Beschreibung und Gebrauch der astronom. Instrumente.
Dabei haben wir vorausgesetzt, daß die Sonne, gleich einem Fixstern, immer dieselbe Stelle an dem sich täglich um die Erde bewegenden Himmel, z. B. den Frühlingspunkt (I. S. 32), ein- nimmt. Setzen wir statt dieser Sonne einen eben so hellen Fix- stern in den Frühlingspunkt, so würden wir auf diese Weise, durch den Schatten auf unserer Fläche, eigentlich die verschiedenen Stun- den des Sterntags (I. S. 306) erhalten. -- Allein die wahre Sonne steht nicht fest unter den anderen Sternen des Himmels, sondern sie bewegt sich, wie wir oben (I. Kap. IX) gesehen haben, täglich nahe einen Grad gegen Osten, und zwar nicht alle Tage mit derselben, sondern eigentlich mit einer veränderlichen Ge- schwindigkeit. Dadurch wird aber unsere Sache nicht wesentlich geändert. Der Schatten der Erdaxe, wie dieselbe von der wahren Sonne beschienen wird, wird noch immer seinen täglichen Weg auf jener Fläche zurücklegen, und er wird auch auf derselben immer wieder dieselbe Stelle einnehmen, so oft diese wahre Sonne dieselbe Stelle gegen den Meridian des Beobachters einnimmt, d. h. so oft die wahre Sonne, in dem Laufe eines jeden künftigen Tages, wieder denselben Stundenwinkel hat. Der Schatten der Erdaxe auf jener Fläche wird also nicht mehr, wie zuvor, den Stundenwinkel des Frühlingspunkts, oder die Sternzeit, sondern er wird den Stundenwinkel der wahren Sonne, d. h. er wird die wahre Zeit (I. S. 307) angeben.
Dieß wäre demnach die einfachste und zugleich die sicherste Sonnenuhr, die man haben könnte, und einmal auf jener Ebene die Orte des Schattens der Erdaxe für die verschiedenen Stunden, Minuten und Sekunden des wahren Tages bestimmt, würden wir, so oft dieser Schatten wieder auf eine der so bezeich- neten Stellen fiele, sofort auch daraus die wahre Zeit dieses Augenblickes, ohne Instrumente, ohne Rechnung, durch den bloßen Anblick jener Flächen finden.
Allein wo ist jene Fläche, oder wie sollen wir uns eine solche verschaffen? -- Da dieß offenbar für unsere Kräfte unmöglich ist, müssen wir deßhalb ganz von unserer Unternehmung abstehen?
Eine sehr einfache Betrachtung wird uns helfen, dieses an sich unüberwindliche Hinderniß zu umgehen, und unsern Zweck auf einem andern Wege zu erreichen. Der Halbmesser unserer
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Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Dabei haben wir vorausgeſetzt, daß die Sonne, gleich einem Fixſtern, immer dieſelbe Stelle an dem ſich täglich um die Erde bewegenden Himmel, z. B. den Frühlingspunkt (I. S. 32), ein- nimmt. Setzen wir ſtatt dieſer Sonne einen eben ſo hellen Fix- ſtern in den Frühlingspunkt, ſo würden wir auf dieſe Weiſe, durch den Schatten auf unſerer Fläche, eigentlich die verſchiedenen Stun- den des Sterntags (I. S. 306) erhalten. — Allein die wahre Sonne ſteht nicht feſt unter den anderen Sternen des Himmels, ſondern ſie bewegt ſich, wie wir oben (I. Kap. IX) geſehen haben, täglich nahe einen Grad gegen Oſten, und zwar nicht alle Tage mit derſelben, ſondern eigentlich mit einer veränderlichen Ge- ſchwindigkeit. Dadurch wird aber unſere Sache nicht weſentlich geändert. Der Schatten der Erdaxe, wie dieſelbe von der wahren Sonne beſchienen wird, wird noch immer ſeinen täglichen Weg auf jener Fläche zurücklegen, und er wird auch auf derſelben immer wieder dieſelbe Stelle einnehmen, ſo oft dieſe wahre Sonne dieſelbe Stelle gegen den Meridian des Beobachters einnimmt, d. h. ſo oft die wahre Sonne, in dem Laufe eines jeden künftigen Tages, wieder denſelben Stundenwinkel hat. Der Schatten der Erdaxe auf jener Fläche wird alſo nicht mehr, wie zuvor, den Stundenwinkel des Frühlingspunkts, oder die Sternzeit, ſondern er wird den Stundenwinkel der wahren Sonne, d. h. er wird die wahre Zeit (I. S. 307) angeben.
Dieß wäre demnach die einfachſte und zugleich die ſicherſte Sonnenuhr, die man haben könnte, und einmal auf jener Ebene die Orte des Schattens der Erdaxe für die verſchiedenen Stunden, Minuten und Sekunden des wahren Tages beſtimmt, würden wir, ſo oft dieſer Schatten wieder auf eine der ſo bezeich- neten Stellen fiele, ſofort auch daraus die wahre Zeit dieſes Augenblickes, ohne Inſtrumente, ohne Rechnung, durch den bloßen Anblick jener Flächen finden.
Allein wo iſt jene Fläche, oder wie ſollen wir uns eine ſolche verſchaffen? — Da dieß offenbar für unſere Kräfte unmöglich iſt, müſſen wir deßhalb ganz von unſerer Unternehmung abſtehen?
Eine ſehr einfache Betrachtung wird uns helfen, dieſes an ſich unüberwindliche Hinderniß zu umgehen, und unſern Zweck auf einem andern Wege zu erreichen. Der Halbmeſſer unſerer
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Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Dabei haben wir vorausgeſetzt, daß die Sonne, gleich einem
Fixſtern, immer dieſelbe Stelle an dem ſich täglich um die Erde
bewegenden Himmel, z. B. den Frühlingspunkt (I. S. 32), ein-
nimmt. Setzen wir ſtatt dieſer Sonne einen eben ſo hellen Fix-
ſtern in den Frühlingspunkt, ſo würden wir auf dieſe Weiſe, durch
den Schatten auf unſerer Fläche, eigentlich die verſchiedenen Stun-
den des Sterntags (I. S. 306) erhalten. — Allein die wahre
Sonne ſteht nicht feſt unter den anderen Sternen des Himmels,
ſondern ſie bewegt ſich, wie wir oben (I. Kap. IX) geſehen haben,
täglich nahe einen Grad gegen Oſten, und zwar nicht alle Tage
mit derſelben, ſondern eigentlich mit einer veränderlichen Ge-
ſchwindigkeit. Dadurch wird aber unſere Sache nicht weſentlich
geändert. Der Schatten der Erdaxe, wie dieſelbe von der wahren
Sonne beſchienen wird, wird noch immer ſeinen täglichen Weg
auf jener Fläche zurücklegen, und er wird auch auf derſelben
immer wieder dieſelbe Stelle einnehmen, ſo oft dieſe wahre Sonne
dieſelbe Stelle gegen den Meridian des Beobachters einnimmt,
d. h. ſo oft die wahre Sonne, in dem Laufe eines jeden künftigen
Tages, wieder denſelben Stundenwinkel hat. Der Schatten
der Erdaxe auf jener Fläche wird alſo nicht mehr, wie zuvor,
den Stundenwinkel des Frühlingspunkts, oder die Sternzeit,
ſondern er wird den Stundenwinkel der wahren Sonne, d. h. er
wird die wahre Zeit (I. S. 307) angeben.
Dieß wäre demnach die einfachſte und zugleich die ſicherſte
Sonnenuhr, die man haben könnte, und einmal auf jener
Ebene die Orte des Schattens der Erdaxe für die verſchiedenen
Stunden, Minuten und Sekunden des wahren Tages beſtimmt,
würden wir, ſo oft dieſer Schatten wieder auf eine der ſo bezeich-
neten Stellen fiele, ſofort auch daraus die wahre Zeit dieſes
Augenblickes, ohne Inſtrumente, ohne Rechnung, durch den bloßen
Anblick jener Flächen finden.
Allein wo iſt jene Fläche, oder wie ſollen wir uns eine ſolche
verſchaffen? — Da dieß offenbar für unſere Kräfte unmöglich iſt,
müſſen wir deßhalb ganz von unſerer Unternehmung abſtehen?
Eine ſehr einfache Betrachtung wird uns helfen, dieſes an
ſich unüberwindliche Hinderniß zu umgehen, und unſern Zweck
auf einem andern Wege zu erreichen. Der Halbmeſſer unſerer
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/319>, abgerufen am 28.11.2024.
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