Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
welchem sie das Leben zu dancken hat/ denSelbst-Mord einloben solte. Ein Knecht thut unrecht/ wenn er sich seinem Herrn zu Schaden verstümmelt. Wir sind alle Knechte des über- all herrschenden GOttes/ und also nicht Herren nur eines einigen Gliedes/ weniger unsers Le- bens. Wir sind Ebenbilder des grossen Schö- pfers. Wie mögen wir uns denn selbte zu zer- stören erkühnen/ da es das Kupfer-Bild eines sterblichen Fürsten zu verunehren halsbrüchig ist? Sollen die Menschen nicht zahmer als wilde Thiere seyn? Keines unter diesen aber hat eine so wilde Unart/ daß es sich selbst vorsetzlich tödte. Ja es ist eine Schwachheit eines verzärtelten Gemüthes/ oder eine Raserey der Ungedult/ we- gen eines heftigen Schmertzens nicht leben wol- len/ und eine Thorheit sich zum Sterben nöthi- gen/ daß man nicht auff eine andere Art sterbe. Gesetzt nun/ der Hencker setze uns das Messer schon an die Kehle/ soll man darumb dem Hen- cker die Hand zu Vollziehung des Streiches leihen? Lasse den ankommen/ der dich tödte. Warumb wilstu frembder Grausamkeit Stelle vertreten? Mißgönnestu dem Hencker die Ehre dich zu tödten/ oder wilstu ihn der Mühe überhe- ben? Der von dem Göttlichen Außspruche selbst für den Weisesten erklärte Socrates konte nach empfangnem Urthel seinem Leben durch Enthaltung vom Essen oder Gift alsbald ab- helffen; was solte sich aber der für dem ihm zu- erkenneten Gifte fürchten/ der den Tod verach- tete? Dahero wartete er seines Mörders/ ob schon das eingefallene Feyer in Delphos die Vollziehung des Urtheils dreissig Tage auff- schob. Lernet hieraus/ ihr Deutschen/ mit was Ruhm ihr euer heutiges Siegs-Fest durch Ver- dammungen verunehret! Alleine/ heiliger Li- bys/ mögen derselben auch die Gewohnheiten des Vaterlandes zu statten kommen/ dessen Ge- setze wider ihren Vater ausgeübet werden? Der Priester ward über so seltzamen Abwechselungen nicht wenig bestürtzt/ und bildete ihm ein/ es wür- de diese Heldin/ welche mit denen in der [Spaltenumbruch] Schlacht gebrauchten und vom Blute bespritz- ten Waffen angethan erschien/ wegen ihrer Verdienste des Vaters Begnadigung suchen. Dahero ließ er sich gegen sie heraus: Derselben/ welche sich umbs Vaterland so wol verdienet hätte/ könten die Wolthaten solcher Rechte keines weges verschrenckt werden. Wolauff denn/ sagte sie/ so stellet den Vater derselben Tochter nur auff freyen Fuß/ welche sich für seine Be- freyung für ihn selbst auffzuopfern entschlossen ist. Bey den meisten Völckern stehet in der Willkühr und den Händen der Eltern das Leben und der Tod ihrer Kinder. Jhnen ist erlaubt/ auch zu ihrem blossen Unterhalt für sie ein bluti- ges Kauffgeld zu nehmen. Warumb soll ihnen nicht auch frey stehen sie für ihr Leben aufzuo- pfern. Und warumb nicht am allermeisten dem Segesthes seine Tochter? welche ihn mit eignen Händen erwürget/ da sie ihn in der Schlacht in die eurigen geliefert? Lasse diesemnach/ liebster Vater/ mich für dich schlachten/ und übe an mir aus/ was dir so wol deine väterliche Gewalt ver- stattet/ als meine eigene Verwahrlosung auff- bürdet. Dem Segesthes fielen die milden Thränen über die Wangen/ und die Bestürtzung hatte ihn eine ziemliche Weile stumm gemacht/ biß er seine Tochter dergestalt anredete: Nein/ nein/ hertzliebste Thußnelde. Haben die Assyrier ihrem Bel/ Carthago dem Saturno für ihre Wolfarth gleich ihre eigne Kinder geopfert; habe ich zeithe- ro meine Macht etwas rau über dich ausgeübet/ werde ich doch nimmermehr auf diese Grausam- keit verfallen/ die Unschuld/ ja mein eigenes Blut für mich hinzugeben. Jch habe mit meinem Verbrechen meine väterliche Gewalt verloren/ und bin nun alles äuserste unerschrocken zu lei- den entschlossen. Es ist vergebene Ausflucht/ versetzte Thußnelde. Menschen/ welche sich dem schlüpfrigen Glücke gantz und gar ver- trauen/ verlernen zwar selbst die Natur/ und verwandeln ihre angebohrne Eigenschafften; aber kein Zufall kan das Recht des Geblüts aus den Adern vertilgen/ und kein bür- ger- K 3
Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
welchem ſie das Leben zu dancken hat/ denSelbſt-Mord einloben ſolte. Ein Knecht thut unrecht/ wenn er ſich ſeinem Herrn zu Schaden verſtuͤmmelt. Wir ſind alle Knechte des uͤber- all herrſchenden GOttes/ und alſo nicht Herren nur eines einigen Gliedes/ weniger unſers Le- bens. Wir ſind Ebenbilder des groſſen Schoͤ- pfers. Wie moͤgen wir uns denn ſelbte zu zer- ſtoͤren erkuͤhnen/ da es das Kupfer-Bild eines ſterblichen Fuͤrſten zu verunehren halsbruͤchig iſt? Sollen die Menſchen nicht zahmer als wilde Thiere ſeyn? Keines unter dieſen aber hat eine ſo wilde Unart/ daß es ſich ſelbſt vorſetzlich toͤdte. Ja es iſt eine Schwachheit eines verzaͤrtelten Gemuͤthes/ oder eine Raſerey der Ungedult/ we- gen eines heftigen Schmertzens nicht leben wol- len/ und eine Thorheit ſich zum Sterben noͤthi- gen/ daß man nicht auff eine andere Art ſterbe. Geſetzt nun/ der Hencker ſetze uns das Meſſer ſchon an die Kehle/ ſoll man darumb dem Hen- cker die Hand zu Vollziehung des Streiches leihen? Laſſe den ankommen/ der dich toͤdte. Warumb wilſtu frembder Grauſamkeit Stelle vertreten? Mißgoͤnneſtu dem Hencker die Ehre dich zu toͤdten/ oder wilſtu ihn der Muͤhe uͤberhe- ben? Der von dem Goͤttlichen Außſpruche ſelbſt fuͤr den Weiſeſten erklaͤrte Socrates konte nach empfangnem Urthel ſeinem Leben durch Enthaltung vom Eſſen oder Gift alsbald ab- helffen; was ſolte ſich aber der fuͤr dem ihm zu- erkenneten Gifte fuͤrchten/ der den Tod verach- tete? Dahero wartete er ſeines Moͤrders/ ob ſchon das eingefallene Feyer in Delphos die Vollziehung des Urtheils dreiſſig Tage auff- ſchob. Lernet hieraus/ ihr Deutſchen/ mit was Ruhm ihr euer heutiges Siegs-Feſt durch Ver- dammungen verunehret! Alleine/ heiliger Li- bys/ moͤgen derſelben auch die Gewohnheiten des Vaterlandes zu ſtatten kommen/ deſſen Ge- ſetze wider ihren Vater ausgeuͤbet werden? Der Prieſter ward uͤber ſo ſeltzamen Abwechſelungen nicht wenig beſtuͤrtzt/ und bildete ihm ein/ es wuͤr- de dieſe Heldin/ welche mit denen in der [Spaltenumbruch] Schlacht gebrauchten und vom Blute beſpritz- ten Waffen angethan erſchien/ wegen ihrer Verdienſte des Vaters Begnadigung ſuchen. Dahero ließ er ſich gegen ſie heraus: Derſelben/ welche ſich umbs Vaterland ſo wol verdienet haͤtte/ koͤnten die Wolthaten ſolcher Rechte keines weges verſchrenckt werden. Wolauff denn/ ſagte ſie/ ſo ſtellet den Vater derſelben Tochter nur auff freyen Fuß/ welche ſich fuͤr ſeine Be- freyung fuͤr ihn ſelbſt auffzuopfern entſchloſſen iſt. Bey den meiſten Voͤlckern ſtehet in der Willkuͤhr und den Haͤnden der Eltern das Leben und der Tod ihrer Kinder. Jhnen iſt erlaubt/ auch zu ihrem bloſſen Unterhalt fuͤr ſie ein bluti- ges Kauffgeld zu nehmen. Warumb ſoll ihnen nicht auch frey ſtehen ſie fuͤr ihr Leben aufzuo- pfern. Und warumb nicht am allermeiſten dem Segeſthes ſeine Tochter? welche ihn mit eignen Haͤnden erwuͤrget/ da ſie ihn in der Schlacht in die eurigen geliefert? Laſſe dieſemnach/ liebſter Vater/ mich fuͤr dich ſchlachten/ und uͤbe an mir aus/ was dir ſo wol deine vaͤterliche Gewalt ver- ſtattet/ als meine eigene Verwahrloſung auff- buͤrdet. Dem Segeſthes fielen die milden Thraͤnen uͤber die Wangen/ und die Beſtuͤrtzung hatte ihn eine ziemliche Weile ſtum̃ gemacht/ biß er ſeine Tochter dergeſtalt anredete: Nein/ nein/ hertzliebſte Thußnelde. Haben die Aſſyrier ihrem Bel/ Carthago dem Saturno fuͤr ihre Wolfarth gleich ihre eigne Kinder geopfert; habe ich zeithe- ro meine Macht etwas rau uͤber dich ausgeuͤbet/ werde ich doch nimmermehr auf dieſe Grauſam- keit verfallen/ die Unſchuld/ ja mein eigenes Blut fuͤr mich hinzugeben. Jch habe mit meinem Verbrechen meine vaͤterliche Gewalt verloren/ und bin nun alles aͤuſerſte unerſchrocken zu lei- den entſchloſſen. Es iſt vergebene Ausflucht/ verſetzte Thußnelde. Menſchen/ welche ſich dem ſchluͤpfrigen Gluͤcke gantz und gar ver- trauen/ verlernen zwar ſelbſt die Natur/ und verwandeln ihre angebohrne Eigenſchafften; aber kein Zufall kan das Recht des Gebluͤts aus den Adern vertilgen/ und kein buͤr- ger- K 3
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Arminius und Thußnelda.
welchem ſie das Leben zu dancken hat/ den
Selbſt-Mord einloben ſolte. Ein Knecht thut
unrecht/ wenn er ſich ſeinem Herrn zu Schaden
verſtuͤmmelt. Wir ſind alle Knechte des uͤber-
all herrſchenden GOttes/ und alſo nicht Herren
nur eines einigen Gliedes/ weniger unſers Le-
bens. Wir ſind Ebenbilder des groſſen Schoͤ-
pfers. Wie moͤgen wir uns denn ſelbte zu zer-
ſtoͤren erkuͤhnen/ da es das Kupfer-Bild eines
ſterblichen Fuͤrſten zu verunehren halsbruͤchig
iſt? Sollen die Menſchen nicht zahmer als wilde
Thiere ſeyn? Keines unter dieſen aber hat eine
ſo wilde Unart/ daß es ſich ſelbſt vorſetzlich toͤdte.
Ja es iſt eine Schwachheit eines verzaͤrtelten
Gemuͤthes/ oder eine Raſerey der Ungedult/ we-
gen eines heftigen Schmertzens nicht leben wol-
len/ und eine Thorheit ſich zum Sterben noͤthi-
gen/ daß man nicht auff eine andere Art ſterbe.
Geſetzt nun/ der Hencker ſetze uns das Meſſer
ſchon an die Kehle/ ſoll man darumb dem Hen-
cker die Hand zu Vollziehung des Streiches
leihen? Laſſe den ankommen/ der dich toͤdte.
Warumb wilſtu frembder Grauſamkeit Stelle
vertreten? Mißgoͤnneſtu dem Hencker die Ehre
dich zu toͤdten/ oder wilſtu ihn der Muͤhe uͤberhe-
ben? Der von dem Goͤttlichen Außſpruche
ſelbſt fuͤr den Weiſeſten erklaͤrte Socrates konte
nach empfangnem Urthel ſeinem Leben durch
Enthaltung vom Eſſen oder Gift alsbald ab-
helffen; was ſolte ſich aber der fuͤr dem ihm zu-
erkenneten Gifte fuͤrchten/ der den Tod verach-
tete? Dahero wartete er ſeines Moͤrders/ ob
ſchon das eingefallene Feyer in Delphos die
Vollziehung des Urtheils dreiſſig Tage auff-
ſchob. Lernet hieraus/ ihr Deutſchen/ mit was
Ruhm ihr euer heutiges Siegs-Feſt durch Ver-
dammungen verunehret! Alleine/ heiliger Li-
bys/ moͤgen derſelben auch die Gewohnheiten
des Vaterlandes zu ſtatten kommen/ deſſen Ge-
ſetze wider ihren Vater ausgeuͤbet werden? Der
Prieſter ward uͤber ſo ſeltzamen Abwechſelungen
nicht wenig beſtuͤrtzt/ und bildete ihm ein/ es wuͤr-
de dieſe Heldin/ welche mit denen in der
Schlacht gebrauchten und vom Blute beſpritz-
ten Waffen angethan erſchien/ wegen ihrer
Verdienſte des Vaters Begnadigung ſuchen.
Dahero ließ er ſich gegen ſie heraus: Derſelben/
welche ſich umbs Vaterland ſo wol verdienet
haͤtte/ koͤnten die Wolthaten ſolcher Rechte keines
weges verſchrenckt werden. Wolauff denn/
ſagte ſie/ ſo ſtellet den Vater derſelben Tochter
nur auff freyen Fuß/ welche ſich fuͤr ſeine Be-
freyung fuͤr ihn ſelbſt auffzuopfern entſchloſſen
iſt. Bey den meiſten Voͤlckern ſtehet in der
Willkuͤhr und den Haͤnden der Eltern das Leben
und der Tod ihrer Kinder. Jhnen iſt erlaubt/
auch zu ihrem bloſſen Unterhalt fuͤr ſie ein bluti-
ges Kauffgeld zu nehmen. Warumb ſoll ihnen
nicht auch frey ſtehen ſie fuͤr ihr Leben aufzuo-
pfern. Und warumb nicht am allermeiſten dem
Segeſthes ſeine Tochter? welche ihn mit eignen
Haͤnden erwuͤrget/ da ſie ihn in der Schlacht in
die eurigen geliefert? Laſſe dieſemnach/ liebſter
Vater/ mich fuͤr dich ſchlachten/ und uͤbe an mir
aus/ was dir ſo wol deine vaͤterliche Gewalt ver-
ſtattet/ als meine eigene Verwahrloſung auff-
buͤrdet. Dem Segeſthes fielen die milden
Thraͤnen uͤber die Wangen/ und die Beſtuͤrtzung
hatte ihn eine ziemliche Weile ſtum̃ gemacht/ biß
er ſeine Tochter dergeſtalt anredete: Nein/ nein/
hertzliebſte Thußnelde. Haben die Aſſyrier ihrem
Bel/ Carthago dem Saturno fuͤr ihre Wolfarth
gleich ihre eigne Kinder geopfert; habe ich zeithe-
ro meine Macht etwas rau uͤber dich ausgeuͤbet/
werde ich doch nimmermehr auf dieſe Grauſam-
keit verfallen/ die Unſchuld/ ja mein eigenes Blut
fuͤr mich hinzugeben. Jch habe mit meinem
Verbrechen meine vaͤterliche Gewalt verloren/
und bin nun alles aͤuſerſte unerſchrocken zu lei-
den entſchloſſen. Es iſt vergebene Ausflucht/
verſetzte Thußnelde. Menſchen/ welche ſich
dem ſchluͤpfrigen Gluͤcke gantz und gar ver-
trauen/ verlernen zwar ſelbſt die Natur/ und
verwandeln ihre angebohrne Eigenſchafften;
aber kein Zufall kan das Recht des Gebluͤts
aus den Adern vertilgen/ und kein buͤr-
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/125>, abgerufen am 16.07.2024. |