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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Siebendes Buch
[Spaltenumbruch] grösser Glücke erleben könte; als wenn er dich
nunmehr auch könte sterben lehren. Jch konte
mich nicht enthalten/ fuhr Ariovist ferner fort/
diesen guten Alten auffs empfindlichste zu um-
armen; als welcher ein weiser Leiter meiner
Jugend gewest war/ und nicht nur die Griechi-
sche Sprache/ sondern alles diß/ was ich iemals
tugendhafftes begrieffen/ ihm zu dancken hatte.
Er hatte nicht nur unter den Celten den Grund
seiner Weißheit gelegt; sondern auch bey denen
Zamolxischen Priestern unter den Geten/ und
in Egypten selbte durch viel heilsame Lehren
befestigt. Wiewol diese Samothische Weisen
nun von allem Geitz und Ehrsucht entfernet
sind/ auch sich nur mit Haar bedecken/ und
von Baumfrüchten leben/ haben sie doch die A-
lemannischen Könige iederzeit an ihren Hoff zu
Aufferziehung ihrer Fürsten gezogen; wolwis-
sende: daß gantze Völcker zwar von einem Für-
sten können beherrscht; ein junger Fürst kaum
von einem gantzen Volcke wol/ von niemanden
aber besser/ als einem Weisen auffer zo gen wer-
den; welcher von rechtswegen nicht allein mehr
wissen/ sondern auch mehr gutes thun soll/ als
alle Gehorchenden. Jch kan mit Warheit sa-
gen: daß ich diesem Lehrer mehr als Alexander
seinem verbunden/ iedoch in diesem mit ihm be-
schämt bin: daß keiner seiner Ehrsucht ein rech-
tes Maaß zu setzen gelernet hatte. Diesemnach
ich denn unter meinen bethränten Umhalsun-
gen diesen Weisen ersuchte mir seine vertröstete
Unter richtung zu der Zeit/ da ich für meinen
Jrrthümern mehr/ als in der unvorsichtigen
Kindheit und in der verwegenen Jugend
Sorge trüge/ nicht zu entziehen; welcher denn
nach einem tieffen Seuffzer mit vielen Thrä-
nen anfieng: Die Kunst recht zu leben ist zwar
die gröste der Menschen/ wol zu herrschen der
Fürsten; selig zu sterben hat an sich etwas Gött-
liches; denn an dieser hänget unsere Ewigkeit.
Weßwegen unser Leben von der blinden Kind-
heit den Anfang/ und mit dem weisen Alter
[Spaltenumbruch] den Abschied nimmt; wor mit man allhier keinen
Tritt fehle/ ja das Alter er wachet gleichsam alle
Tage mit einer neuen Schwachheit; wormit
selbtes so viel vorsichtiger dem besorglichen Falle
zuvor komme. Zwar ist nicht ohne: daß die
Herrschens-Kunst in einem klugen Kopfe/ nicht
in jungen Riesen den Sitz habe. Mehrmahls
haben gantze Heere für zitternden Händen ge-
zittert; und nachdem Zeit und Erfahrung das
Hertze von unziemenden Begierden/ das Haupt
von Unwissenheit erlediget/ der Verstand auch
ins gemein zunimmt/ wenn die eusserlichen Sin-
nen ins Abnehmen kommen/ siehet ein bejahr-
ter Fürst offt mit einem Blicke weiter; als die
scharffsichtigsten Jünglinge mit ihren eingebil-
deten Adlers-Augen. Jhre Rathschläge rich-
ten mehr aus als der hitzigen Jugend geschlif-
fene Spiesse. Gleichwol aber ist ins gemein
das Alter bey Fürsten eben so wol eine Kranck-
heit/ als beym Pöfel. Der Stab/ für welchem
gantze Länder gebebt haben/ ver wandelt sich in
eine Stütze ohnmächtiger Armen. So viel man
in der Jugend schwitzet/ so viel muß man im
Alter husten; jenes aber gebieret Zuneigung des
Volckes/ dieses Abscheu; also: daß auch die Ju-
gend mit ihren gefährlichen Annehmligkeiten
wie eine Sirene die Gemüther an sich zeucht/
das Alter aber mit seinen heilsamen Warnun-
gen als ein Gespenste die verwegenen schichtern;
und nach dem der bejahrten Eigenschafft ist alles
zu verneinen/ wie der Kinder iedes zu verjahen/
die Begierigen unwillig macht. Die Kindheit
des Menschen gleichet sich einem Qvelle/ wel-
cher zwischen dem unbefleckten Sande fast un-
empfindlich herfür rieselt/ und bey seiner Ein-
falt auch seine Reinigkeit behält; Die Jugend
wird schon eine rauschende Bach/ welche über
Stock und Stein abstürtzet/ von Gemüths-Re-
gungen schäumet/ und mit dem Kothe der Wol-
lust sich trübet; die männlichen Jahre gleichen
einem vollkommenen Flusse/ der zwar tieff/ aber
sittsam fortströmet/ das Erdreich wässert/

Schiffe

Siebendes Buch
[Spaltenumbruch] groͤſſer Gluͤcke erleben koͤnte; als wenn er dich
nunmehr auch koͤnte ſterben lehren. Jch konte
mich nicht enthalten/ fuhr Arioviſt ferner fort/
dieſen guten Alten auffs empfindlichſte zu um-
armen; als welcher ein weiſer Leiter meiner
Jugend geweſt war/ und nicht nur die Griechi-
ſche Sprache/ ſondern alles diß/ was ich iemals
tugendhafftes begrieffen/ ihm zu dancken hatte.
Er hatte nicht nur unteꝛ den Celten den Grund
ſeiner Weißheit gelegt; ſondern auch bey denen
Zamolxiſchen Prieſtern unter den Geten/ und
in Egypten ſelbte durch viel heilſame Lehren
befeſtigt. Wiewol dieſe Samothiſche Weiſen
nun von allem Geitz und Ehrſucht entfernet
ſind/ auch ſich nur mit Haar bedecken/ und
von Baumfruͤchten leben/ haben ſie doch die A-
lemanniſchen Koͤnige iederzeit an ihren Hoff zu
Aufferziehung ihrer Fuͤrſten gezogen; wolwiſ-
ſende: daß gantze Voͤlcker zwar von einem Fuͤr-
ſten koͤnnen beherrſcht; ein junger Fuͤrſt kaum
von einem gantzen Volcke wol/ von niemanden
aber beſſer/ als einem Weiſen auffer zo gen wer-
den; welcher von rechtswegen nicht allein mehr
wiſſen/ ſondern auch mehr gutes thun ſoll/ als
alle Gehorchenden. Jch kan mit Warheit ſa-
gen: daß ich dieſem Lehrer mehr als Alexander
ſeinem verbunden/ iedoch in dieſem mit ihm be-
ſchaͤmt bin: daß keiner ſeiner Ehrſucht ein rech-
tes Maaß zu ſetzen gelernet hatte. Dieſemnach
ich denn unter meinen bethraͤnten Umhalſun-
gen dieſen Weiſen erſuchte mir ſeine vertroͤſtete
Unter richtung zu der Zeit/ da ich fuͤr meinen
Jrrthuͤmern mehr/ als in der unvorſichtigen
Kindheit und in der verwegenen Jugend
Sorge truͤge/ nicht zu entziehen; welcher denn
nach einem tieffen Seuffzer mit vielen Thraͤ-
nen anfieng: Die Kunſt recht zu leben iſt zwar
die groͤſte der Menſchen/ wol zu herrſchen der
Fuͤrſten; ſelig zu ſterben hat an ſich etwas Goͤtt-
liches; denn an dieſer haͤnget unſere Ewigkeit.
Weßwegen unſer Leben von der blinden Kind-
heit den Anfang/ und mit dem weiſen Alter
[Spaltenumbruch] den Abſchied nimmt; wor mit man allhier keinen
Tritt fehle/ ja das Alter er wachet gleichſam alle
Tage mit einer neuen Schwachheit; wormit
ſelbtes ſo viel vorſichtiger dem beſorglichen Falle
zuvor komme. Zwar iſt nicht ohne: daß die
Herrſchens-Kunſt in einem klugen Kopfe/ nicht
in jungen Rieſen den Sitz habe. Mehrmahls
haben gantze Heere fuͤr zitternden Haͤnden ge-
zittert; und nachdem Zeit und Erfahrung das
Hertze von unziemenden Begieꝛden/ das Haupt
von Unwiſſenheit erlediget/ der Verſtand auch
ins gemein zunim̃t/ wenn die euſſerlichen Sin-
nen ins Abnehmen kommen/ ſiehet ein bejahr-
ter Fuͤrſt offt mit einem Blicke weiter; als die
ſcharffſichtigſten Juͤnglinge mit ihren eingebil-
deten Adlers-Augen. Jhre Rathſchlaͤge rich-
ten mehr aus als der hitzigen Jugend geſchlif-
fene Spieſſe. Gleichwol aber iſt ins gemein
das Alter bey Fuͤrſten eben ſo wol eine Kranck-
heit/ als beym Poͤfel. Der Stab/ fuͤr welchem
gantze Laͤnder gebebt haben/ ver wandelt ſich in
eine Stuͤtze ohnmaͤchtiger Armen. So viel man
in der Jugend ſchwitzet/ ſo viel muß man im
Alter huſten; jenes aber gebieret Zuneigung des
Volckes/ dieſes Abſcheu; alſo: daß auch die Ju-
gend mit ihren gefaͤhrlichen Annehmligkeiten
wie eine Sirene die Gemuͤther an ſich zeucht/
das Alter aber mit ſeinen heilſamen Warnun-
gen als ein Geſpenſte die verwegenen ſchichtern;
und nach dem der bejahrten Eigenſchafft iſt alles
zu verneinen/ wie der Kinder iedes zu verjahen/
die Begierigen unwillig macht. Die Kindheit
des Menſchen gleichet ſich einem Qvelle/ wel-
cher zwiſchen dem unbefleckten Sande faſt un-
empfindlich herfuͤr rieſelt/ und bey ſeiner Ein-
falt auch ſeine Reinigkeit behaͤlt; Die Jugend
wird ſchon eine rauſchende Bach/ welche uͤber
Stock und Stein abſtuͤrtzet/ von Gemuͤths-Re-
gungen ſchaͤumet/ und mit dem Kothe der Wol-
luſt ſich truͤbet; die maͤnnlichen Jahre gleichen
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Schiffe
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[1108[1110]/1172] Siebendes Buch groͤſſer Gluͤcke erleben koͤnte; als wenn er dich nunmehr auch koͤnte ſterben lehren. Jch konte mich nicht enthalten/ fuhr Arioviſt ferner fort/ dieſen guten Alten auffs empfindlichſte zu um- armen; als welcher ein weiſer Leiter meiner Jugend geweſt war/ und nicht nur die Griechi- ſche Sprache/ ſondern alles diß/ was ich iemals tugendhafftes begrieffen/ ihm zu dancken hatte. Er hatte nicht nur unteꝛ den Celten den Grund ſeiner Weißheit gelegt; ſondern auch bey denen Zamolxiſchen Prieſtern unter den Geten/ und in Egypten ſelbte durch viel heilſame Lehren befeſtigt. Wiewol dieſe Samothiſche Weiſen nun von allem Geitz und Ehrſucht entfernet ſind/ auch ſich nur mit Haar bedecken/ und von Baumfruͤchten leben/ haben ſie doch die A- lemanniſchen Koͤnige iederzeit an ihren Hoff zu Aufferziehung ihrer Fuͤrſten gezogen; wolwiſ- ſende: daß gantze Voͤlcker zwar von einem Fuͤr- ſten koͤnnen beherrſcht; ein junger Fuͤrſt kaum von einem gantzen Volcke wol/ von niemanden aber beſſer/ als einem Weiſen auffer zo gen wer- den; welcher von rechtswegen nicht allein mehr wiſſen/ ſondern auch mehr gutes thun ſoll/ als alle Gehorchenden. Jch kan mit Warheit ſa- gen: daß ich dieſem Lehrer mehr als Alexander ſeinem verbunden/ iedoch in dieſem mit ihm be- ſchaͤmt bin: daß keiner ſeiner Ehrſucht ein rech- tes Maaß zu ſetzen gelernet hatte. Dieſemnach ich denn unter meinen bethraͤnten Umhalſun- gen dieſen Weiſen erſuchte mir ſeine vertroͤſtete Unter richtung zu der Zeit/ da ich fuͤr meinen Jrrthuͤmern mehr/ als in der unvorſichtigen Kindheit und in der verwegenen Jugend Sorge truͤge/ nicht zu entziehen; welcher denn nach einem tieffen Seuffzer mit vielen Thraͤ- nen anfieng: Die Kunſt recht zu leben iſt zwar die groͤſte der Menſchen/ wol zu herrſchen der Fuͤrſten; ſelig zu ſterben hat an ſich etwas Goͤtt- liches; denn an dieſer haͤnget unſere Ewigkeit. Weßwegen unſer Leben von der blinden Kind- heit den Anfang/ und mit dem weiſen Alter den Abſchied nimmt; wor mit man allhier keinen Tritt fehle/ ja das Alter er wachet gleichſam alle Tage mit einer neuen Schwachheit; wormit ſelbtes ſo viel vorſichtiger dem beſorglichen Falle zuvor komme. Zwar iſt nicht ohne: daß die Herrſchens-Kunſt in einem klugen Kopfe/ nicht in jungen Rieſen den Sitz habe. Mehrmahls haben gantze Heere fuͤr zitternden Haͤnden ge- zittert; und nachdem Zeit und Erfahrung das Hertze von unziemenden Begieꝛden/ das Haupt von Unwiſſenheit erlediget/ der Verſtand auch ins gemein zunim̃t/ wenn die euſſerlichen Sin- nen ins Abnehmen kommen/ ſiehet ein bejahr- ter Fuͤrſt offt mit einem Blicke weiter; als die ſcharffſichtigſten Juͤnglinge mit ihren eingebil- deten Adlers-Augen. Jhre Rathſchlaͤge rich- ten mehr aus als der hitzigen Jugend geſchlif- fene Spieſſe. Gleichwol aber iſt ins gemein das Alter bey Fuͤrſten eben ſo wol eine Kranck- heit/ als beym Poͤfel. Der Stab/ fuͤr welchem gantze Laͤnder gebebt haben/ ver wandelt ſich in eine Stuͤtze ohnmaͤchtiger Armen. So viel man in der Jugend ſchwitzet/ ſo viel muß man im Alter huſten; jenes aber gebieret Zuneigung des Volckes/ dieſes Abſcheu; alſo: daß auch die Ju- gend mit ihren gefaͤhrlichen Annehmligkeiten wie eine Sirene die Gemuͤther an ſich zeucht/ das Alter aber mit ſeinen heilſamen Warnun- gen als ein Geſpenſte die verwegenen ſchichtern; und nach dem der bejahrten Eigenſchafft iſt alles zu verneinen/ wie der Kinder iedes zu verjahen/ die Begierigen unwillig macht. Die Kindheit des Menſchen gleichet ſich einem Qvelle/ wel- cher zwiſchen dem unbefleckten Sande faſt un- empfindlich herfuͤr rieſelt/ und bey ſeiner Ein- falt auch ſeine Reinigkeit behaͤlt; Die Jugend wird ſchon eine rauſchende Bach/ welche uͤber Stock und Stein abſtuͤrtzet/ von Gemuͤths-Re- gungen ſchaͤumet/ und mit dem Kothe der Wol- luſt ſich truͤbet; die maͤnnlichen Jahre gleichen einem vollkommenen Fluſſe/ der zwar tieff/ aber ſittſam fortſtroͤmet/ das Erdreich waͤſſert/ Schiffe

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1108[1110]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1172>, abgerufen am 19.05.2024.