Beschreibung und Gebrauch der astronom. Instrumente.
§. 68. (Instinct der Menschen.) Wir pflegen in der uns, wie es scheint, schon angebornen Bescheidenheit unseren eigenen Werth so hoch anzuschlagen, daß wir mit den anderen lebenden Wesen auf dieser Erde durchaus nichts gemein haben wollen. Wir spre- chen ihnen erstens den Verstand ab und wollen zweitens nichts von ihrem Instinct an uns haben, und -- wir irren uns wahrscheinlich in beiden Fällen. Die meisten der vorhergehenden Bemerkungen zeigen uns, daß in unserm inneren, sogenannten geistigen Organismus ein sehr großer Theil demjenigen angehört, was wir bei den übrigen Ge- schöpfen Instinct zu nennen pflegen. Bei einer unpartheiischen Be- trachtung unserer Handlungen und beinahe aller unserer geistigen Functionen geht keineswegs, wie wir uns wohl zuweilen selbstge- fällig zu schmeicheln pflegen, Ueberlegung, Vernunftgrund und freie Wahl voraus, sondern meistens nur ein gewisses zwar dunk- les, aber mächtig bestimmendes Gefühl, das Menschen von glücklicher Organisation nur selten trügt, und das uns sicherer leitet, als alles schulgerechte Raisonnement. Auch ist es jenes dunkle Gefühl, was uns zum Handeln führt, da das, was wir Vernunftschlüsse nennen, meistens später, erst hinter jenem Gefühle, nachkömmt und mehr dazu dient, jene erste Sensation zu control- liren. Die gütige Natur ließ es bei dem Menschen, wie es scheint, nicht gern auf die Vernunft allein ankommen, und sie schickt oft schon den Trieb über uns, wenn wir mit dem Beweise noch lange nicht fertig sind. Auf diese Weise greift der Instinct beinahe im- mer dem geschlossenen Urtheile vor. Das Brauchbarste im Leben hat gewöhnlich Jeder unter uns nicht von Andern gelernt: es wohnt uns bei, und wir kommen dazu, ohne selbst recht zu wissen, auf welche Art. Am deutlichsten sehen wir dieß in jenen Dingen, in welchen wir eigentlich nichts, als eben auf diese Weise sehen: ich meine, in unseren sogenannten hyperphysischen Wissenschaften. Denn besteht nicht z. B. unsere Metaphysik, und unsere ganze Philosophie dazu, eigentlich doch nur darin, uns dessen etwas deutlicher, oder -- soll ich sagen -- etwas gelehrter bewußt zu machen, was wir auch ohne Metaphysik eigentlich schon längst gewußt haben?
Die stärkste Leidenschaft unter allen, die des Menschen Herz be- wegt, diejenige, die keinen Widerstand kennt und kein Opfer scheut,
Littrow's Himmel u. s. Wunder. III. 27
Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
§. 68. (Inſtinct der Menſchen.) Wir pflegen in der uns, wie es ſcheint, ſchon angebornen Beſcheidenheit unſeren eigenen Werth ſo hoch anzuſchlagen, daß wir mit den anderen lebenden Weſen auf dieſer Erde durchaus nichts gemein haben wollen. Wir ſpre- chen ihnen erſtens den Verſtand ab und wollen zweitens nichts von ihrem Inſtinct an uns haben, und — wir irren uns wahrſcheinlich in beiden Fällen. Die meiſten der vorhergehenden Bemerkungen zeigen uns, daß in unſerm inneren, ſogenannten geiſtigen Organismus ein ſehr großer Theil demjenigen angehört, was wir bei den übrigen Ge- ſchöpfen Inſtinct zu nennen pflegen. Bei einer unpartheiiſchen Be- trachtung unſerer Handlungen und beinahe aller unſerer geiſtigen Functionen geht keineswegs, wie wir uns wohl zuweilen ſelbſtge- fällig zu ſchmeicheln pflegen, Ueberlegung, Vernunftgrund und freie Wahl voraus, ſondern meiſtens nur ein gewiſſes zwar dunk- les, aber mächtig beſtimmendes Gefühl, das Menſchen von glücklicher Organiſation nur ſelten trügt, und das uns ſicherer leitet, als alles ſchulgerechte Raiſonnement. Auch iſt es jenes dunkle Gefühl, was uns zum Handeln führt, da das, was wir Vernunftſchlüſſe nennen, meiſtens ſpäter, erſt hinter jenem Gefühle, nachkömmt und mehr dazu dient, jene erſte Senſation zu control- liren. Die gütige Natur ließ es bei dem Menſchen, wie es ſcheint, nicht gern auf die Vernunft allein ankommen, und ſie ſchickt oft ſchon den Trieb über uns, wenn wir mit dem Beweiſe noch lange nicht fertig ſind. Auf dieſe Weiſe greift der Inſtinct beinahe im- mer dem geſchloſſenen Urtheile vor. Das Brauchbarſte im Leben hat gewöhnlich Jeder unter uns nicht von Andern gelernt: es wohnt uns bei, und wir kommen dazu, ohne ſelbſt recht zu wiſſen, auf welche Art. Am deutlichſten ſehen wir dieß in jenen Dingen, in welchen wir eigentlich nichts, als eben auf dieſe Weiſe ſehen: ich meine, in unſeren ſogenannten hyperphyſiſchen Wiſſenſchaften. Denn beſteht nicht z. B. unſere Metaphyſik, und unſere ganze Philoſophie dazu, eigentlich doch nur darin, uns deſſen etwas deutlicher, oder — ſoll ich ſagen — etwas gelehrter bewußt zu machen, was wir auch ohne Metaphyſik eigentlich ſchon längſt gewußt haben?
Die ſtärkſte Leidenſchaft unter allen, die des Menſchen Herz be- wegt, diejenige, die keinen Widerſtand kennt und kein Opfer ſcheut,
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 27
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0429"n="417"/><fwplace="top"type="header">Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.</fw><lb/><p>§. 68. (Inſtinct der Menſchen.) Wir pflegen in der uns, wie<lb/>
es ſcheint, ſchon angebornen Beſcheidenheit unſeren eigenen Werth<lb/>ſo hoch anzuſchlagen, daß wir mit den anderen lebenden Weſen<lb/>
auf dieſer Erde durchaus nichts gemein haben wollen. Wir ſpre-<lb/>
chen ihnen erſtens den Verſtand ab und wollen zweitens nichts von<lb/>
ihrem Inſtinct an uns haben, und — wir irren uns wahrſcheinlich in<lb/>
beiden Fällen. Die meiſten der vorhergehenden Bemerkungen zeigen<lb/>
uns, daß in unſerm inneren, ſogenannten geiſtigen Organismus ein<lb/>ſehr großer Theil demjenigen angehört, was wir bei den übrigen Ge-<lb/>ſchöpfen Inſtinct zu nennen pflegen. Bei einer unpartheiiſchen Be-<lb/>
trachtung unſerer Handlungen und beinahe aller unſerer geiſtigen<lb/>
Functionen geht keineswegs, wie wir uns wohl zuweilen ſelbſtge-<lb/>
fällig zu ſchmeicheln pflegen, Ueberlegung, Vernunftgrund und<lb/>
freie Wahl voraus, ſondern meiſtens nur ein gewiſſes zwar dunk-<lb/>
les, aber mächtig beſtimmendes Gefühl, das Menſchen von<lb/>
glücklicher Organiſation nur ſelten trügt, und das uns ſicherer<lb/>
leitet, als alles ſchulgerechte Raiſonnement. Auch iſt es jenes<lb/>
dunkle Gefühl, was uns zum Handeln führt, da das, was wir<lb/>
Vernunftſchlüſſe nennen, meiſtens ſpäter, erſt hinter jenem Gefühle,<lb/>
nachkömmt und mehr dazu dient, jene erſte Senſation zu control-<lb/>
liren. Die gütige Natur ließ es bei dem Menſchen, wie es ſcheint,<lb/>
nicht gern auf die Vernunft allein ankommen, und ſie ſchickt oft<lb/>ſchon den Trieb über uns, wenn wir mit dem Beweiſe noch lange<lb/>
nicht fertig ſind. Auf dieſe Weiſe greift der Inſtinct beinahe im-<lb/>
mer dem geſchloſſenen Urtheile vor. Das Brauchbarſte im Leben<lb/>
hat gewöhnlich Jeder unter uns nicht von Andern gelernt: es<lb/>
wohnt uns bei, und wir kommen dazu, ohne ſelbſt recht zu wiſſen,<lb/>
auf welche Art. Am deutlichſten ſehen wir dieß in jenen Dingen,<lb/>
in welchen wir eigentlich nichts, als eben auf dieſe Weiſe ſehen:<lb/>
ich meine, in unſeren ſogenannten hyperphyſiſchen Wiſſenſchaften.<lb/>
Denn beſteht nicht z. B. unſere Metaphyſik, und unſere ganze<lb/>
Philoſophie dazu, eigentlich doch nur darin, uns deſſen etwas<lb/>
deutlicher, oder —ſoll ich ſagen — etwas gelehrter bewußt zu<lb/>
machen, was wir auch ohne Metaphyſik eigentlich ſchon längſt<lb/>
gewußt haben?</p><lb/><p>Die ſtärkſte Leidenſchaft unter allen, die des Menſchen Herz be-<lb/>
wegt, diejenige, die keinen Widerſtand kennt und kein Opfer ſcheut,<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Littrow’s</hi> Himmel u. ſ. Wunder. <hirendition="#aq">III.</hi> 27</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[417/0429]
Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
§. 68. (Inſtinct der Menſchen.) Wir pflegen in der uns, wie
es ſcheint, ſchon angebornen Beſcheidenheit unſeren eigenen Werth
ſo hoch anzuſchlagen, daß wir mit den anderen lebenden Weſen
auf dieſer Erde durchaus nichts gemein haben wollen. Wir ſpre-
chen ihnen erſtens den Verſtand ab und wollen zweitens nichts von
ihrem Inſtinct an uns haben, und — wir irren uns wahrſcheinlich in
beiden Fällen. Die meiſten der vorhergehenden Bemerkungen zeigen
uns, daß in unſerm inneren, ſogenannten geiſtigen Organismus ein
ſehr großer Theil demjenigen angehört, was wir bei den übrigen Ge-
ſchöpfen Inſtinct zu nennen pflegen. Bei einer unpartheiiſchen Be-
trachtung unſerer Handlungen und beinahe aller unſerer geiſtigen
Functionen geht keineswegs, wie wir uns wohl zuweilen ſelbſtge-
fällig zu ſchmeicheln pflegen, Ueberlegung, Vernunftgrund und
freie Wahl voraus, ſondern meiſtens nur ein gewiſſes zwar dunk-
les, aber mächtig beſtimmendes Gefühl, das Menſchen von
glücklicher Organiſation nur ſelten trügt, und das uns ſicherer
leitet, als alles ſchulgerechte Raiſonnement. Auch iſt es jenes
dunkle Gefühl, was uns zum Handeln führt, da das, was wir
Vernunftſchlüſſe nennen, meiſtens ſpäter, erſt hinter jenem Gefühle,
nachkömmt und mehr dazu dient, jene erſte Senſation zu control-
liren. Die gütige Natur ließ es bei dem Menſchen, wie es ſcheint,
nicht gern auf die Vernunft allein ankommen, und ſie ſchickt oft
ſchon den Trieb über uns, wenn wir mit dem Beweiſe noch lange
nicht fertig ſind. Auf dieſe Weiſe greift der Inſtinct beinahe im-
mer dem geſchloſſenen Urtheile vor. Das Brauchbarſte im Leben
hat gewöhnlich Jeder unter uns nicht von Andern gelernt: es
wohnt uns bei, und wir kommen dazu, ohne ſelbſt recht zu wiſſen,
auf welche Art. Am deutlichſten ſehen wir dieß in jenen Dingen,
in welchen wir eigentlich nichts, als eben auf dieſe Weiſe ſehen:
ich meine, in unſeren ſogenannten hyperphyſiſchen Wiſſenſchaften.
Denn beſteht nicht z. B. unſere Metaphyſik, und unſere ganze
Philoſophie dazu, eigentlich doch nur darin, uns deſſen etwas
deutlicher, oder — ſoll ich ſagen — etwas gelehrter bewußt zu
machen, was wir auch ohne Metaphyſik eigentlich ſchon längſt
gewußt haben?
Die ſtärkſte Leidenſchaft unter allen, die des Menſchen Herz be-
wegt, diejenige, die keinen Widerſtand kennt und kein Opfer ſcheut,
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 27
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/429>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.