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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Achtes Buch
[Spaltenumbruch] leben/ wie die Deutschen zeither fast unter den
Römern gelebt hätten. Also wäre sein unver-
änderlicher Vorsatz/ entweder in der Freyheit
zu leben/ oder für dieselbe zu sterben. Hertzog
Arpus hörte mit einer großmüthigen Aufwal-
lung seines Gemüthes Herrmanns Vortrag;
und nach dem er die für gelegten Schreiben/ in
derer einem ihm absonderlich sein Todes-Ur-
thel gefällt war/ durchlesen hatte/ erklärte er sich
dahin: Varus hätte den Melo biß in die See-
le beleidiget; ihm aber nach dem Leben getrach-
tet; keines wäre gelinder/ als mit seinem To-
de zu rächen. Alle redliche Deutschen würden
bey ihnen stehen/ welche verstünden: daß wer
einmahl der Tugend gram würde/ sich an mit-
lern Lastern nicht sättigte; und daß das Mord-
Eisen der Wütteriche nur durstiger nach meh-
rerm Blute würde. Denn so ruchlose Leute
hegten diesen Aber glauben: daß die auffs höch-
ste gewachsenen Laster zu Tugenden/ wie die ih-
res gleichen verschlingende Schlangen zu Dra-
chen würden. Weil nun derogestalt dem Va-
terlande das Wasser in den Mund/ ihnen selbst
biß über die Scheitel gienge/ wären mittel-
mäßige Entschlüssungen der Römer Gewalt
zu steuern unvermögende Bemühungen/ oder
vielmehr ohnmächtige Wehen der vergehenden
Freyheit. Wenn die Tugend ihr selbst durch
gewisse Maaßgebung ein Gebieß anlegte/ mü-
ste sie allerdings darhinten bleiben; und die
Boßheit/ welche weder Maaß noch Ziel kenn
te/ lieffe ihr allezeit das Vortheil ab. Dahero
jene ihr Gutes ins gemein böse/ diese aber ihr
Böses wol ausübte. Also stimmte er in alle
Wege dahin: daß man die Römische Macht/
als die deutsche Gifft-Wurtzel/ mit Strumpff
und Stiel ausrotten solte; und er stünde für sei-
ne Catten: daß sie beyde Schärffen ihrer
Schwerdter für die gemeine Freyheit brauchen
würden. Sie alle müsten Deutschland für ihre
Mutter; aber Deutschland könte niemanden
wol für seinen Sohn erkennen/ wenn sie es in
[Spaltenumbruch] diesem Nothstande versincken/ und in dem
Schlamme der Römischen Uppigkeiten ersti-
cken liessen. Man schätzte für keine Schande
an seiner Liebes-Kranckheit vergehen; warum
hätte man denn Bedencken mit dem sterbenden
Vaterlande umzukommen? Wer nicht für
rühmlich schätzte das Leben einzubüssen/ um die
Ehre zu behalten/ hätte weder Ehre noch Leben
in sich. Hingegen würde Deutschland durch
ihre Regung einen neuen Geist/ und sie durch
die Abscheu für so grausamen Lastern des Va-
rus überflüßigen Beystand bekommen. Wolte
ihnen aber auch gleich das Vaterland/ so wolten
sie doch nicht dem Vaterlande entfallen. Hätte
er nicht zu verhindern vermocht: daß die Rö-
mer in Deutschland den Fuß gesetzt/ so wolte er
doch sich bearbeiten: daß ihr Glücke darinnen
nicht berasete. Was der Römer Herrschens-
sucht in Deutschland eingenommen/ hätte ih-
nen ihre Zwietracht eingeräumt; und also kleb-
te ihrem Besitzthume ein zweyfacher Fleck/ de-
nen Deutschen aber die gröste Schande an. Und
derogestalt würde er vom Melo und Herrmann
durch ihren hertzhafften Schluß nicht so wol zu
einem gefährlichen/ als ruhmwürdigen Wer-
cke beruffen. Wiewol eine unvermeidliche
Nothwehr keine bedenckliche Uberlegungen der
Gefahr vertrüge. Er erinnerte allein bey die-
sem Fürhaben: daß sie ihren Schluß ohne
Säumnüs ins Werck richten solten. Denn die
Uberlegung eines Dinges habe wol Zeit/ der
Schluß aber unsäumbarer Ausführung von
nöthen. Viel Heimligkeiten kämen ohne ei-
nigen Wortes Auslassung aus. Denn die
Muthmassung wäre ein schärfferer Ausholer/
als die Zunge ein Verräther. Weil nun vorher
gesehene Streiche meist nichts/ als die Lufft ver-
letzten/ ein mißrathender Anschlag aber nur
warnigte; rieth er: daß man wie ein Blitz loß-
brechen/ und durch eine behertzte Geschwin-
digkeit die bißherige Versäumung des Vater-
landes einbringen solte. Also brachte dieser

Fürsten

Achtes Buch
[Spaltenumbruch] leben/ wie die Deutſchen zeither faſt unter den
Roͤmern gelebt haͤtten. Alſo waͤre ſein unver-
aͤnderlicher Vorſatz/ entweder in der Freyheit
zu leben/ oder fuͤr dieſelbe zu ſterben. Hertzog
Arpus hoͤrte mit einer großmuͤthigen Aufwal-
lung ſeines Gemuͤthes Herꝛmanns Vortrag;
und nach dem er die fuͤr gelegten Schreiben/ in
derer einem ihm abſonderlich ſein Todes-Ur-
thel gefaͤllt war/ durchleſen hatte/ erklaͤrte er ſich
dahin: Varus haͤtte den Melo biß in die See-
le beleidiget; ihm aber nach dem Leben getrach-
tet; keines waͤre gelinder/ als mit ſeinem To-
de zu raͤchen. Alle redliche Deutſchen wuͤrden
bey ihnen ſtehen/ welche verſtuͤnden: daß wer
einmahl der Tugend gram wuͤrde/ ſich an mit-
lern Laſtern nicht ſaͤttigte; und daß das Mord-
Eiſen der Wuͤtteriche nur durſtiger nach meh-
rerm Blute wuͤrde. Denn ſo ruchloſe Leute
hegten dieſen Aber glauben: daß die auffs hoͤch-
ſte gewachſenen Laſter zu Tugenden/ wie die ih-
res gleichen verſchlingende Schlangen zu Dra-
chen wuͤrden. Weil nun derogeſtalt dem Va-
terlande das Waſſer in den Mund/ ihnen ſelbſt
biß uͤber die Scheitel gienge/ waͤren mittel-
maͤßige Entſchluͤſſungen der Roͤmer Gewalt
zu ſteuern unvermoͤgende Bemuͤhungen/ oder
vielmehr ohnmaͤchtige Wehen der vergehenden
Freyheit. Wenn die Tugend ihr ſelbſt durch
gewiſſe Maaßgebung ein Gebieß anlegte/ muͤ-
ſte ſie allerdings darhinten bleiben; und die
Boßheit/ welche weder Maaß noch Ziel kenn
te/ lieffe ihr allezeit das Vortheil ab. Dahero
jene ihr Gutes ins gemein boͤſe/ dieſe aber ihr
Boͤſes wol ausuͤbte. Alſo ſtimmte er in alle
Wege dahin: daß man die Roͤmiſche Macht/
als die deutſche Gifft-Wurtzel/ mit Strumpff
und Stiel ausrotten ſolte; und er ſtuͤnde fuͤr ſei-
ne Catten: daß ſie beyde Schaͤrffen ihrer
Schwerdter fuͤr die gemeine Freyheit brauchen
wuͤrden. Sie alle muͤſten Deutſchland fuͤr ihre
Mutter; aber Deutſchland koͤnte niemanden
wol fuͤr ſeinen Sohn erkennen/ wenn ſie es in
[Spaltenumbruch] dieſem Nothſtande verſincken/ und in dem
Schlamme der Roͤmiſchen Uppigkeiten erſti-
cken lieſſen. Man ſchaͤtzte fuͤr keine Schande
an ſeiner Liebes-Kranckheit vergehen; warum
haͤtte man denn Bedencken mit dem ſterbenden
Vaterlande umzukommen? Wer nicht fuͤr
ruͤhmlich ſchaͤtzte das Leben einzubuͤſſen/ um die
Ehre zu behalten/ haͤtte weder Ehre noch Leben
in ſich. Hingegen wuͤrde Deutſchland durch
ihre Regung einen neuen Geiſt/ und ſie durch
die Abſcheu fuͤr ſo grauſamen Laſtern des Va-
rus uͤberfluͤßigen Beyſtand bekommen. Wolte
ihnen aber auch gleich das Vaterland/ ſo wolten
ſie doch nicht dem Vaterlande entfallen. Haͤtte
er nicht zu verhindern vermocht: daß die Roͤ-
mer in Deutſchland den Fuß geſetzt/ ſo wolte er
doch ſich bearbeiten: daß ihr Gluͤcke darinnen
nicht beraſete. Was der Roͤmer Herꝛſchens-
ſucht in Deutſchland eingenommen/ haͤtte ih-
nen ihre Zwietracht eingeraͤumt; und alſo kleb-
te ihrem Beſitzthume ein zweyfacher Fleck/ de-
nen Deutſchen aber die groͤſte Schande an. Und
derogeſtalt wuͤrde er vom Melo und Herꝛmann
durch ihren hertzhafften Schluß nicht ſo wol zu
einem gefaͤhrlichen/ als ruhmwuͤrdigen Wer-
cke beruffen. Wiewol eine unvermeidliche
Nothwehr keine bedenckliche Uberlegungen der
Gefahr vertruͤge. Er erinnerte allein bey die-
ſem Fuͤrhaben: daß ſie ihren Schluß ohne
Saͤumnuͤs ins Werck richten ſolten. Denn die
Uberlegung eines Dinges habe wol Zeit/ der
Schluß aber unſaͤumbarer Ausfuͤhrung von
noͤthen. Viel Heimligkeiten kaͤmen ohne ei-
nigen Wortes Auslaſſung aus. Denn die
Muthmaſſung waͤre ein ſchaͤrfferer Ausholer/
als die Zunge ein Verraͤther. Weil nun vorher
geſehene Streiche meiſt nichts/ als die Lufft ver-
letzten/ ein mißrathender Anſchlag aber nur
warnigte; rieth er: daß man wie ein Blitz loß-
brechen/ und durch eine behertzte Geſchwin-
digkeit die bißherige Verſaͤumung des Vater-
landes einbringen ſolte. Alſo brachte dieſer

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[1314[1316]/1380] Achtes Buch leben/ wie die Deutſchen zeither faſt unter den Roͤmern gelebt haͤtten. Alſo waͤre ſein unver- aͤnderlicher Vorſatz/ entweder in der Freyheit zu leben/ oder fuͤr dieſelbe zu ſterben. Hertzog Arpus hoͤrte mit einer großmuͤthigen Aufwal- lung ſeines Gemuͤthes Herꝛmanns Vortrag; und nach dem er die fuͤr gelegten Schreiben/ in derer einem ihm abſonderlich ſein Todes-Ur- thel gefaͤllt war/ durchleſen hatte/ erklaͤrte er ſich dahin: Varus haͤtte den Melo biß in die See- le beleidiget; ihm aber nach dem Leben getrach- tet; keines waͤre gelinder/ als mit ſeinem To- de zu raͤchen. Alle redliche Deutſchen wuͤrden bey ihnen ſtehen/ welche verſtuͤnden: daß wer einmahl der Tugend gram wuͤrde/ ſich an mit- lern Laſtern nicht ſaͤttigte; und daß das Mord- Eiſen der Wuͤtteriche nur durſtiger nach meh- rerm Blute wuͤrde. Denn ſo ruchloſe Leute hegten dieſen Aber glauben: daß die auffs hoͤch- ſte gewachſenen Laſter zu Tugenden/ wie die ih- res gleichen verſchlingende Schlangen zu Dra- chen wuͤrden. Weil nun derogeſtalt dem Va- terlande das Waſſer in den Mund/ ihnen ſelbſt biß uͤber die Scheitel gienge/ waͤren mittel- maͤßige Entſchluͤſſungen der Roͤmer Gewalt zu ſteuern unvermoͤgende Bemuͤhungen/ oder vielmehr ohnmaͤchtige Wehen der vergehenden Freyheit. Wenn die Tugend ihr ſelbſt durch gewiſſe Maaßgebung ein Gebieß anlegte/ muͤ- ſte ſie allerdings darhinten bleiben; und die Boßheit/ welche weder Maaß noch Ziel kenn te/ lieffe ihr allezeit das Vortheil ab. Dahero jene ihr Gutes ins gemein boͤſe/ dieſe aber ihr Boͤſes wol ausuͤbte. Alſo ſtimmte er in alle Wege dahin: daß man die Roͤmiſche Macht/ als die deutſche Gifft-Wurtzel/ mit Strumpff und Stiel ausrotten ſolte; und er ſtuͤnde fuͤr ſei- ne Catten: daß ſie beyde Schaͤrffen ihrer Schwerdter fuͤr die gemeine Freyheit brauchen wuͤrden. Sie alle muͤſten Deutſchland fuͤr ihre Mutter; aber Deutſchland koͤnte niemanden wol fuͤr ſeinen Sohn erkennen/ wenn ſie es in dieſem Nothſtande verſincken/ und in dem Schlamme der Roͤmiſchen Uppigkeiten erſti- cken lieſſen. Man ſchaͤtzte fuͤr keine Schande an ſeiner Liebes-Kranckheit vergehen; warum haͤtte man denn Bedencken mit dem ſterbenden Vaterlande umzukommen? Wer nicht fuͤr ruͤhmlich ſchaͤtzte das Leben einzubuͤſſen/ um die Ehre zu behalten/ haͤtte weder Ehre noch Leben in ſich. Hingegen wuͤrde Deutſchland durch ihre Regung einen neuen Geiſt/ und ſie durch die Abſcheu fuͤr ſo grauſamen Laſtern des Va- rus uͤberfluͤßigen Beyſtand bekommen. Wolte ihnen aber auch gleich das Vaterland/ ſo wolten ſie doch nicht dem Vaterlande entfallen. Haͤtte er nicht zu verhindern vermocht: daß die Roͤ- mer in Deutſchland den Fuß geſetzt/ ſo wolte er doch ſich bearbeiten: daß ihr Gluͤcke darinnen nicht beraſete. Was der Roͤmer Herꝛſchens- ſucht in Deutſchland eingenommen/ haͤtte ih- nen ihre Zwietracht eingeraͤumt; und alſo kleb- te ihrem Beſitzthume ein zweyfacher Fleck/ de- nen Deutſchen aber die groͤſte Schande an. Und derogeſtalt wuͤrde er vom Melo und Herꝛmann durch ihren hertzhafften Schluß nicht ſo wol zu einem gefaͤhrlichen/ als ruhmwuͤrdigen Wer- cke beruffen. Wiewol eine unvermeidliche Nothwehr keine bedenckliche Uberlegungen der Gefahr vertruͤge. Er erinnerte allein bey die- ſem Fuͤrhaben: daß ſie ihren Schluß ohne Saͤumnuͤs ins Werck richten ſolten. Denn die Uberlegung eines Dinges habe wol Zeit/ der Schluß aber unſaͤumbarer Ausfuͤhrung von noͤthen. Viel Heimligkeiten kaͤmen ohne ei- nigen Wortes Auslaſſung aus. Denn die Muthmaſſung waͤre ein ſchaͤrfferer Ausholer/ als die Zunge ein Verraͤther. Weil nun vorher geſehene Streiche meiſt nichts/ als die Lufft ver- letzten/ ein mißrathender Anſchlag aber nur warnigte; rieth er: daß man wie ein Blitz loß- brechen/ und durch eine behertzte Geſchwin- digkeit die bißherige Verſaͤumung des Vater- landes einbringen ſolte. Alſo brachte dieſer Fuͤrſten

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1314[1316]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1380>, abgerufen am 06.05.2024.