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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Achtes Buch
[Spaltenumbruch] verstund lincks und recht zu seyn/ auch mit zwey-
en Antlitzen vor und hinter sich zu sehen/ kehrte
nunmehr seine Deichsel gantz anderwerts hin;
schloß noch selbigen Tag mit denen heimlich an-
wesenden Gesandten der Pannonier und Dal-
matier das verlangte Bündnüs; und bewegte
den Quaden-König Vannius zu einer ansehn-
lichen Kriegs-Bereitschafft. Hingegen schlieff
Tiberius auch nicht/ sondern stellte sich so wol
selbst/ als durch den Sentius Saturnin und
Silius in gute Verfassung. Welche über aus
grosse Krieges-Rüstung der Römer dem Quin-
tilius Varus so viel mehr Gelegenheit gab die
Cherusker/ Bructerer/ Sicambrer/ Catten und
andere Völcker zwischen dem Rhein und der
Elbe auffs eusserste zu drücken. Sintemahl
sie sich theils für der grossen Römischen Macht
nicht rücken dorfften; theils ihre Ungedult ver-
schmertzen musten/ um dieses wieder den Mar-
bod auff ziehende Gewitter nicht ihnen auf den
Hals zu ziehen. Jnsonderheit aber beseuffzete
Hertzog Herrmann/ dem die Fürstin Erdmuth
Thußneldens Gefahr und Gefängnüs um-
ständlich berichtet hatte/ sein und seines Vater-
landes Nothstand. Wie er nun einst des Nachts
diesen schwermüthigen Gedancken nach hieng/
kam ein langer weisser Geist bey hellem Mon-
den-Schein für sein Bette; er grieff ihn bey der
Hand/ und redete ihn mit diesen gantz verständ-
lichen Worten an: Es ist Zeit/ Herrmann/
daß du deiner ertrinckenden Thußnelde zu
Hülffe kommst. Herrmann/ der ohne diß et-
liche Stunden gantz wache war/ und diß für
keinen Traum annehmen konte; antwortete oh-
ne Bedencken: Jch wils thun; stand auch von
Stund an auff; nahm drey der bewehrtesten
Ritter zu sich; und ritt mit selbten in Jäger-
Tracht noch für Tage fort; nach dem er mich
mit wenigen Worten zu seinem Stadthalter
verordnete/ und beredete: daß er in unauff-
schieblichen Reichs-Geschäfften den Hertzog
Jngviomer ins geheim/ und ohne des Quinti-
[Spaltenumbruch] lius Varus Vorbewust heimsuchen müste. Er
lenckte aber bald gegen der Saale/ all wo er sich
und seine Gefärthen wie Marck männer aus-
kleidete. Keiner unter diesen wuste/ wohin sein
Anschlag wäre/ ja Herrmann selbst nicht; in
dem Vertrauen: daß weil der Himmel sein
Auffwecker gewest wäre/ würde er auch sein
Wegweiser seyn. Zumahl ihm die Cattische
Hertzogin zwar: daß Thußnelde auf einem
Berg-Schlosse gefangen sässe/ nicht aber den
eigentlichen Ort zu wissen gemacht hatte. Herr-
mann setzte seinen Weg gleich wol durch das Ge-
biete der Hermundurer gegen Marbod-Stadt/
allwo er etwas gewisses zu vernehmen hoffte/
getrost fort. Also kam er an der Elbe nahe an
das Sudetische Gebürge; und ob zwar in einem
dicken Walde ihn ein erschreckliches Donner-
Wetter überfiel/ ließ er sich doch an der Reise
nichts auff halten. Denn ihm ahnte etwas un-
gemeines/ und sein Hertz sagte ihm ein abson-
deres Ebentheuer wah[r]. Nach des gantzen
Tages verdrüßlicher Reise brachte sie der Weg
gerade an den Elbe-Strom; da sie denn theils
der Mangel eines Abweges/ theils die sie nun-
mehr überfallende stockfinstere Nacht an diesem
Ufer zu bleiben nöthigte. Der offtere Blitz
zeigte ihnen zwar auff der andern Seite des
Flusses etwas Strom auff ein hohes Gebäue;
aber in Mangel der Schiffe konten sie dahin
nicht gelangen; sondern die breiten Aeste etli-
cher dicken Bäume must[e]n ihnen für ein Dach
dienen. Das Gewitter schien fast gar verzogen
zu seyn/ als ein erschrecklicher Schlag/ darvon
nicht nur sie/ sondern der Erd-Boden erbeb-
te/ in vorerwähntes hohe Gebäue in Gestalt
einer langen Feuer Seule einschlug; worauff
denn alsofort der Himmel sich ausklärte/ und
der Mohnde ihrem Augenmaße nach über die
Erde empor kam. Herrmann befahl hierauf
seinen Gefärthen etwan einen andern Weg/
oder eine Hütte zur Ubernachtung zu suchen.
Wie er nun derogestalt gantz alleine an der El-

be

Achtes Buch
[Spaltenumbruch] verſtund lincks und recht zu ſeyn/ auch mit zwey-
en Antlitzen vor und hinter ſich zu ſehen/ kehrte
nunmehr ſeine Deichſel gantz anderwerts hin;
ſchloß noch ſelbigen Tag mit denen heimlich an-
weſenden Geſandten der Pannonier und Dal-
matier das verlangte Buͤndnuͤs; und bewegte
den Quaden-Koͤnig Vannius zu einer anſehn-
lichen Kriegs-Bereitſchafft. Hingegen ſchlieff
Tiberius auch nicht/ ſondern ſtellte ſich ſo wol
ſelbſt/ als durch den Sentius Saturnin und
Silius in gute Verfaſſung. Welche uͤber aus
groſſe Krieges-Ruͤſtung der Roͤmer dem Quin-
tilius Varus ſo viel mehr Gelegenheit gab die
Cherusker/ Bructerer/ Sicambrer/ Catten und
andere Voͤlcker zwiſchen dem Rhein und der
Elbe auffs euſſerſte zu druͤcken. Sintemahl
ſie ſich theils fuͤr der groſſen Roͤmiſchen Macht
nicht ruͤcken dorfften; theils ihre Ungedult ver-
ſchmertzen muſten/ um dieſes wieder den Mar-
bod auff ziehende Gewitter nicht ihnen auf den
Hals zu ziehen. Jnſonderheit aber beſeuffzete
Hertzog Herrmann/ dem die Fuͤrſtin Erdmuth
Thußneldens Gefahr und Gefaͤngnuͤs um-
ſtaͤndlich berichtet hatte/ ſein und ſeines Vater-
landes Nothſtand. Wie er nun einſt des Nachts
dieſen ſchwermuͤthigen Gedancken nach hieng/
kam ein langer weiſſer Geiſt bey hellem Mon-
den-Schein fuͤr ſein Bette; er grieff ihn bey der
Hand/ und redete ihn mit dieſen gantz verſtaͤnd-
lichen Worten an: Es iſt Zeit/ Herrmann/
daß du deiner ertrinckenden Thußnelde zu
Huͤlffe kommſt. Herrmann/ der ohne diß et-
liche Stunden gantz wache war/ und diß fuͤr
keinen Traum annehmen konte; antwortete oh-
ne Bedencken: Jch wils thun; ſtand auch von
Stund an auff; nahm drey der bewehrteſten
Ritter zu ſich; und ritt mit ſelbten in Jaͤger-
Tracht noch fuͤr Tage fort; nach dem er mich
mit wenigen Worten zu ſeinem Stadthalter
verordnete/ und beredete: daß er in unauff-
ſchieblichen Reichs-Geſchaͤfften den Hertzog
Jngviomer ins geheim/ und ohne des Quinti-
[Spaltenumbruch] lius Varus Vorbewuſt heimſuchen muͤſte. Er
lenckte aber bald gegen der Saale/ all wo er ſich
und ſeine Gefaͤrthen wie Marck maͤnner aus-
kleidete. Keiner unter dieſen wuſte/ wohin ſein
Anſchlag waͤre/ ja Herrmann ſelbſt nicht; in
dem Vertrauen: daß weil der Himmel ſein
Auffwecker geweſt waͤre/ wuͤrde er auch ſein
Wegweiſer ſeyn. Zumahl ihm die Cattiſche
Hertzogin zwar: daß Thußnelde auf einem
Berg-Schloſſe gefangen ſaͤſſe/ nicht aber den
eigentlichen Ort zu wiſſen gemacht hatte. Herꝛ-
mann ſetzte ſeinen Weg gleich wol durch das Ge-
biete der Hermundurer gegen Marbod-Stadt/
allwo er etwas gewiſſes zu vernehmen hoffte/
getroſt fort. Alſo kam er an der Elbe nahe an
das Sudetiſche Gebuͤrge; und ob zwar in einem
dicken Walde ihn ein erſchreckliches Donner-
Wetter uͤberfiel/ ließ er ſich doch an der Reiſe
nichts auff halten. Denn ihm ahnte etwas un-
gemeines/ und ſein Hertz ſagte ihm ein abſon-
deres Ebentheuer wah[r]. Nach des gantzen
Tages verdruͤßlicher Reiſe brachte ſie der Weg
gerade an den Elbe-Strom; da ſie denn theils
der Mangel eines Abweges/ theils die ſie nun-
mehr uͤberfallende ſtockfinſtere Nacht an dieſem
Ufer zu bleiben noͤthigte. Der offtere Blitz
zeigte ihnen zwar auff der andern Seite des
Fluſſes etwas Strom auff ein hohes Gebaͤue;
aber in Mangel der Schiffe konten ſie dahin
nicht gelangen; ſondern die breiten Aeſte etli-
cher dicken Baͤume muſt[e]n ihnen fuͤr ein Dach
dienen. Das Gewitter ſchien faſt gar verzogen
zu ſeyn/ als ein erſchrecklicher Schlag/ darvon
nicht nur ſie/ ſondern der Erd-Boden erbeb-
te/ in vorerwaͤhntes hohe Gebaͤue in Geſtalt
einer langen Feuer Seule einſchlug; worauff
denn alſofort der Himmel ſich ausklaͤrte/ und
der Mohnde ihrem Augenmaße nach uͤber die
Erde empor kam. Herrmann befahl hierauf
ſeinen Gefaͤrthen etwan einen andern Weg/
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[1290[1292]/1356] Achtes Buch verſtund lincks und recht zu ſeyn/ auch mit zwey- en Antlitzen vor und hinter ſich zu ſehen/ kehrte nunmehr ſeine Deichſel gantz anderwerts hin; ſchloß noch ſelbigen Tag mit denen heimlich an- weſenden Geſandten der Pannonier und Dal- matier das verlangte Buͤndnuͤs; und bewegte den Quaden-Koͤnig Vannius zu einer anſehn- lichen Kriegs-Bereitſchafft. Hingegen ſchlieff Tiberius auch nicht/ ſondern ſtellte ſich ſo wol ſelbſt/ als durch den Sentius Saturnin und Silius in gute Verfaſſung. Welche uͤber aus groſſe Krieges-Ruͤſtung der Roͤmer dem Quin- tilius Varus ſo viel mehr Gelegenheit gab die Cherusker/ Bructerer/ Sicambrer/ Catten und andere Voͤlcker zwiſchen dem Rhein und der Elbe auffs euſſerſte zu druͤcken. Sintemahl ſie ſich theils fuͤr der groſſen Roͤmiſchen Macht nicht ruͤcken dorfften; theils ihre Ungedult ver- ſchmertzen muſten/ um dieſes wieder den Mar- bod auff ziehende Gewitter nicht ihnen auf den Hals zu ziehen. Jnſonderheit aber beſeuffzete Hertzog Herrmann/ dem die Fuͤrſtin Erdmuth Thußneldens Gefahr und Gefaͤngnuͤs um- ſtaͤndlich berichtet hatte/ ſein und ſeines Vater- landes Nothſtand. Wie er nun einſt des Nachts dieſen ſchwermuͤthigen Gedancken nach hieng/ kam ein langer weiſſer Geiſt bey hellem Mon- den-Schein fuͤr ſein Bette; er grieff ihn bey der Hand/ und redete ihn mit dieſen gantz verſtaͤnd- lichen Worten an: Es iſt Zeit/ Herrmann/ daß du deiner ertrinckenden Thußnelde zu Huͤlffe kommſt. Herrmann/ der ohne diß et- liche Stunden gantz wache war/ und diß fuͤr keinen Traum annehmen konte; antwortete oh- ne Bedencken: Jch wils thun; ſtand auch von Stund an auff; nahm drey der bewehrteſten Ritter zu ſich; und ritt mit ſelbten in Jaͤger- Tracht noch fuͤr Tage fort; nach dem er mich mit wenigen Worten zu ſeinem Stadthalter verordnete/ und beredete: daß er in unauff- ſchieblichen Reichs-Geſchaͤfften den Hertzog Jngviomer ins geheim/ und ohne des Quinti- lius Varus Vorbewuſt heimſuchen muͤſte. Er lenckte aber bald gegen der Saale/ all wo er ſich und ſeine Gefaͤrthen wie Marck maͤnner aus- kleidete. Keiner unter dieſen wuſte/ wohin ſein Anſchlag waͤre/ ja Herrmann ſelbſt nicht; in dem Vertrauen: daß weil der Himmel ſein Auffwecker geweſt waͤre/ wuͤrde er auch ſein Wegweiſer ſeyn. Zumahl ihm die Cattiſche Hertzogin zwar: daß Thußnelde auf einem Berg-Schloſſe gefangen ſaͤſſe/ nicht aber den eigentlichen Ort zu wiſſen gemacht hatte. Herꝛ- mann ſetzte ſeinen Weg gleich wol durch das Ge- biete der Hermundurer gegen Marbod-Stadt/ allwo er etwas gewiſſes zu vernehmen hoffte/ getroſt fort. Alſo kam er an der Elbe nahe an das Sudetiſche Gebuͤrge; und ob zwar in einem dicken Walde ihn ein erſchreckliches Donner- Wetter uͤberfiel/ ließ er ſich doch an der Reiſe nichts auff halten. Denn ihm ahnte etwas un- gemeines/ und ſein Hertz ſagte ihm ein abſon- deres Ebentheuer wahr. Nach des gantzen Tages verdruͤßlicher Reiſe brachte ſie der Weg gerade an den Elbe-Strom; da ſie denn theils der Mangel eines Abweges/ theils die ſie nun- mehr uͤberfallende ſtockfinſtere Nacht an dieſem Ufer zu bleiben noͤthigte. Der offtere Blitz zeigte ihnen zwar auff der andern Seite des Fluſſes etwas Strom auff ein hohes Gebaͤue; aber in Mangel der Schiffe konten ſie dahin nicht gelangen; ſondern die breiten Aeſte etli- cher dicken Baͤume muſten ihnen fuͤr ein Dach dienen. Das Gewitter ſchien faſt gar verzogen zu ſeyn/ als ein erſchrecklicher Schlag/ darvon nicht nur ſie/ ſondern der Erd-Boden erbeb- te/ in vorerwaͤhntes hohe Gebaͤue in Geſtalt einer langen Feuer Seule einſchlug; worauff denn alſofort der Himmel ſich ausklaͤrte/ und der Mohnde ihrem Augenmaße nach uͤber die Erde empor kam. Herrmann befahl hierauf ſeinen Gefaͤrthen etwan einen andern Weg/ oder eine Huͤtte zur Ubernachtung zu ſuchen. Wie er nun derogeſtalt gantz alleine an der El- be

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1290[1292]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1356>, abgerufen am 23.11.2024.