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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] schreitungen der Vernunft-Gräntzen wären;
könte in einem Hertzen/ welches keiner Tugend
fähig wäre/ und in einem Kopfe ohne Vernunft/
so wenig ein Laster und der Beyfall einer falschen
Meynung Platz finden/ als diß/ was kein Leben
hat/ sterben. Dannenhero/ wenn ein Thier
schiene bald Hofnung/ bald Grimm/ bald Liebe
zu erwehlen/ wäre es ein blosser Schatten wah-
rer Gemüths-Regungen. Einem Löwen kä-
me die Eigenschafft des Zornes nicht viel besser
zu/ als einer Wolcke/ wenn sie blitzet. Eine
Hinde wäre nicht eigentlicher traurig/ als der
Monde/ wenn er verfinstert würde. Zeno be-
gegnete Rhemetalcen: Er hörte wol/ daß er die
Stoischen Weisen zu seinem Lehr-Meister ge-
habt hätte/ welche die in dem Hertzen wohnenden
Gemüths-Regungen in das Gehirne versetzten/
darinnen derselben so wenig/ als Einwohner im
Monden/ zu finden wären. Sie schlügen sich
aber selbst/ wenn sie Kindern/ Narren und vollen
Leuten selbige nicht absprechen könten/ welche
doch weniger Vernunft/ als Papagoyen und
Elefanten hätten. Denn bey den Kindern
wäre sie noch ungebohren/ in Rarren todt/ bey
Vollen eingeschlaffen. Die ersten weinten aus
Unvernunft umb ihre Tocken so bitterlich/ als
Oenone umb ihren Paris/ und Priamus umb
sein Königreich. Sie erschrecken für einer Lar-
ve mehr/ als Brutus für seinem bösen Geiste.
Der Wahnsinnige zu Athen opferte aus einge-
bildetem Eigenthum/ frembder Schiffe halber/
sein abgeschnidtenes Haar dem stürmenden
Meer und Winde so willig/ als es die beläger-
ten Frauen zu Carthago zu Bogen-Sehnen
hergaben. Die Vollen zu Syracusa warffen
aus geträumtem Schiffbruche mühsamer alles
zum Fenster des Schenckhauses hinaus/ als der
Schiffbruch-leidende Ulysses alles über Bord.
Rhemetalces wendete ein: Dieser Art Men-
schen könte er eben so wenig wahre Gemüths-
Regungen/ als dem Vieh enthängen/ weil ihnen
eben so wenig die Wahl ihrer anklebenden
[Spaltenumbruch] Schwach heit/ als dem Vieh/ ihrer angebohrnen
Art zu widerstehen/ mangelte. Der Hase und
der Hirsch wären allemal furchtsam/ der Löwe und
Tiger allemal grimmig/ und die Tauben kön-
ten nichts als immer liebreitzend seyn. Zeno wider-
sprach diß durch diese Frage: Ob er die Hirschen
niemals einen Jäger hätte tödten sehen? Ob nicht
Ptolomäus sieben paar hoffärtig hertrabende
Hirschen an so viel güldnen Wagen geführet/ und
Mithridates so viel behertzte zu seiner Leib-Wa-
che erkieset habe? Des Sertorius weisse Hindin
hätte den Ruhm einer Wahrsagerin erworben/
und eine andere in Egypten die Griechische
Sprache verstehen gelernet. Hätte nicht Ono-
marchus mit den zahmen Löwen gespeiset/ An-
tonius sie für seinen Wagen gespannet? Hanno
hätte einen/ wie ein Lamb/ bey der Hand geführt/
und dadurch von seinem argwöhnischen Vater-
lande ihm seine Hinrichtung zugezogen. Men-
tor von Syracuse/ Elpis aus Samos und An-
droclus hätten durch ihre Wolthaten sie zu einer
empfindlichen Liebe bewogen. Die Turtel-
Taube ergrimmete sich wider den Raben/ betrü-
bete sich über den Tod ihres Gespielen/ trincke
nur trübes Wasser/ und sitze auff keinen grünen
Zweig mehr. Sollen nun diese Thiere keine
wahre Gemüths-Regung haben? Sie haben
ja alle Sinnen der Menschen/ welche ihnen so
wol als uns alles annehmliche und verdrüßliche
empfindlich machen; ja in unterschiedenen über-
treffen sie uns noch. Wer wil sich überreden
lassen/ daß der Hase für den Hunden nicht aus
Furcht fliehe/ und das Rebhun sich für dem Ha-
bichte nicht aus Schrecken verkrieche? Wer wil
an dem Grimme des Löwen zweifeln/ wenn für
seinem Brüllen die Wälder beben/ und tausend
Thiere zittern/ oder er Spisse und Degen zer-
malmet/ und die Jäger zerfleischet? Rhemetal-
ces fiel ein: Alle diese Bewegungen der Thiere
schritten über keine Gräntzen/ weil sie keine Ver-
nunft zur Anweiserin/ und kein Gesetze zur
Richtschnur hätten. Zeno antwortete: Es

folgte
M 3

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] ſchreitungen der Vernunft-Graͤntzen waͤren;
koͤnte in einem Hertzen/ welches keiner Tugend
faͤhig waͤre/ und in einem Kopfe ohne Vernunft/
ſo wenig ein Laſter und der Beyfall einer falſchen
Meynung Platz finden/ als diß/ was kein Leben
hat/ ſterben. Dannenhero/ wenn ein Thier
ſchiene bald Hofnung/ bald Grimm/ bald Liebe
zu erwehlen/ waͤre es ein bloſſer Schatten wah-
rer Gemuͤths-Regungen. Einem Loͤwen kaͤ-
me die Eigenſchafft des Zornes nicht viel beſſer
zu/ als einer Wolcke/ wenn ſie blitzet. Eine
Hinde waͤre nicht eigentlicher traurig/ als der
Monde/ wenn er verfinſtert wuͤrde. Zeno be-
gegnete Rhemetalcen: Er hoͤrte wol/ daß er die
Stoiſchen Weiſen zu ſeinem Lehr-Meiſter ge-
habt haͤtte/ welche die in dem Hertzen wohnenden
Gemuͤths-Regungen in das Gehirne verſetzten/
darinnen derſelben ſo wenig/ als Einwohner im
Monden/ zu finden waͤren. Sie ſchluͤgen ſich
aber ſelbſt/ wenn ſie Kindern/ Narren und vollen
Leuten ſelbige nicht abſprechen koͤnten/ welche
doch weniger Vernunft/ als Papagoyen und
Elefanten haͤtten. Denn bey den Kindern
waͤre ſie noch ungebohren/ in Rarren todt/ bey
Vollen eingeſchlaffen. Die erſten weinten aus
Unvernunft umb ihre Tocken ſo bitterlich/ als
Oenone umb ihren Paris/ und Priamus umb
ſein Koͤnigreich. Sie erſchrecken fuͤr einer Lar-
ve mehr/ als Brutus fuͤr ſeinem boͤſen Geiſte.
Der Wahnſinnige zu Athen opferte aus einge-
bildetem Eigenthum/ frembder Schiffe halber/
ſein abgeſchnidtenes Haar dem ſtuͤrmenden
Meer und Winde ſo willig/ als es die belaͤger-
ten Frauen zu Carthago zu Bogen-Sehnen
hergaben. Die Vollen zu Syracuſa warffen
aus getraͤumtem Schiffbruche muͤhſamer alles
zum Fenſter des Schenckhauſes hinaus/ als der
Schiffbruch-leidende Ulyſſes alles uͤber Bord.
Rhemetalces wendete ein: Dieſer Art Men-
ſchen koͤnte er eben ſo wenig wahre Gemuͤths-
Regungen/ als dem Vieh enthaͤngen/ weil ihnen
eben ſo wenig die Wahl ihrer anklebenden
[Spaltenumbruch] Schwach heit/ als dem Vieh/ ihrer angebohrnen
Art zu widerſtehen/ mangelte. Der Haſe und
deꝛ Hirſch waͤꝛen allemal furchtſam/ deꝛ Loͤwe und
Tiger allemal grimmig/ und die Tauben koͤn-
ten nichts als im̃er liebreitzend ſeyn. Zeno wideꝛ-
ſprach diß durch dieſe Frage: Ob er die Hirſchen
niemals einen Jaͤger haͤtte toͤdten ſehen? Ob nicht
Ptolomaͤus ſieben paar hoffaͤrtig hertrabende
Hiꝛſchen an ſo viel guͤldnen Wagen gefuͤhꝛet/ und
Mithridates ſo viel behertzte zu ſeiner Leib-Wa-
che erkieſet habe? Des Sertorius weiſſe Hindin
haͤtte den Ruhm einer Wahrſagerin erworben/
und eine andere in Egypten die Griechiſche
Sprache verſtehen gelernet. Haͤtte nicht Ono-
marchus mit den zahmen Loͤwen geſpeiſet/ An-
tonius ſie fuͤr ſeinen Wagen geſpannet? Hanno
haͤtte einen/ wie ein Lamb/ bey der Hand gefuͤhrt/
und dadurch von ſeinem argwoͤhniſchen Vater-
lande ihm ſeine Hinrichtung zugezogen. Men-
tor von Syracuſe/ Elpis aus Samos und An-
droclus haͤtten durch ihre Wolthaten ſie zu einer
empfindlichen Liebe bewogen. Die Turtel-
Taube ergrimmete ſich wider den Raben/ betruͤ-
bete ſich uͤber den Tod ihres Geſpielen/ trincke
nur truͤbes Waſſer/ und ſitze auff keinen gruͤnen
Zweig mehr. Sollen nun dieſe Thiere keine
wahre Gemuͤths-Regung haben? Sie haben
ja alle Sinnen der Menſchen/ welche ihnen ſo
wol als uns alles annehmliche und verdruͤßliche
empfindlich machen; ja in unterſchiedenen uͤber-
treffen ſie uns noch. Wer wil ſich uͤberreden
laſſen/ daß der Haſe fuͤr den Hunden nicht aus
Furcht fliehe/ und das Rebhun ſich fuͤr dem Ha-
bichte nicht aus Schrecken verkrieche? Wer wil
an dem Grimme des Loͤwen zweifeln/ wenn fuͤr
ſeinem Bruͤllen die Waͤlder beben/ und tauſend
Thiere zittern/ oder er Spiſſe und Degen zer-
malmet/ und die Jaͤger zerfleiſchet? Rhemetal-
ces fiel ein: Alle dieſe Bewegungen der Thiere
ſchritten uͤber keine Graͤntzen/ weil ſie keine Ver-
nunft zur Anweiſerin/ und kein Geſetze zur
Richtſchnur haͤtten. Zeno antwortete: Es

folgte
M 3
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[93/0143] Arminius und Thußnelda. ſchreitungen der Vernunft-Graͤntzen waͤren; koͤnte in einem Hertzen/ welches keiner Tugend faͤhig waͤre/ und in einem Kopfe ohne Vernunft/ ſo wenig ein Laſter und der Beyfall einer falſchen Meynung Platz finden/ als diß/ was kein Leben hat/ ſterben. Dannenhero/ wenn ein Thier ſchiene bald Hofnung/ bald Grimm/ bald Liebe zu erwehlen/ waͤre es ein bloſſer Schatten wah- rer Gemuͤths-Regungen. Einem Loͤwen kaͤ- me die Eigenſchafft des Zornes nicht viel beſſer zu/ als einer Wolcke/ wenn ſie blitzet. Eine Hinde waͤre nicht eigentlicher traurig/ als der Monde/ wenn er verfinſtert wuͤrde. Zeno be- gegnete Rhemetalcen: Er hoͤrte wol/ daß er die Stoiſchen Weiſen zu ſeinem Lehr-Meiſter ge- habt haͤtte/ welche die in dem Hertzen wohnenden Gemuͤths-Regungen in das Gehirne verſetzten/ darinnen derſelben ſo wenig/ als Einwohner im Monden/ zu finden waͤren. Sie ſchluͤgen ſich aber ſelbſt/ wenn ſie Kindern/ Narren und vollen Leuten ſelbige nicht abſprechen koͤnten/ welche doch weniger Vernunft/ als Papagoyen und Elefanten haͤtten. Denn bey den Kindern waͤre ſie noch ungebohren/ in Rarren todt/ bey Vollen eingeſchlaffen. Die erſten weinten aus Unvernunft umb ihre Tocken ſo bitterlich/ als Oenone umb ihren Paris/ und Priamus umb ſein Koͤnigreich. Sie erſchrecken fuͤr einer Lar- ve mehr/ als Brutus fuͤr ſeinem boͤſen Geiſte. Der Wahnſinnige zu Athen opferte aus einge- bildetem Eigenthum/ frembder Schiffe halber/ ſein abgeſchnidtenes Haar dem ſtuͤrmenden Meer und Winde ſo willig/ als es die belaͤger- ten Frauen zu Carthago zu Bogen-Sehnen hergaben. Die Vollen zu Syracuſa warffen aus getraͤumtem Schiffbruche muͤhſamer alles zum Fenſter des Schenckhauſes hinaus/ als der Schiffbruch-leidende Ulyſſes alles uͤber Bord. Rhemetalces wendete ein: Dieſer Art Men- ſchen koͤnte er eben ſo wenig wahre Gemuͤths- Regungen/ als dem Vieh enthaͤngen/ weil ihnen eben ſo wenig die Wahl ihrer anklebenden Schwach heit/ als dem Vieh/ ihrer angebohrnen Art zu widerſtehen/ mangelte. Der Haſe und deꝛ Hirſch waͤꝛen allemal furchtſam/ deꝛ Loͤwe und Tiger allemal grimmig/ und die Tauben koͤn- ten nichts als im̃er liebreitzend ſeyn. Zeno wideꝛ- ſprach diß durch dieſe Frage: Ob er die Hirſchen niemals einen Jaͤger haͤtte toͤdten ſehen? Ob nicht Ptolomaͤus ſieben paar hoffaͤrtig hertrabende Hiꝛſchen an ſo viel guͤldnen Wagen gefuͤhꝛet/ und Mithridates ſo viel behertzte zu ſeiner Leib-Wa- che erkieſet habe? Des Sertorius weiſſe Hindin haͤtte den Ruhm einer Wahrſagerin erworben/ und eine andere in Egypten die Griechiſche Sprache verſtehen gelernet. Haͤtte nicht Ono- marchus mit den zahmen Loͤwen geſpeiſet/ An- tonius ſie fuͤr ſeinen Wagen geſpannet? Hanno haͤtte einen/ wie ein Lamb/ bey der Hand gefuͤhrt/ und dadurch von ſeinem argwoͤhniſchen Vater- lande ihm ſeine Hinrichtung zugezogen. Men- tor von Syracuſe/ Elpis aus Samos und An- droclus haͤtten durch ihre Wolthaten ſie zu einer empfindlichen Liebe bewogen. Die Turtel- Taube ergrimmete ſich wider den Raben/ betruͤ- bete ſich uͤber den Tod ihres Geſpielen/ trincke nur truͤbes Waſſer/ und ſitze auff keinen gruͤnen Zweig mehr. Sollen nun dieſe Thiere keine wahre Gemuͤths-Regung haben? Sie haben ja alle Sinnen der Menſchen/ welche ihnen ſo wol als uns alles annehmliche und verdruͤßliche empfindlich machen; ja in unterſchiedenen uͤber- treffen ſie uns noch. Wer wil ſich uͤberreden laſſen/ daß der Haſe fuͤr den Hunden nicht aus Furcht fliehe/ und das Rebhun ſich fuͤr dem Ha- bichte nicht aus Schrecken verkrieche? Wer wil an dem Grimme des Loͤwen zweifeln/ wenn fuͤr ſeinem Bruͤllen die Waͤlder beben/ und tauſend Thiere zittern/ oder er Spiſſe und Degen zer- malmet/ und die Jaͤger zerfleiſchet? Rhemetal- ces fiel ein: Alle dieſe Bewegungen der Thiere ſchritten uͤber keine Graͤntzen/ weil ſie keine Ver- nunft zur Anweiſerin/ und kein Geſetze zur Richtſchnur haͤtten. Zeno antwortete: Es folgte M 3

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/143>, abgerufen am 23.11.2024.