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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Achtes Buch
[Spaltenumbruch] Athem und Seele einbüssen müste. Sege-
sthes ward hierdurch derogestalt gerühret; son-
derlich/ als er sie gantz erblassen und halb todt
zur Erden sincken sahe: daß er sonder einiges
Wort sich aus dem Zimmer entbrach/ und in
den Vorgemache ihrem Frauenzimmer befahl
Thußneldens wahrzunehmen. Diese blieb
bey nahe zwey Stunden/ ungeachtet aller ge-
brauchten Erquickungen/ in dieser Unem-
pfindligkeit; und zwar vielleicht zu Erleichte-
rung ihres übermäßigen Schmertzens. Denn
die Ohnmacht hindert mehrmahls: daß man die
Galle des Unglücks nicht allerdinges schme-
cket; und erhält die bißweilen im Leben/ die sonst
bey völligem Erkäntnüs ihres Elends ver-
schmachten/ oder für übriger Bestürtzung Ver-
stand und Vernunfft verlieren würden. Wie
sie sich nun gleich ein wenig erholte; ward sie
doch von einer solchen Schwachheit und Hertz-
klopffen bedrängt: daß sie bettlägerig bleiben
muste. Und der Kummer: daß ihre andere
Seele Hertzog Herrmann von diesem Unfalle
zu seiner Beunruhigung nicht Wind bekom-
men möchte; ließ ihren Augen nicht den wenig-
sten Schlaff zu. Wiewol ihr nun alle Glieder
bebten/ und sie fast keinen Finger nach ihrem
Verlangen rühren konte; so gab ihr doch/ als sie
vernahm: daß Tiberius folgenden Tag Liviens
Geburts-Tag mit einem prächtigen Gastmah-
le feyern wolte/ und seinen verhasten Neben-
Buhler den Hertzog Herrmann gleichfalls ein-
geladen hatte/ die Sorge für sein Heil so viel
Kräfften: daß sie ihm schrieb: Weil sie aus wich-
tigen Ursachen den Tiberius für seinen Tod-
feind hielte; möchte er bey seiner Taffel; worvon
er sich freylich ohne seinen Haß zu verär gern nicht
entbrechen könte/ seines Lebens wol wahrneh-
men. Herrmann kam also mit der ihm vorgesetzten
Behutsamkeit zum Tiberius/ rührte keine Spei-
se an/ worvon nicht der Kayser und Livia vorher
gessen hatten; ließ ihm Wasser und Wein seine
Deutschen einschencken. Tiberius nahm die-
[Spaltenumbruch] ses wahr; und hatte es Noth: daß dieser Mei-
ster in Verstellungen seine Empfindligkeit nicht
mercken ließ. Bey der letzten Tracht ward eine
Schüssel voll der allerschönsten Pomerantzen-
Aepffel/ welche der Land Vogt in Egypten Li-
vien als eine besondere Seltzamkeit geschickt hat-
te/ aufgetragen; Dahero Tiberius selbte selbst
vorlegte. Unter diesen war eine/ welche keine
Blätter mehr am Stiele hatte/ mit dem ärgsten
Giffte angemacht. Aus sonderbahrer Fürse-
hung Gottes waren noch einem andern Apfel
die Blätter abgefallen; den Fürst Herrmann
zu allem Glücke überkam/ und ohne Schaden
auf des Tiberius Erinnerung verzehrte; der
ihm bestimmte ver gifftete aber kam in die Hände
Otaciklens; welche anfangs eine freche Freyge-
lassene und des Tiberius Buhlschafft gewest;
nunmehr aber dem edlen Cäsonius Priscus
vermählt war; den er hernach zu seinem Wol-
lust-Meister machte. Also ist es bey Hofe kein
Wunder: daß stinckende Fliegen mit einem
Fluge sich von dem Misthauffen des Pöfels biß
an die Fürstlichen Taffeln erheben. Ja es waren
zu Rom nunmehro die Laster so hoch ans Bret
kommen: daß man sich nicht schämte durch Aemter
und Bestallungen ihrem Wachsthume Vor-
schub zu thun. Otacilla aber hatte den Apfel
kaum gekostet; als eine übermäßige Hitze ihren
gantzen Leib entzündete; und sonder einig ander
Wort/ als: ich bin vergifftet! niedersanck; hier-
auff in einem Augenblicke Eys-kalt und zu-
gleich Stein-todt ward. Alle Anwesenden er-
starreten und verstummten; Und weil sie den
wegen aller Boßheit verdächtigen Tiberius
nicht anzuschauen getraueten/ sahen sie selbst
einander gleichsam fragende an: ob sie bey einer
solchen Gifft-Taffel sich länger auffhalten sol-
ten? August selbst veränderte sich hierüber nicht
wenig; als welchem zwar des Tiberius Mord-
stücke nicht unbekandt waren; iedoch nicht be-
greiffen konte: warum er diß bey ihm so beliebte
Weib hinrichten solte? Livia hingegen maßte

sich

Achtes Buch
[Spaltenumbruch] Athem und Seele einbuͤſſen muͤſte. Sege-
ſthes ward hierdurch derogeſtalt geruͤhret; ſon-
derlich/ als er ſie gantz erblaſſen und halb todt
zur Erden ſincken ſahe: daß er ſonder einiges
Wort ſich aus dem Zimmer entbrach/ und in
den Vorgemache ihrem Frauenzimmer befahl
Thußneldens wahrzunehmen. Dieſe blieb
bey nahe zwey Stunden/ ungeachtet aller ge-
brauchten Erquickungen/ in dieſer Unem-
pfindligkeit; und zwar vielleicht zu Erleichte-
rung ihres uͤbermaͤßigen Schmertzens. Denn
die Ohnmacht hindert mehrmahls: daß man die
Galle des Ungluͤcks nicht allerdinges ſchme-
cket; und erhaͤlt die bißweilen im Leben/ die ſonſt
bey voͤlligem Erkaͤntnuͤs ihres Elends ver-
ſchmachten/ oder fuͤr uͤbriger Beſtuͤrtzung Ver-
ſtand und Vernunfft verlieren wuͤrden. Wie
ſie ſich nun gleich ein wenig erholte; ward ſie
doch von einer ſolchen Schwachheit und Hertz-
klopffen bedraͤngt: daß ſie bettlaͤgerig bleiben
muſte. Und der Kummer: daß ihre andere
Seele Hertzog Herrmann von dieſem Unfalle
zu ſeiner Beunruhigung nicht Wind bekom-
men moͤchte; ließ ihren Augen nicht den wenig-
ſten Schlaff zu. Wiewol ihr nun alle Glieder
bebten/ und ſie faſt keinen Finger nach ihrem
Verlangen ruͤhren konte; ſo gab ihr doch/ als ſie
vernahm: daß Tiberius folgenden Tag Liviens
Geburts-Tag mit einem praͤchtigen Gaſtmah-
le feyern wolte/ und ſeinen verhaſten Neben-
Buhler den Hertzog Herrmann gleichfalls ein-
geladen hatte/ die Sorge fuͤr ſein Heil ſo viel
Kraͤfften: daß ſie ihm ſchrieb: Weil ſie aus wich-
tigen Urſachen den Tiberius fuͤr ſeinen Tod-
feind hielte; moͤchte er bey ſeiner Taffel; worvon
er ſich freylich ohne ſeinẽ Haß zu veraͤr gern nicht
entbrechen koͤnte/ ſeines Lebens wol wahrneh-
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Behutſamkeit zum Tiberius/ ruͤhꝛte keine Spei-
ſe an/ worvon nicht der Kayſer und Livia vorher
geſſen hatten; ließ ihm Waſſer und Wein ſeine
Deutſchen einſchencken. Tiberius nahm die-
[Spaltenumbruch] ſes wahr; und hatte es Noth: daß dieſer Mei-
ſter in Verſtellungen ſeine Empfindligkeit nicht
mercken ließ. Bey der letzten Tracht ward eine
Schuͤſſel voll der allerſchoͤnſten Pomerantzen-
Aepffel/ welche der Land Vogt in Egypten Li-
vien als eine beſondere Seltzamkeit geſchickt hat-
te/ aufgetragen; Dahero Tiberius ſelbte ſelbſt
vorlegte. Unter dieſen war eine/ welche keine
Blaͤtter mehr am Stiele hatte/ mit dem aͤrgſten
Giffte angemacht. Aus ſonderbahrer Fuͤrſe-
hung Gottes waren noch einem andern Apfel
die Blaͤtter abgefallen; den Fuͤrſt Herrmann
zu allem Gluͤcke uͤberkam/ und ohne Schaden
auf des Tiberius Erinnerung verzehrte; der
ihm beſtimmte ver gifftete aber kam in die Haͤnde
Otaciklens; welche anfangs eine freche Freyge-
laſſene und des Tiberius Buhlſchafft geweſt;
nunmehr aber dem edlen Caͤſonius Priſcus
vermaͤhlt war; den er hernach zu ſeinem Wol-
luſt-Meiſter machte. Alſo iſt es bey Hofe kein
Wunder: daß ſtinckende Fliegen mit einem
Fluge ſich von dem Miſthauffen des Poͤfels biß
an die Fuͤrſtlichen Taffeln erheben. Ja es waren
zu Rom nunmehro die Laſter ſo hoch ans Bret
kom̃en: daß man ſich nicht ſchaͤmte durch Aemter
und Beſtallungen ihrem Wachsthume Vor-
ſchub zu thun. Otacilla aber hatte den Apfel
kaum gekoſtet; als eine uͤbermaͤßige Hitze ihren
gantzen Leib entzuͤndete; und ſonder einig ander
Wort/ als: ich bin vergifftet! niederſanck; hier-
auff in einem Augenblicke Eys-kalt und zu-
gleich Stein-todt ward. Alle Anweſenden er-
ſtarreten und verſtummten; Und weil ſie den
wegen aller Boßheit verdaͤchtigen Tiberius
nicht anzuſchauen getraueten/ ſahen ſie ſelbſt
einander gleichſam fragende an: ob ſie bey einer
ſolchen Gifft-Taffel ſich laͤnger auffhalten ſol-
ten? Auguſt ſelbſt veraͤnderte ſich hieruͤber nicht
wenig; als welchem zwar des Tiberius Mord-
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[1252[1254]/1318] Achtes Buch Athem und Seele einbuͤſſen muͤſte. Sege- ſthes ward hierdurch derogeſtalt geruͤhret; ſon- derlich/ als er ſie gantz erblaſſen und halb todt zur Erden ſincken ſahe: daß er ſonder einiges Wort ſich aus dem Zimmer entbrach/ und in den Vorgemache ihrem Frauenzimmer befahl Thußneldens wahrzunehmen. Dieſe blieb bey nahe zwey Stunden/ ungeachtet aller ge- brauchten Erquickungen/ in dieſer Unem- pfindligkeit; und zwar vielleicht zu Erleichte- rung ihres uͤbermaͤßigen Schmertzens. Denn die Ohnmacht hindert mehrmahls: daß man die Galle des Ungluͤcks nicht allerdinges ſchme- cket; und erhaͤlt die bißweilen im Leben/ die ſonſt bey voͤlligem Erkaͤntnuͤs ihres Elends ver- ſchmachten/ oder fuͤr uͤbriger Beſtuͤrtzung Ver- ſtand und Vernunfft verlieren wuͤrden. Wie ſie ſich nun gleich ein wenig erholte; ward ſie doch von einer ſolchen Schwachheit und Hertz- klopffen bedraͤngt: daß ſie bettlaͤgerig bleiben muſte. Und der Kummer: daß ihre andere Seele Hertzog Herrmann von dieſem Unfalle zu ſeiner Beunruhigung nicht Wind bekom- men moͤchte; ließ ihren Augen nicht den wenig- ſten Schlaff zu. Wiewol ihr nun alle Glieder bebten/ und ſie faſt keinen Finger nach ihrem Verlangen ruͤhren konte; ſo gab ihr doch/ als ſie vernahm: daß Tiberius folgenden Tag Liviens Geburts-Tag mit einem praͤchtigen Gaſtmah- le feyern wolte/ und ſeinen verhaſten Neben- Buhler den Hertzog Herrmann gleichfalls ein- geladen hatte/ die Sorge fuͤr ſein Heil ſo viel Kraͤfften: daß ſie ihm ſchrieb: Weil ſie aus wich- tigen Urſachen den Tiberius fuͤr ſeinen Tod- feind hielte; moͤchte er bey ſeiner Taffel; worvon er ſich freylich ohne ſeinẽ Haß zu veraͤr gern nicht entbrechen koͤnte/ ſeines Lebens wol wahrneh- men. Herrmañ kam alſo mit der ihm vorgeſetztẽ Behutſamkeit zum Tiberius/ ruͤhꝛte keine Spei- ſe an/ worvon nicht der Kayſer und Livia vorher geſſen hatten; ließ ihm Waſſer und Wein ſeine Deutſchen einſchencken. Tiberius nahm die- ſes wahr; und hatte es Noth: daß dieſer Mei- ſter in Verſtellungen ſeine Empfindligkeit nicht mercken ließ. Bey der letzten Tracht ward eine Schuͤſſel voll der allerſchoͤnſten Pomerantzen- Aepffel/ welche der Land Vogt in Egypten Li- vien als eine beſondere Seltzamkeit geſchickt hat- te/ aufgetragen; Dahero Tiberius ſelbte ſelbſt vorlegte. Unter dieſen war eine/ welche keine Blaͤtter mehr am Stiele hatte/ mit dem aͤrgſten Giffte angemacht. Aus ſonderbahrer Fuͤrſe- hung Gottes waren noch einem andern Apfel die Blaͤtter abgefallen; den Fuͤrſt Herrmann zu allem Gluͤcke uͤberkam/ und ohne Schaden auf des Tiberius Erinnerung verzehrte; der ihm beſtimmte ver gifftete aber kam in die Haͤnde Otaciklens; welche anfangs eine freche Freyge- laſſene und des Tiberius Buhlſchafft geweſt; nunmehr aber dem edlen Caͤſonius Priſcus vermaͤhlt war; den er hernach zu ſeinem Wol- luſt-Meiſter machte. Alſo iſt es bey Hofe kein Wunder: daß ſtinckende Fliegen mit einem Fluge ſich von dem Miſthauffen des Poͤfels biß an die Fuͤrſtlichen Taffeln erheben. Ja es waren zu Rom nunmehro die Laſter ſo hoch ans Bret kom̃en: daß man ſich nicht ſchaͤmte durch Aemter und Beſtallungen ihrem Wachsthume Vor- ſchub zu thun. Otacilla aber hatte den Apfel kaum gekoſtet; als eine uͤbermaͤßige Hitze ihren gantzen Leib entzuͤndete; und ſonder einig ander Wort/ als: ich bin vergifftet! niederſanck; hier- auff in einem Augenblicke Eys-kalt und zu- gleich Stein-todt ward. Alle Anweſenden er- ſtarreten und verſtummten; Und weil ſie den wegen aller Boßheit verdaͤchtigen Tiberius nicht anzuſchauen getraueten/ ſahen ſie ſelbſt einander gleichſam fragende an: ob ſie bey einer ſolchen Gifft-Taffel ſich laͤnger auffhalten ſol- ten? Auguſt ſelbſt veraͤnderte ſich hieruͤber nicht wenig; als welchem zwar des Tiberius Mord- ſtuͤcke nicht unbekandt waren; iedoch nicht be- greiffen konte: warum er diß bey ihm ſo beliebte Weib hinrichten ſolte? Livia hingegen maßte ſich

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1252[1254]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1318>, abgerufen am 23.11.2024.