Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Buch
[Spaltenumbruch] diesem Frauen-Zimmer das Leben und was
gutes gönte/ müste er ihr und ihm selbst die Ru-
he gönnen. Welchem er denn derogestalt nach-
kam; wiewol sein und ihr Schlaff öffters
Merckmaale ihrer Unruh von sich gab. Er
enteusserte sich des Schlaffes mit dem tagenden
Morgen. Daher er denn von dieser wol zwey
Stunden nach der Sonnen Auffgange Schla-
fenden kein Auge verwendete/ und/ so viel mahl
sie Athem holete/ gleichsam eine neue Krafft be-
kam/ ja sich sie zu umarmen aus Beysorge den
Schlaff ihr zu stören kaum enthalten konte.
Endlich erwachte sie; und sahe nunmehr bey
gesundem Verstande den Fürsten Herrmann
vor ihrem Gesichte. Träumet mir? fieng sie
an/ und hob sich von ihrem armseligen Bette
des guthertzigen Kohl-Weibes auff. Keines
Weges/ meine Seele/ meine himmlische Thuß-
nelde/ versetzte Herrmann; und umarmte sie
mit einer unbegreiflichen Hertzens-Freude. Jst
es glaublich: daß ich lebe/ und zugleich dich/ mein
Leben/ hier finde? fuhr sie fort; welcher er ant-
wortete: daß sie an beyden nicht zu zweiffeln/
sondern GOtt für ihre Erhaltung zu dancken/
auch zu glauben hätte: daß er itzt allererst mit
ihrer Wiederersetzung wieder zu leben anfien-
ge; weil er durch die Sorge für sie täglich
mehr/ als zehnmahl wäre entseelet worden.
Sintemahl eine verliebte Seele/ wenn sie nicht
weiß/ was seine Geliebte leidet/ eben diß/ ja ein
mehrers deßhalben ausstehe; weil sie es nicht
weiß; nach dem die Furcht alles Böse vergrös-
serte/ wie es die Hoffnung verkleinerte. Mit
diesen liebkosenden Wortwechselungen brachten
sie wol eine halbe Stunde zu/ ehe eines das an-
dere/ wie sie zusammen kommen wären/ zu fra-
gen vermochte. Endlich machte die ihre Freu-
de kaum begreiffende Thußnelde hier innen den
Anfang: welcher denn Herrmann auffs kürtze-
ste erzehlte: wie ein guter Geist ihn an die El-
be geführet/ und sie aus dem Wasser zu erretten
geleitet hätte. Worauff sie auff ihre Knie zur
[Spaltenumbruch] Erden sanck/ und der Göttlichen Versehung/
der himmlischen Beschir mer in für diß Wunder-
werck ihrer Erlösung inbrünstig danckte. Sie
hingegen berichtete: daß König Marbod nach
vergebens geschehener Liebes-Werbung sie in
ein an der Elbe gelegenes Schloß eingesperret;
das Wetter aber in den Thurm eingeschlagen;
und weil sie zu allem Glücke sich in einem Ne-
ben-Zimmer befunden/ ihre Ohren nur etwas be-
täubet/ ihre Bewahrer aber getödtet/ die Thü-
ren des Gefängnüsses eröffnet/ ja ihr eigentli-
ches Wohngemach nebst etlichen andern gantz
eingeäschert hätte. Dieser Gelegenheit und
Unglücks hätte sie sich zu ihrem Vortheil bedie-
net; und weil die übrigen Einwohner des
Schlosses für Schrecken gleichsam in starren-
de Seulen wären verwandelt worden; hätte sie
sich über den Grauß der eingeworffenen Ge-
bäue herab gearbeitet/ und an dem Ufer einen
Fischer-Kahn gefunden/ mit welchem sie sich ü-
ber den Fluß zu setzen bemühet; weil sie aber we-
gen Unerfahrenheit im Schiffen das Ruder
eingebüsset/ hätte sie der Strom mit genom-
men/ und so viel sie sich erinnerte/ den Kahn ü-
ber und über gedrehet; also: daß/ was sich fer-
ner mit ihr begeben/ das wenigste zu sagen;
wol aber ihr Leben GOtt und dem/ welchem
sie es ohne diß als ein Opffer fürlängst gewied-
met/ zu dancken hätte. Hertzog Herrmann
muste bey dieser Erzehlung die unbegreifliche
Vorsorge Gottes nicht allein durch eine inner-
liche Andacht verehren; sondern er brach auch/
seine Augen gegen den Himmel wendende/ in
diese Worte heraus: Du allsehendes Auge der
Göttlichen Versehung! wie deutlich zeigestu
doch in deinen Schickungen: daß du uns
Menschen für dein angenehmes Eigenthum
hältest; und/ um diß nicht zu verlieren/ keinen
Blick von uns verwendest! Warlich/ deim Ge-
stalt ist voller Ohren; denn du hörest auch das
ohn mächtige Winseln derer in unterirrdische
Kercker versteckter Elenden; dein Antlitz hat

nicht

Achtes Buch
[Spaltenumbruch] dieſem Frauen-Zimmer das Leben und was
gutes goͤnte/ muͤſte er ihr und ihm ſelbſt die Ru-
he goͤnnen. Welchem er denn derogeſtalt nach-
kam; wiewol ſein und ihr Schlaff oͤffters
Merckmaale ihrer Unruh von ſich gab. Er
enteuſſerte ſich des Schlaffes mit dem tagenden
Morgen. Daher er denn von dieſer wol zwey
Stunden nach der Sonnen Auffgange Schla-
fenden kein Auge verwendete/ und/ ſo viel mahl
ſie Athem holete/ gleichſam eine neue Krafft be-
kam/ ja ſich ſie zu umarmen aus Beyſorge den
Schlaff ihr zu ſtoͤren kaum enthalten konte.
Endlich erwachte ſie; und ſahe nunmehr bey
geſundem Verſtande den Fuͤrſten Herrmann
vor ihrem Geſichte. Traͤumet mir? fieng ſie
an/ und hob ſich von ihrem armſeligen Bette
des guthertzigen Kohl-Weibes auff. Keines
Weges/ meine Seele/ meine him̃liſche Thuß-
nelde/ verſetzte Herrmann; und umarmte ſie
mit einer unbegreiflichen Hertzens-Freude. Jſt
es glaublich: daß ich lebe/ und zugleich dich/ mein
Leben/ hier finde? fuhr ſie fort; welcher er ant-
wortete: daß ſie an beyden nicht zu zweiffeln/
ſondern GOtt fuͤr ihre Erhaltung zu dancken/
auch zu glauben haͤtte: daß er itzt allererſt mit
ihrer Wiedererſetzung wieder zu leben anfien-
ge; weil er durch die Sorge fuͤr ſie taͤglich
mehr/ als zehnmahl waͤre entſeelet worden.
Sintemahl eine verliebte Seele/ wenn ſie nicht
weiß/ was ſeine Geliebte leidet/ eben diß/ ja ein
mehrers deßhalben ausſtehe; weil ſie es nicht
weiß; nach dem die Furcht alles Boͤſe vergroͤſ-
ſerte/ wie es die Hoffnung verkleinerte. Mit
dieſen liebkoſenden Wortwechſelungen brachten
ſie wol eine halbe Stunde zu/ ehe eines das an-
dere/ wie ſie zuſammen kommen waͤren/ zu fra-
gen vermochte. Endlich machte die ihre Freu-
de kaum begreiffende Thußnelde hier innen den
Anfang: welcher denn Herrmann auffs kuͤrtze-
ſte erzehlte: wie ein guter Geiſt ihn an die El-
be gefuͤhret/ und ſie aus dem Waſſer zu erretten
geleitet haͤtte. Worauff ſie auff ihre Knie zur
[Spaltenumbruch] Erden ſanck/ und der Goͤttlichen Verſehung/
der himmliſchen Beſchir mer in fuͤr diß Wunder-
werck ihrer Erloͤſung inbruͤnſtig danckte. Sie
hingegen berichtete: daß Koͤnig Marbod nach
vergebens geſchehener Liebes-Werbung ſie in
ein an der Elbe gelegenes Schloß eingeſperret;
das Wetter aber in den Thurm eingeſchlagen;
und weil ſie zu allem Gluͤcke ſich in einem Ne-
ben-Zim̃er befunden/ ihre Ohren nur etwas be-
taͤubet/ ihre Bewahrer aber getoͤdtet/ die Thuͤ-
ren des Gefaͤngnuͤſſes eroͤffnet/ ja ihr eigentli-
ches Wohngemach nebſt etlichen andern gantz
eingeaͤſchert haͤtte. Dieſer Gelegenheit und
Ungluͤcks haͤtte ſie ſich zu ihrem Vortheil bedie-
net; und weil die uͤbrigen Einwohner des
Schloſſes fuͤr Schrecken gleichſam in ſtarren-
de Seulen waͤren verwandelt worden; haͤtte ſie
ſich uͤber den Grauß der eingeworffenen Ge-
baͤue herab gearbeitet/ und an dem Ufer einen
Fiſcher-Kahn gefunden/ mit welchem ſie ſich uͤ-
ber den Fluß zu ſetzen bemuͤhet; weil ſie aber we-
gen Unerfahrenheit im Schiffen das Ruder
eingebuͤſſet/ haͤtte ſie der Strom mit genom-
men/ und ſo viel ſie ſich erinnerte/ den Kahn uͤ-
ber und uͤber gedrehet; alſo: daß/ was ſich fer-
ner mit ihr begeben/ das wenigſte zu ſagen;
wol aber ihr Leben GOtt und dem/ welchem
ſie es ohne diß als ein Opffer fuͤrlaͤngſt gewied-
met/ zu dancken haͤtte. Hertzog Herrmann
muſte bey dieſer Erzehlung die unbegreifliche
Vorſorge Gottes nicht allein durch eine inner-
liche Andacht verehren; ſondern er brach auch/
ſeine Augen gegen den Himmel wendende/ in
dieſe Worte heraus: Du allſehendes Auge der
Goͤttlichen Verſehung! wie deutlich zeigeſtu
doch in deinen Schickungen: daß du uns
Menſchen fuͤr dein angenehmes Eigenthum
haͤlteſt; und/ um diß nicht zu verlieren/ keinen
Blick von uns verwendeſt! Warlich/ deim Ge-
ſtalt iſt voller Ohren; denn du hoͤreſt auch das
ohn maͤchtige Winſeln derer in unterirrdiſche
Kercker verſteckter Elenden; dein Antlitz hat

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f1358" n="1292[1294]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Achtes Buch</hi></fw><lb/><cb/>
die&#x017F;em Frauen-Zimmer das Leben und was<lb/>
gutes go&#x0364;nte/ mu&#x0364;&#x017F;te er ihr und ihm &#x017F;elb&#x017F;t die Ru-<lb/>
he go&#x0364;nnen. Welchem er denn deroge&#x017F;talt nach-<lb/>
kam; wiewol &#x017F;ein und ihr Schlaff o&#x0364;ffters<lb/>
Merckmaale ihrer Unruh von &#x017F;ich gab. Er<lb/>
enteu&#x017F;&#x017F;erte &#x017F;ich des Schlaffes mit dem tagenden<lb/>
Morgen. Daher er denn von die&#x017F;er wol zwey<lb/>
Stunden nach der Sonnen Auffgange Schla-<lb/>
fenden kein Auge verwendete/ und/ &#x017F;o viel mahl<lb/>
&#x017F;ie Athem holete/ gleich&#x017F;am eine neue Krafft be-<lb/>
kam/ ja &#x017F;ich &#x017F;ie zu umarmen aus Bey&#x017F;orge den<lb/>
Schlaff ihr zu &#x017F;to&#x0364;ren kaum enthalten konte.<lb/>
Endlich erwachte &#x017F;ie; und &#x017F;ahe nunmehr bey<lb/>
ge&#x017F;undem Ver&#x017F;tande den Fu&#x0364;r&#x017F;ten Herrmann<lb/>
vor ihrem Ge&#x017F;ichte. Tra&#x0364;umet mir? fieng &#x017F;ie<lb/>
an/ und hob &#x017F;ich von ihrem arm&#x017F;eligen Bette<lb/>
des guthertzigen Kohl-Weibes auff. Keines<lb/>
Weges/ meine Seele/ meine him&#x0303;li&#x017F;che Thuß-<lb/>
nelde/ ver&#x017F;etzte Herrmann; und umarmte &#x017F;ie<lb/>
mit einer unbegreiflichen Hertzens-Freude. J&#x017F;t<lb/>
es glaublich: daß ich lebe/ und zugleich dich/ mein<lb/>
Leben/ hier finde? fuhr &#x017F;ie fort; welcher er ant-<lb/>
wortete: daß &#x017F;ie an beyden nicht zu zweiffeln/<lb/>
&#x017F;ondern GOtt fu&#x0364;r ihre Erhaltung zu dancken/<lb/>
auch zu glauben ha&#x0364;tte: daß er itzt allerer&#x017F;t mit<lb/>
ihrer Wiederer&#x017F;etzung wieder zu leben anfien-<lb/>
ge; weil er durch die Sorge fu&#x0364;r &#x017F;ie ta&#x0364;glich<lb/>
mehr/ als zehnmahl wa&#x0364;re ent&#x017F;eelet worden.<lb/>
Sintemahl eine verliebte Seele/ wenn &#x017F;ie nicht<lb/>
weiß/ was &#x017F;eine Geliebte leidet/ eben diß/ ja ein<lb/>
mehrers deßhalben aus&#x017F;tehe; weil &#x017F;ie es nicht<lb/>
weiß; nach dem die Furcht alles Bo&#x0364;&#x017F;e vergro&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erte/ wie es die Hoffnung verkleinerte. Mit<lb/>
die&#x017F;en liebko&#x017F;enden Wortwech&#x017F;elungen brachten<lb/>
&#x017F;ie wol eine halbe Stunde zu/ ehe eines das an-<lb/>
dere/ wie &#x017F;ie zu&#x017F;ammen kommen wa&#x0364;ren/ zu fra-<lb/>
gen vermochte. Endlich machte die ihre Freu-<lb/>
de kaum begreiffende Thußnelde hier innen den<lb/>
Anfang: welcher denn Herrmann auffs ku&#x0364;rtze-<lb/>
&#x017F;te erzehlte: wie ein guter Gei&#x017F;t ihn an die El-<lb/>
be gefu&#x0364;hret/ und &#x017F;ie aus dem Wa&#x017F;&#x017F;er zu erretten<lb/>
geleitet ha&#x0364;tte. Worauff &#x017F;ie auff ihre Knie zur<lb/><cb/>
Erden &#x017F;anck/ und der Go&#x0364;ttlichen Ver&#x017F;ehung/<lb/>
der himmli&#x017F;chen Be&#x017F;chir mer in fu&#x0364;r diß Wunder-<lb/>
werck ihrer Erlo&#x0364;&#x017F;ung inbru&#x0364;n&#x017F;tig danckte. Sie<lb/>
hingegen berichtete: daß Ko&#x0364;nig Marbod nach<lb/>
vergebens ge&#x017F;chehener Liebes-Werbung &#x017F;ie in<lb/>
ein an der Elbe gelegenes Schloß einge&#x017F;perret;<lb/>
das Wetter aber in den Thurm einge&#x017F;chlagen;<lb/>
und weil &#x017F;ie zu allem Glu&#x0364;cke &#x017F;ich in einem Ne-<lb/>
ben-Zim&#x0303;er befunden/ ihre Ohren nur etwas be-<lb/>
ta&#x0364;ubet/ ihre Bewahrer aber geto&#x0364;dtet/ die Thu&#x0364;-<lb/>
ren des Gefa&#x0364;ngnu&#x0364;&#x017F;&#x017F;es ero&#x0364;ffnet/ ja ihr eigentli-<lb/>
ches Wohngemach neb&#x017F;t etlichen andern gantz<lb/>
eingea&#x0364;&#x017F;chert ha&#x0364;tte. Die&#x017F;er Gelegenheit und<lb/>
Unglu&#x0364;cks ha&#x0364;tte &#x017F;ie &#x017F;ich zu ihrem Vortheil bedie-<lb/>
net; und weil die u&#x0364;brigen Einwohner des<lb/>
Schlo&#x017F;&#x017F;es fu&#x0364;r Schrecken gleich&#x017F;am in &#x017F;tarren-<lb/>
de Seulen wa&#x0364;ren verwandelt worden; ha&#x0364;tte &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich u&#x0364;ber den Grauß der eingeworffenen Ge-<lb/>
ba&#x0364;ue herab gearbeitet/ und an dem Ufer einen<lb/>
Fi&#x017F;cher-Kahn gefunden/ mit welchem &#x017F;ie &#x017F;ich u&#x0364;-<lb/>
ber den Fluß zu &#x017F;etzen bemu&#x0364;het; weil &#x017F;ie aber we-<lb/>
gen Unerfahrenheit im Schiffen das Ruder<lb/>
eingebu&#x0364;&#x017F;&#x017F;et/ ha&#x0364;tte &#x017F;ie der Strom mit genom-<lb/>
men/ und &#x017F;o viel &#x017F;ie &#x017F;ich erinnerte/ den Kahn u&#x0364;-<lb/>
ber und u&#x0364;ber gedrehet; al&#x017F;o: daß/ was &#x017F;ich fer-<lb/>
ner mit ihr begeben/ das wenig&#x017F;te zu &#x017F;agen;<lb/>
wol aber ihr Leben GOtt und dem/ welchem<lb/>
&#x017F;ie es ohne diß als ein Opffer fu&#x0364;rla&#x0364;ng&#x017F;t gewied-<lb/>
met/ zu dancken ha&#x0364;tte. Hertzog Herrmann<lb/>
mu&#x017F;te bey die&#x017F;er Erzehlung die unbegreifliche<lb/>
Vor&#x017F;orge Gottes nicht allein durch eine inner-<lb/>
liche Andacht verehren; &#x017F;ondern er brach auch/<lb/>
&#x017F;eine Augen gegen den Himmel wendende/ in<lb/>
die&#x017F;e Worte heraus: Du all&#x017F;ehendes Auge der<lb/>
Go&#x0364;ttlichen Ver&#x017F;ehung! wie deutlich zeige&#x017F;tu<lb/>
doch in deinen Schickungen: daß du uns<lb/>
Men&#x017F;chen fu&#x0364;r dein angenehmes Eigenthum<lb/>
ha&#x0364;lte&#x017F;t; und/ um diß nicht zu verlieren/ keinen<lb/>
Blick von uns verwende&#x017F;t! Warlich/ deim Ge-<lb/>
&#x017F;talt i&#x017F;t voller Ohren; denn du ho&#x0364;re&#x017F;t auch das<lb/>
ohn ma&#x0364;chtige Win&#x017F;eln derer in unterirrdi&#x017F;che<lb/>
Kercker ver&#x017F;teckter Elenden; dein Antlitz hat<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1292[1294]/1358] Achtes Buch dieſem Frauen-Zimmer das Leben und was gutes goͤnte/ muͤſte er ihr und ihm ſelbſt die Ru- he goͤnnen. Welchem er denn derogeſtalt nach- kam; wiewol ſein und ihr Schlaff oͤffters Merckmaale ihrer Unruh von ſich gab. Er enteuſſerte ſich des Schlaffes mit dem tagenden Morgen. Daher er denn von dieſer wol zwey Stunden nach der Sonnen Auffgange Schla- fenden kein Auge verwendete/ und/ ſo viel mahl ſie Athem holete/ gleichſam eine neue Krafft be- kam/ ja ſich ſie zu umarmen aus Beyſorge den Schlaff ihr zu ſtoͤren kaum enthalten konte. Endlich erwachte ſie; und ſahe nunmehr bey geſundem Verſtande den Fuͤrſten Herrmann vor ihrem Geſichte. Traͤumet mir? fieng ſie an/ und hob ſich von ihrem armſeligen Bette des guthertzigen Kohl-Weibes auff. Keines Weges/ meine Seele/ meine him̃liſche Thuß- nelde/ verſetzte Herrmann; und umarmte ſie mit einer unbegreiflichen Hertzens-Freude. Jſt es glaublich: daß ich lebe/ und zugleich dich/ mein Leben/ hier finde? fuhr ſie fort; welcher er ant- wortete: daß ſie an beyden nicht zu zweiffeln/ ſondern GOtt fuͤr ihre Erhaltung zu dancken/ auch zu glauben haͤtte: daß er itzt allererſt mit ihrer Wiedererſetzung wieder zu leben anfien- ge; weil er durch die Sorge fuͤr ſie taͤglich mehr/ als zehnmahl waͤre entſeelet worden. Sintemahl eine verliebte Seele/ wenn ſie nicht weiß/ was ſeine Geliebte leidet/ eben diß/ ja ein mehrers deßhalben ausſtehe; weil ſie es nicht weiß; nach dem die Furcht alles Boͤſe vergroͤſ- ſerte/ wie es die Hoffnung verkleinerte. Mit dieſen liebkoſenden Wortwechſelungen brachten ſie wol eine halbe Stunde zu/ ehe eines das an- dere/ wie ſie zuſammen kommen waͤren/ zu fra- gen vermochte. Endlich machte die ihre Freu- de kaum begreiffende Thußnelde hier innen den Anfang: welcher denn Herrmann auffs kuͤrtze- ſte erzehlte: wie ein guter Geiſt ihn an die El- be gefuͤhret/ und ſie aus dem Waſſer zu erretten geleitet haͤtte. Worauff ſie auff ihre Knie zur Erden ſanck/ und der Goͤttlichen Verſehung/ der himmliſchen Beſchir mer in fuͤr diß Wunder- werck ihrer Erloͤſung inbruͤnſtig danckte. Sie hingegen berichtete: daß Koͤnig Marbod nach vergebens geſchehener Liebes-Werbung ſie in ein an der Elbe gelegenes Schloß eingeſperret; das Wetter aber in den Thurm eingeſchlagen; und weil ſie zu allem Gluͤcke ſich in einem Ne- ben-Zim̃er befunden/ ihre Ohren nur etwas be- taͤubet/ ihre Bewahrer aber getoͤdtet/ die Thuͤ- ren des Gefaͤngnuͤſſes eroͤffnet/ ja ihr eigentli- ches Wohngemach nebſt etlichen andern gantz eingeaͤſchert haͤtte. Dieſer Gelegenheit und Ungluͤcks haͤtte ſie ſich zu ihrem Vortheil bedie- net; und weil die uͤbrigen Einwohner des Schloſſes fuͤr Schrecken gleichſam in ſtarren- de Seulen waͤren verwandelt worden; haͤtte ſie ſich uͤber den Grauß der eingeworffenen Ge- baͤue herab gearbeitet/ und an dem Ufer einen Fiſcher-Kahn gefunden/ mit welchem ſie ſich uͤ- ber den Fluß zu ſetzen bemuͤhet; weil ſie aber we- gen Unerfahrenheit im Schiffen das Ruder eingebuͤſſet/ haͤtte ſie der Strom mit genom- men/ und ſo viel ſie ſich erinnerte/ den Kahn uͤ- ber und uͤber gedrehet; alſo: daß/ was ſich fer- ner mit ihr begeben/ das wenigſte zu ſagen; wol aber ihr Leben GOtt und dem/ welchem ſie es ohne diß als ein Opffer fuͤrlaͤngſt gewied- met/ zu dancken haͤtte. Hertzog Herrmann muſte bey dieſer Erzehlung die unbegreifliche Vorſorge Gottes nicht allein durch eine inner- liche Andacht verehren; ſondern er brach auch/ ſeine Augen gegen den Himmel wendende/ in dieſe Worte heraus: Du allſehendes Auge der Goͤttlichen Verſehung! wie deutlich zeigeſtu doch in deinen Schickungen: daß du uns Menſchen fuͤr dein angenehmes Eigenthum haͤlteſt; und/ um diß nicht zu verlieren/ keinen Blick von uns verwendeſt! Warlich/ deim Ge- ſtalt iſt voller Ohren; denn du hoͤreſt auch das ohn maͤchtige Winſeln derer in unterirrdiſche Kercker verſteckter Elenden; dein Antlitz hat nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1358
Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1292[1294]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1358>, abgerufen am 23.11.2024.