Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Buch
[Spaltenumbruch] tete; oder uns die Natur selbst ungeschickt mach-
te selbigem länger Folge zu leisten. Zu geschwei-
gen: daß/ weil das Verhängnüs in seinem
Lauffe gantz unveränderlich/ in seiner Stren-
gigkeit unerbittlich wäre; so wenig durch Ge-
lübde/ als durch die Opfferung weißer Lämmer-
Köpffe diß/ was der Himmel schon über uns
beschlossen/ abgelehnet werden könte. Machte
sie ihr aber noch ihres Gelübdes halber ein Ge-
wissen; wäre er erböthig statt ihrer fünff hun-
dert andere Jungfrauen ewiger Keuschheit zu
wiedmen/ und also der von ihr verehrten Gott-
heit die Pflicht mit Wucher zu erstatten. An
welcher Vertretung sie so viel weniger zu zweif-
seln hätte; weil er als zugleich oberster Priester
der Marckmänner das Band aller Gelübde
aufzulösen befugt wäre. Thußnelda hörte die-
sen von dem Rauche der Begierden gantz ver-
bländeten Vortrag mit nicht mindern Unwil-
len/ als Aergernüs an; daher sie ihm nicht ohne
Hefftigkeit begegnete: Wenn GOtt uner bitt-
lich; unser Unglücke gantz unablehnlich wäre;
müste man nicht nur die Gelübde/ sondern alle
Gottesfurcht aus der Welt verbannen. Des
Verhängnüsses Schlüsse hätten nichts minder
ihre Beschrenckung/ als die Handlungen der
sterblichen Menschen; und es hielte GOtt
mehrmahls die zum Schlagen schon gezückte
Hand zurücke; wenn die Boß heiten sich durch An-
dacht für ihm demüthigten. Da aber auch der
Ausschlag der Dinge bereit für unser Geburt
von dem Verhängnüße unveränderlich bestimmt
wäre; rührte doch auch unser Gebet und Gelübde
von seinem Zwange her; als ein undachbleiblicher
Werckzeug/ der den Ausschlag dieser Fürsehung
verbesserte; und also denen Lasterhaften ein schlimmes/
denen Frommen ein gutes Urthel zu wege bräch-
te. Das Gelübde der Keuschheit könte auch nur
denen unnatürlich vorkommen/ welche wie das
wilde Vieh ihren Begierden keinen Kapzaum
der Vernunfft anzulegen wüsten; und gleich-
[s]am als gantz andere Geschöpffe von tugend-
hafften Gemüthern so weit/ als unver nünfftige
[Spaltenumbruch] Thiere vom menschlichen Geschlechte entfernet
wären. Denn zwischen GOtt und einer durch
Gelübde ihm verlobten Seele geschehe eine ge-
nauere Vermählung/ als durch irrdische Hey-
raths-schlüsse zwischen zwey Ehleuten. Daher
hätte in der Andacht die Vertretung durch
fremde so wenig/ als im Eh-Bette statt; und
würden nicht nur seine fünff hundert/ sondern
hundert tausend genöthigte Jung frauen bey
GOtt nichts minder für Wechsel-Bälge/ als
sie für eine Abtrünnige und Eydbrüchige ge-
halten/ ihr Verbündnüs aber von keinem frem-
den Priester/ sondern nur von der Gottheit/
der sie sich verlobt hätte/ auffgelöset werden. Kö-
nig Marbod setzte hierauf aber mahls mit allen
ersinnlichsten Liebkosungen/ und halb-verzweif-
felten Bezeugungen an Thußnelden; aber sie
lehnte sie mit einer hertzhafften Großmüthigkeit
ab; beschloß auch ihre Abmahnung mit diesen
Worten: Jhre Seele würde sich ehe dem Ge-
spenste/ welches auch die hertzhafftesten nicht mit
unverwendeten Augen ansehen könten/ als dem
Marbod sich vermählen; und in seiner Gewalt
möchte es vielleicht wol bestehen/ einmahl ihr
todtes Gerippe/ nimmermehr aber ihren be-
seelten Leib zu umarmen. Marbod wütete
nun nicht mehr nur für Liebe/ sondern er
schäumte für Verzweiffelung und Grimm.
Denn wie Liebe und Glücke ins gemein einen
so starcken Trieb haben: daß sie alle Pfosten der
Vernunfft aus ihren Angeln zu heben mächtig
sind; also ist insonderheit die Liebe gekrönter
Häupter sehr unleidlich/ und die Zärtlig keit ih-
rer zu überwinden gewohnten Hertzen kan un-
schwer auffs empfindlichste verwundet werden.
Daher er seinen Degen entblöste; die gantz un-
gewaffnete Thußnelda aber/ welche alle ihre
Pfeile und Wurffspieße verschossen/ den Degen
auch im Gestrittig verlohren hatte/ einen tödt-
lichen Streich zu empfangen vermeinte/ und
daher auf allen Fall solchen mit dem leeren Bo-
gen so viel möglich zu versetzen gedachte. Alleine
Marbod fieng an um sie einen Kreiß zu schar-

ren;

Achtes Buch
[Spaltenumbruch] tete; oder uns die Natur ſelbſt ungeſchickt mach-
te ſelbigem laͤnger Folge zu leiſten. Zu geſchwei-
gen: daß/ weil das Verhaͤngnuͤs in ſeinem
Lauffe gantz unveraͤnderlich/ in ſeiner Stren-
gigkeit unerbittlich waͤre; ſo wenig durch Ge-
luͤbde/ als durch die Opfferung weißer Laͤm̃er-
Koͤpffe diß/ was der Himmel ſchon uͤber uns
beſchloſſen/ abgelehnet werden koͤnte. Machte
ſie ihr aber noch ihres Geluͤbdes halber ein Ge-
wiſſen; waͤre er erboͤthig ſtatt ihrer fuͤnff hun-
dert andere Jungfrauen ewiger Keuſchheit zu
wiedmen/ und alſo der von ihr verehrten Gott-
heit die Pflicht mit Wucher zu erſtatten. An
welcher Vertretung ſie ſo viel weniger zu zweif-
ſeln haͤtte; weil er als zugleich oberſter Prieſter
der Marckmaͤnner das Band aller Geluͤbde
aufzuloͤſen befugt waͤre. Thußnelda hoͤrte die-
ſen von dem Rauche der Begierden gantz ver-
blaͤndeten Vortrag mit nicht mindern Unwil-
len/ als Aergernuͤs an; daher ſie ihm nicht ohne
Hefftigkeit begegnete: Wenn GOtt uner bitt-
lich; unſer Ungluͤcke gantz unablehnlich waͤre;
muͤſte man nicht nur die Geluͤbde/ ſondern alle
Gottesfurcht aus der Welt verbannen. Des
Verhaͤngnuͤſſes Schluͤſſe haͤtten nichts minder
ihre Beſchrenckung/ als die Handlungen der
ſterblichen Menſchen; und es hielte GOtt
mehrmahls die zum Schlagen ſchon gezuͤckte
Hand zuruͤcke; weñ die Boß heiten ſich duꝛch An-
dacht fuͤr ihm demuͤthigten. Da aber auch der
Ausſchlag der Dinge bereit fuͤr unſer Geburt
von dem Verhaͤngnuͤße unveraͤnderlich beſtim̃t
waͤre; ruͤhrte doch auch unſeꝛ Gebet und Geluͤbde
von ſeinem Zwange her; als ein uñachbleiblicher
Werckzeug/ der den Ausſchlag dieſer Fuͤrſehung
veꝛbeſſeꝛte; uñ alſo denẽ Laſteꝛhaften ein ſchlim̃es/
denen From̃en ein gutes Urthel zu wege braͤch-
te. Das Geluͤbde der Keuſchheit koͤnte auch nur
denen unnatuͤrlich vorkommen/ welche wie das
wilde Vieh ihren Begierden keinen Kapzaum
der Vernunfft anzulegen wuͤſten; und gleich-
[ſ]am als gantz andere Geſchoͤpffe von tugend-
hafften Gemuͤthern ſo weit/ als unver nuͤnfftige
[Spaltenumbruch] Thiere vom menſchlichen Geſchlechte entfernet
waͤren. Denn zwiſchen GOtt und einer durch
Geluͤbde ihm verlobten Seele geſchehe eine ge-
nauere Vermaͤhlung/ als durch irrdiſche Hey-
raths-ſchluͤſſe zwiſchen zwey Ehleuten. Daher
haͤtte in der Andacht die Vertretung durch
fremde ſo wenig/ als im Eh-Bette ſtatt; und
wuͤrden nicht nur ſeine fuͤnff hundert/ ſondern
hundert tauſend genoͤthigte Jung frauen bey
GOtt nichts minder fuͤr Wechſel-Baͤlge/ als
ſie fuͤr eine Abtruͤnnige und Eydbruͤchige ge-
halten/ ihr Verbuͤndnuͤs aber von keinem frem-
den Prieſter/ ſondern nur von der Gottheit/
der ſie ſich verlobt haͤtte/ auffgeloͤſet werden. Koͤ-
nig Marbod ſetzte hierauf aber mahls mit allen
erſinnlichſten Liebkoſungen/ und halb-verzweif-
felten Bezeugungen an Thußnelden; aber ſie
lehnte ſie mit einer hertzhafften Großmuͤthigkeit
ab; beſchloß auch ihre Abmahnung mit dieſen
Worten: Jhre Seele wuͤrde ſich ehe dem Ge-
ſpenſte/ welches auch die hertzhaffteſten nicht mit
unverwendeten Augen anſehen koͤnten/ als dem
Marbod ſich vermaͤhlen; und in ſeiner Gewalt
moͤchte es vielleicht wol beſtehen/ einmahl ihr
todtes Gerippe/ nimmermehr aber ihren be-
ſeelten Leib zu umarmen. Marbod wuͤtete
nun nicht mehr nur fuͤr Liebe/ ſondern er
ſchaͤumte fuͤr Verzweiffelung und Grimm.
Denn wie Liebe und Gluͤcke ins gemein einen
ſo ſtarcken Trieb haben: daß ſie alle Pfoſten der
Vernunfft aus ihren Angeln zu heben maͤchtig
ſind; alſo iſt inſonderheit die Liebe gekroͤnter
Haͤupter ſehr unleidlich/ und die Zaͤrtlig keit ih-
rer zu uͤberwinden gewohnten Hertzen kan un-
ſchwer auffs empfindlichſte verwundet werden.
Daher er ſeinen Degen entbloͤſte; die gantz un-
gewaffnete Thußnelda aber/ welche alle ihre
Pfeile und Wurffſpieße verſchoſſen/ den Degen
auch im Geſtrittig verlohren hatte/ einen toͤdt-
lichen Streich zu empfangen vermeinte/ und
daher auf allen Fall ſolchen mit dem leeren Bo-
gen ſo viel moͤglich zu verſetzen gedachte. Alleine
Marbod fieng an um ſie einen Kreiß zu ſchar-

ren;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f1342" n="1276[1278]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Achtes Buch</hi></fw><lb/><cb/>
tete; oder uns die Natur &#x017F;elb&#x017F;t unge&#x017F;chickt mach-<lb/>
te &#x017F;elbigem la&#x0364;nger Folge zu lei&#x017F;ten. Zu ge&#x017F;chwei-<lb/>
gen: daß/ weil das Verha&#x0364;ngnu&#x0364;s in &#x017F;einem<lb/>
Lauffe gantz unvera&#x0364;nderlich/ in &#x017F;einer Stren-<lb/>
gigkeit unerbittlich wa&#x0364;re; &#x017F;o wenig durch Ge-<lb/>
lu&#x0364;bde/ als durch die Opfferung weißer La&#x0364;m&#x0303;er-<lb/>
Ko&#x0364;pffe diß/ was der Himmel &#x017F;chon u&#x0364;ber uns<lb/>
be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en/ abgelehnet werden ko&#x0364;nte. Machte<lb/>
&#x017F;ie ihr aber noch ihres Gelu&#x0364;bdes halber ein Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en; wa&#x0364;re er erbo&#x0364;thig &#x017F;tatt ihrer fu&#x0364;nff hun-<lb/>
dert andere Jungfrauen ewiger Keu&#x017F;chheit zu<lb/>
wiedmen/ und al&#x017F;o der von ihr verehrten Gott-<lb/>
heit die Pflicht mit Wucher zu er&#x017F;tatten. An<lb/>
welcher Vertretung &#x017F;ie &#x017F;o viel weniger zu zweif-<lb/>
&#x017F;eln ha&#x0364;tte; weil er als zugleich ober&#x017F;ter Prie&#x017F;ter<lb/>
der Marckma&#x0364;nner das Band aller Gelu&#x0364;bde<lb/>
aufzulo&#x0364;&#x017F;en befugt wa&#x0364;re. Thußnelda ho&#x0364;rte die-<lb/>
&#x017F;en von dem Rauche der Begierden gantz ver-<lb/>
bla&#x0364;ndeten Vortrag mit nicht mindern Unwil-<lb/>
len/ als Aergernu&#x0364;s an; daher &#x017F;ie ihm nicht ohne<lb/>
Hefftigkeit begegnete: Wenn GOtt uner bitt-<lb/>
lich; un&#x017F;er Unglu&#x0364;cke gantz unablehnlich wa&#x0364;re;<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;te man nicht nur die Gelu&#x0364;bde/ &#x017F;ondern alle<lb/>
Gottesfurcht aus der Welt verbannen. Des<lb/>
Verha&#x0364;ngnu&#x0364;&#x017F;&#x017F;es Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e ha&#x0364;tten nichts minder<lb/>
ihre Be&#x017F;chrenckung/ als die Handlungen der<lb/>
&#x017F;terblichen Men&#x017F;chen; und es hielte GOtt<lb/>
mehrmahls die zum Schlagen &#x017F;chon gezu&#x0364;ckte<lb/>
Hand zuru&#x0364;cke; wen&#x0303; die Boß heiten &#x017F;ich du&#xA75B;ch An-<lb/>
dacht fu&#x0364;r ihm demu&#x0364;thigten. Da aber auch der<lb/>
Aus&#x017F;chlag der Dinge bereit fu&#x0364;r un&#x017F;er Geburt<lb/>
von dem Verha&#x0364;ngnu&#x0364;ße unvera&#x0364;nderlich be&#x017F;tim&#x0303;t<lb/>
wa&#x0364;re; ru&#x0364;hrte doch auch un&#x017F;e&#xA75B; Gebet und Gelu&#x0364;bde<lb/>
von &#x017F;einem Zwange her; als ein un&#x0303;achbleiblicher<lb/>
Werckzeug/ der den Aus&#x017F;chlag die&#x017F;er Fu&#x0364;r&#x017F;ehung<lb/>
ve&#xA75B;be&#x017F;&#x017F;e&#xA75B;te; un&#x0303; al&#x017F;o dene&#x0303; La&#x017F;te&#xA75B;haften ein &#x017F;chlim&#x0303;es/<lb/>
denen From&#x0303;en ein gutes Urthel zu wege bra&#x0364;ch-<lb/>
te. Das Gelu&#x0364;bde der Keu&#x017F;chheit ko&#x0364;nte auch nur<lb/>
denen unnatu&#x0364;rlich vorkommen/ welche wie das<lb/>
wilde Vieh ihren Begierden keinen Kapzaum<lb/>
der Vernunfft anzulegen wu&#x0364;&#x017F;ten; und gleich-<lb/><supplied>&#x017F;</supplied>am als gantz andere Ge&#x017F;cho&#x0364;pffe von tugend-<lb/>
hafften Gemu&#x0364;thern &#x017F;o weit/ als unver nu&#x0364;nfftige<lb/><cb/>
Thiere vom men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;chlechte entfernet<lb/>
wa&#x0364;ren. Denn zwi&#x017F;chen GOtt und einer durch<lb/>
Gelu&#x0364;bde ihm verlobten Seele ge&#x017F;chehe eine ge-<lb/>
nauere Verma&#x0364;hlung/ als durch irrdi&#x017F;che Hey-<lb/>
raths-&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e zwi&#x017F;chen zwey Ehleuten. Daher<lb/>
ha&#x0364;tte in der Andacht die Vertretung durch<lb/>
fremde &#x017F;o wenig/ als im Eh-Bette &#x017F;tatt; und<lb/>
wu&#x0364;rden nicht nur &#x017F;eine fu&#x0364;nff hundert/ &#x017F;ondern<lb/>
hundert tau&#x017F;end geno&#x0364;thigte Jung frauen bey<lb/>
GOtt nichts minder fu&#x0364;r Wech&#x017F;el-Ba&#x0364;lge/ als<lb/>
&#x017F;ie fu&#x0364;r eine Abtru&#x0364;nnige und Eydbru&#x0364;chige ge-<lb/>
halten/ ihr Verbu&#x0364;ndnu&#x0364;s aber von keinem frem-<lb/>
den Prie&#x017F;ter/ &#x017F;ondern nur von der Gottheit/<lb/>
der &#x017F;ie &#x017F;ich verlobt ha&#x0364;tte/ auffgelo&#x0364;&#x017F;et werden. Ko&#x0364;-<lb/>
nig Marbod &#x017F;etzte hierauf aber mahls mit allen<lb/>
er&#x017F;innlich&#x017F;ten Liebko&#x017F;ungen/ und halb-verzweif-<lb/>
felten Bezeugungen an Thußnelden; aber &#x017F;ie<lb/>
lehnte &#x017F;ie mit einer hertzhafften Großmu&#x0364;thigkeit<lb/>
ab; be&#x017F;chloß auch ihre Abmahnung mit die&#x017F;en<lb/>
Worten: Jhre Seele wu&#x0364;rde &#x017F;ich ehe dem Ge-<lb/>
&#x017F;pen&#x017F;te/ welches auch die hertzhaffte&#x017F;ten nicht mit<lb/>
unverwendeten Augen an&#x017F;ehen ko&#x0364;nten/ als dem<lb/>
Marbod &#x017F;ich verma&#x0364;hlen; und in &#x017F;einer Gewalt<lb/>
mo&#x0364;chte es vielleicht wol be&#x017F;tehen/ einmahl ihr<lb/>
todtes Gerippe/ nimmermehr aber ihren be-<lb/>
&#x017F;eelten Leib zu umarmen. Marbod wu&#x0364;tete<lb/>
nun nicht mehr nur fu&#x0364;r Liebe/ &#x017F;ondern er<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;umte fu&#x0364;r Verzweiffelung und Grimm.<lb/>
Denn wie Liebe und Glu&#x0364;cke ins gemein einen<lb/>
&#x017F;o &#x017F;tarcken Trieb haben: daß &#x017F;ie alle Pfo&#x017F;ten der<lb/>
Vernunfft aus ihren Angeln zu heben ma&#x0364;chtig<lb/>
&#x017F;ind; al&#x017F;o i&#x017F;t in&#x017F;onderheit die Liebe gekro&#x0364;nter<lb/>
Ha&#x0364;upter &#x017F;ehr unleidlich/ und die Za&#x0364;rtlig keit ih-<lb/>
rer zu u&#x0364;berwinden gewohnten Hertzen kan un-<lb/>
&#x017F;chwer auffs empfindlich&#x017F;te verwundet werden.<lb/>
Daher er &#x017F;einen Degen entblo&#x0364;&#x017F;te; die gantz un-<lb/>
gewaffnete Thußnelda aber/ welche alle ihre<lb/>
Pfeile und Wurff&#x017F;pieße ver&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en/ den Degen<lb/>
auch im Ge&#x017F;trittig verlohren hatte/ einen to&#x0364;dt-<lb/>
lichen Streich zu empfangen vermeinte/ und<lb/>
daher auf allen Fall &#x017F;olchen mit dem leeren Bo-<lb/>
gen &#x017F;o viel mo&#x0364;glich zu ver&#x017F;etzen gedachte. Alleine<lb/>
Marbod fieng an um &#x017F;ie einen Kreiß zu &#x017F;char-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ren;</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1276[1278]/1342] Achtes Buch tete; oder uns die Natur ſelbſt ungeſchickt mach- te ſelbigem laͤnger Folge zu leiſten. Zu geſchwei- gen: daß/ weil das Verhaͤngnuͤs in ſeinem Lauffe gantz unveraͤnderlich/ in ſeiner Stren- gigkeit unerbittlich waͤre; ſo wenig durch Ge- luͤbde/ als durch die Opfferung weißer Laͤm̃er- Koͤpffe diß/ was der Himmel ſchon uͤber uns beſchloſſen/ abgelehnet werden koͤnte. Machte ſie ihr aber noch ihres Geluͤbdes halber ein Ge- wiſſen; waͤre er erboͤthig ſtatt ihrer fuͤnff hun- dert andere Jungfrauen ewiger Keuſchheit zu wiedmen/ und alſo der von ihr verehrten Gott- heit die Pflicht mit Wucher zu erſtatten. An welcher Vertretung ſie ſo viel weniger zu zweif- ſeln haͤtte; weil er als zugleich oberſter Prieſter der Marckmaͤnner das Band aller Geluͤbde aufzuloͤſen befugt waͤre. Thußnelda hoͤrte die- ſen von dem Rauche der Begierden gantz ver- blaͤndeten Vortrag mit nicht mindern Unwil- len/ als Aergernuͤs an; daher ſie ihm nicht ohne Hefftigkeit begegnete: Wenn GOtt uner bitt- lich; unſer Ungluͤcke gantz unablehnlich waͤre; muͤſte man nicht nur die Geluͤbde/ ſondern alle Gottesfurcht aus der Welt verbannen. Des Verhaͤngnuͤſſes Schluͤſſe haͤtten nichts minder ihre Beſchrenckung/ als die Handlungen der ſterblichen Menſchen; und es hielte GOtt mehrmahls die zum Schlagen ſchon gezuͤckte Hand zuruͤcke; weñ die Boß heiten ſich duꝛch An- dacht fuͤr ihm demuͤthigten. Da aber auch der Ausſchlag der Dinge bereit fuͤr unſer Geburt von dem Verhaͤngnuͤße unveraͤnderlich beſtim̃t waͤre; ruͤhrte doch auch unſeꝛ Gebet und Geluͤbde von ſeinem Zwange her; als ein uñachbleiblicher Werckzeug/ der den Ausſchlag dieſer Fuͤrſehung veꝛbeſſeꝛte; uñ alſo denẽ Laſteꝛhaften ein ſchlim̃es/ denen From̃en ein gutes Urthel zu wege braͤch- te. Das Geluͤbde der Keuſchheit koͤnte auch nur denen unnatuͤrlich vorkommen/ welche wie das wilde Vieh ihren Begierden keinen Kapzaum der Vernunfft anzulegen wuͤſten; und gleich- ſam als gantz andere Geſchoͤpffe von tugend- hafften Gemuͤthern ſo weit/ als unver nuͤnfftige Thiere vom menſchlichen Geſchlechte entfernet waͤren. Denn zwiſchen GOtt und einer durch Geluͤbde ihm verlobten Seele geſchehe eine ge- nauere Vermaͤhlung/ als durch irrdiſche Hey- raths-ſchluͤſſe zwiſchen zwey Ehleuten. Daher haͤtte in der Andacht die Vertretung durch fremde ſo wenig/ als im Eh-Bette ſtatt; und wuͤrden nicht nur ſeine fuͤnff hundert/ ſondern hundert tauſend genoͤthigte Jung frauen bey GOtt nichts minder fuͤr Wechſel-Baͤlge/ als ſie fuͤr eine Abtruͤnnige und Eydbruͤchige ge- halten/ ihr Verbuͤndnuͤs aber von keinem frem- den Prieſter/ ſondern nur von der Gottheit/ der ſie ſich verlobt haͤtte/ auffgeloͤſet werden. Koͤ- nig Marbod ſetzte hierauf aber mahls mit allen erſinnlichſten Liebkoſungen/ und halb-verzweif- felten Bezeugungen an Thußnelden; aber ſie lehnte ſie mit einer hertzhafften Großmuͤthigkeit ab; beſchloß auch ihre Abmahnung mit dieſen Worten: Jhre Seele wuͤrde ſich ehe dem Ge- ſpenſte/ welches auch die hertzhaffteſten nicht mit unverwendeten Augen anſehen koͤnten/ als dem Marbod ſich vermaͤhlen; und in ſeiner Gewalt moͤchte es vielleicht wol beſtehen/ einmahl ihr todtes Gerippe/ nimmermehr aber ihren be- ſeelten Leib zu umarmen. Marbod wuͤtete nun nicht mehr nur fuͤr Liebe/ ſondern er ſchaͤumte fuͤr Verzweiffelung und Grimm. Denn wie Liebe und Gluͤcke ins gemein einen ſo ſtarcken Trieb haben: daß ſie alle Pfoſten der Vernunfft aus ihren Angeln zu heben maͤchtig ſind; alſo iſt inſonderheit die Liebe gekroͤnter Haͤupter ſehr unleidlich/ und die Zaͤrtlig keit ih- rer zu uͤberwinden gewohnten Hertzen kan un- ſchwer auffs empfindlichſte verwundet werden. Daher er ſeinen Degen entbloͤſte; die gantz un- gewaffnete Thußnelda aber/ welche alle ihre Pfeile und Wurffſpieße verſchoſſen/ den Degen auch im Geſtrittig verlohren hatte/ einen toͤdt- lichen Streich zu empfangen vermeinte/ und daher auf allen Fall ſolchen mit dem leeren Bo- gen ſo viel moͤglich zu verſetzen gedachte. Alleine Marbod fieng an um ſie einen Kreiß zu ſchar- ren;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1342
Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1276[1278]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1342>, abgerufen am 07.05.2024.