ wenn &#x017F;ie Kindern/ Narren und vollen<lb/>
Leuten &#x017F;elbige nicht ab&#x017F;prechen ko&#x0364;nten/ welche<lb/>
doch weniger Vernunft/ als Papagoyen und<lb/>
Elefanten ha&#x0364;tten. Denn bey den Kindern<lb/>
wa&#x0364;re &#x017F;ie noch ungebohren/ in Rarren todt/ bey<lb/>
Vollen einge&#x017F;chlaffen. Die er&#x017F;ten weinten aus<lb/>
Unvernunft umb ihre Tocken &#x017F;o bitterlich/ als<lb/>
Oenone umb ihren Paris/ und Priamus umb<lb/>
&#x017F;ein Ko&#x0364;nigreich. Sie er&#x017F;chrecken fu&#x0364;r einer Lar-<lb/>
ve mehr/ als Brutus fu&#x0364;r &#x017F;einem bo&#x0364;&#x017F;en Gei&#x017F;te.<lb/>
Der Wahn&#x017F;innige zu Athen opferte aus einge-<lb/>
bildetem Eigenthum/ frembder Schiffe halber/<lb/>
&#x017F;ein abge&#x017F;chnidtenes Haar dem &#x017F;tu&#x0364;rmenden<lb/>
Meer und Winde &#x017F;o willig/ als es die bela&#x0364;ger-<lb/>
ten Frauen zu Carthago zu Bogen-Sehnen<lb/>
hergaben. Die Vollen zu Syracu&#x017F;a warffen<lb/>
aus getra&#x0364;umtem Schiffbruche mu&#x0364;h&#x017F;amer alles<lb/>
zum Fen&#x017F;ter des Schenckhau&#x017F;es hinaus/ als der<lb/>
Schiffbruch-leidende Uly&#x017F;&#x017F;es alles u&#x0364;ber Bord.<lb/>
Rhemetalces wendete ein: Die&#x017F;er Art Men-<lb/>
&#x017F;chen ko&#x0364;nte er eben &#x017F;o wenig wahre Gemu&#x0364;ths-<lb/>
Regungen/ als dem Vieh entha&#x0364;ngen/ weil ihnen<lb/>
eben &#x017F;o wenig die Wahl ihrer anklebenden<lb/><cb/>
Schwach heit/ als dem Vieh/ ihrer angebohrnen<lb/>
Art zu wider&#x017F;tehen/ mangelte. Der Ha&#x017F;e und<lb/>
de&#xA75B; Hir&#x017F;ch wa&#x0364;&#xA75B;en allemal furcht&#x017F;am/ de&#xA75B; Lo&#x0364;we und<lb/>
Tiger allemal grimmig/ und die Tauben ko&#x0364;n-<lb/>
ten nichts als im&#x0303;er liebreitzend &#x017F;eyn. Zeno wide&#xA75B;-<lb/>
&#x017F;prach diß durch die&#x017F;e Frage: Ob er die Hir&#x017F;chen<lb/>
niemals einen Ja&#x0364;ger ha&#x0364;tte to&#x0364;dten &#x017F;ehen? Ob nicht<lb/>
Ptoloma&#x0364;us &#x017F;ieben paar hoffa&#x0364;rtig hertrabende<lb/>
Hi&#xA75B;&#x017F;chen an &#x017F;o viel gu&#x0364;ldnen Wagen gefu&#x0364;h&#xA75B;et/ und<lb/>
Mithridates &#x017F;o viel behertzte zu &#x017F;einer Leib-Wa-<lb/>
che erkie&#x017F;et habe? Des Sertorius wei&#x017F;&#x017F;e Hindin<lb/>
ha&#x0364;tte den Ruhm einer Wahr&#x017F;agerin erworben/<lb/>
und eine andere in Egypten die Griechi&#x017F;che<lb/>
Sprache ver&#x017F;tehen gelernet. Ha&#x0364;tte nicht Ono-<lb/>
marchus mit den zahmen Lo&#x0364;wen ge&#x017F;pei&#x017F;et/ An-<lb/>
tonius &#x017F;ie fu&#x0364;r &#x017F;einen Wagen ge&#x017F;pannet? Hanno<lb/>
ha&#x0364;tte einen/ wie ein Lamb/ bey der Hand gefu&#x0364;hrt/<lb/>
und dadurch von &#x017F;einem argwo&#x0364;hni&#x017F;chen Vater-<lb/>
lande ihm &#x017F;eine Hinrichtung zugezogen. Men-<lb/>
tor von Syracu&#x017F;e/ Elpis aus Samos und An-<lb/>
droclus ha&#x0364;tten durch ihre Wolthaten &#x017F;ie zu einer<lb/>
empfindlichen Liebe bewogen. Die Turtel-<lb/>
Taube ergrimmete &#x017F;ich wider den Raben/ betru&#x0364;-<lb/>
bete &#x017F;ich u&#x0364;ber den Tod ihres Ge&#x017F;pielen/ trincke<lb/>
nur tru&#x0364;bes Wa&#x017F;&#x017F;er/ und &#x017F;itze auff keinen gru&#x0364;nen<lb/>
Zweig mehr. Sollen nun die&#x017F;e Thiere keine<lb/>
wahre Gemu&#x0364;ths-Regung haben? Sie haben<lb/>
ja alle Sinnen der Men&#x017F;chen/ welche ihnen &#x017F;o<lb/>
wol als uns alles annehmliche und verdru&#x0364;ßliche<lb/>
empfindlich machen; ja in unter&#x017F;chiedenen u&#x0364;ber-<lb/>
treffen &#x017F;ie uns noch. Wer wil &#x017F;ich u&#x0364;berreden<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en/ daß der Ha&#x017F;e fu&#x0364;r den Hunden nicht aus<lb/>
Furcht fliehe/ und das Rebhun &#x017F;ich fu&#x0364;r dem Ha-<lb/>
bichte nicht aus Schrecken verkrieche? Wer wil<lb/>
an dem Grimme des Lo&#x0364;wen zweifeln/ wenn fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;einem Bru&#x0364;llen die Wa&#x0364;lder beben/ und tau&#x017F;end<lb/>
Thiere zittern/ oder er Spi&#x017F;&#x017F;e und Degen zer-<lb/>
malmet/ und die Ja&#x0364;ger zerflei&#x017F;chet? Rhemetal-<lb/>
ces fiel ein: Alle die&#x017F;e Bewegungen der Thiere<lb/>
&#x017F;chritten u&#x0364;ber keine Gra&#x0364;ntzen/ weil &#x017F;ie keine Ver-<lb/>
nunft zur Anwei&#x017F;erin/ und kein Ge&#x017F;etze zur<lb/>
Richt&#x017F;chnur ha&#x0364;tten. Zeno antwortete: Es<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 3</fw><fw place="bottom" type="catch">folgte</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0143] Arminius und Thußnelda. ſchreitungen der Vernunft-Graͤntzen waͤren; koͤnte in einem Hertzen/ welches keiner Tugend faͤhig waͤre/ und in einem Kopfe ohne Vernunft/ ſo wenig ein Laſter und der Beyfall einer falſchen Meynung Platz finden/ als diß/ was kein Leben hat/ ſterben. Dannenhero/ wenn ein Thier ſchiene bald Hofnung/ bald Grimm/ bald Liebe zu erwehlen/ waͤre es ein bloſſer Schatten wah- rer Gemuͤths-Regungen. Einem Loͤwen kaͤ- me die Eigenſchafft des Zornes nicht viel beſſer zu/ als einer Wolcke/ wenn ſie blitzet. Eine Hinde waͤre nicht eigentlicher traurig/ als der Monde/ wenn er verfinſtert wuͤrde. Zeno be- gegnete Rhemetalcen: Er hoͤrte wol/ daß er die Stoiſchen Weiſen zu ſeinem Lehr-Meiſter ge- habt haͤtte/ welche die in dem Hertzen wohnenden Gemuͤths-Regungen in das Gehirne verſetzten/ darinnen derſelben ſo wenig/ als Einwohner im Monden/ zu finden waͤren. Sie ſchluͤgen ſich aber ſelbſt/ wenn ſie Kindern/ Narren und vollen Leuten ſelbige nicht abſprechen koͤnten/ welche doch weniger Vernunft/ als Papagoyen und Elefanten haͤtten. Denn bey den Kindern waͤre ſie noch ungebohren/ in Rarren todt/ bey Vollen eingeſchlaffen. Die erſten weinten aus Unvernunft umb ihre Tocken ſo bitterlich/ als Oenone umb ihren Paris/ und Priamus umb ſein Koͤnigreich. Sie erſchrecken fuͤr einer Lar- ve mehr/ als Brutus fuͤr ſeinem boͤſen Geiſte. Der Wahnſinnige zu Athen opferte aus einge- bildetem Eigenthum/ frembder Schiffe halber/ ſein abgeſchnidtenes Haar dem ſtuͤrmenden Meer und Winde ſo willig/ als es die belaͤger- ten Frauen zu Carthago zu Bogen-Sehnen hergaben. Die Vollen zu Syracuſa warffen aus getraͤumtem Schiffbruche muͤhſamer alles zum Fenſter des Schenckhauſes hinaus/ als der Schiffbruch-leidende Ulyſſes alles uͤber Bord. Rhemetalces wendete ein: Dieſer Art Men- ſchen koͤnte er eben ſo wenig wahre Gemuͤths- Regungen/ als dem Vieh enthaͤngen/ weil ihnen eben ſo wenig die Wahl ihrer anklebenden Schwach heit/ als dem Vieh/ ihrer angebohrnen Art zu widerſtehen/ mangelte. Der Haſe und deꝛ Hirſch waͤꝛen allemal furchtſam/ deꝛ Loͤwe und Tiger allemal grimmig/ und die Tauben koͤn- ten nichts als im̃er liebreitzend ſeyn. Zeno wideꝛ- ſprach diß durch dieſe Frage: Ob er die Hirſchen niemals einen Jaͤger haͤtte toͤdten ſehen? Ob nicht Ptolomaͤus ſieben paar hoffaͤrtig hertrabende Hiꝛſchen an ſo viel guͤldnen Wagen gefuͤhꝛet/ und Mithridates ſo viel behertzte zu ſeiner Leib-Wa- che erkieſet habe? Des Sertorius weiſſe Hindin haͤtte den Ruhm einer Wahrſagerin erworben/ und eine andere in Egypten die Griechiſche Sprache verſtehen gelernet. Haͤtte nicht Ono- marchus mit den zahmen Loͤwen geſpeiſet/ An- tonius ſie fuͤr ſeinen Wagen geſpannet? Hanno haͤtte einen/ wie ein Lamb/ bey der Hand gefuͤhrt/ und dadurch von ſeinem argwoͤhniſchen Vater- lande ihm ſeine Hinrichtung zugezogen. Men- tor von Syracuſe/ Elpis aus Samos und An- droclus haͤtten durch ihre Wolthaten ſie zu einer empfindlichen Liebe bewogen. Die Turtel- Taube ergrimmete ſich wider den Raben/ betruͤ- bete ſich uͤber den Tod ihres Geſpielen/ trincke nur truͤbes Waſſer/ und ſitze auff keinen gruͤnen Zweig mehr. Sollen nun dieſe Thiere keine wahre Gemuͤths-Regung haben? Sie haben ja alle Sinnen der Menſchen/ welche ihnen ſo wol als uns alles annehmliche und verdruͤßliche empfindlich machen; ja in unterſchiedenen uͤber- treffen ſie uns noch. Wer wil ſich uͤberreden laſſen/ daß der Haſe fuͤr den Hunden nicht aus Furcht fliehe/ und das Rebhun ſich fuͤr dem Ha- bichte nicht aus Schrecken verkrieche? Wer wil an dem Grimme des Loͤwen zweifeln/ wenn fuͤr ſeinem Bruͤllen die Waͤlder beben/ und tauſend Thiere zittern/ oder er Spiſſe und Degen zer- malmet/ und die Jaͤger zerfleiſchet? Rhemetal- ces fiel ein: Alle dieſe Bewegungen der Thiere ſchritten uͤber keine Graͤntzen/ weil ſie keine Ver- nunft zur Anweiſerin/ und kein Geſetze zur Richtſchnur haͤtten. Zeno antwortete: Es folgte M 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/143
Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/143>, abgerufen am 04.05.2024.