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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.

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Kometen.
her noch mit der althergebrachten Sokratischen Weisheit begnügen
müssen, die da wenigstens weiß, daß sie nichts weiß, obschon man,
wie Lichtenberg sagte, für eine solche Weisheit heut zu Tage nicht
einmal mehr einen Magistertitel an unseren Universitäten geben
würde.

Welcher Art aber auch die Bewohner der Kometen seyn mö-
gen: wenn sie an dem Höchsten, was dem Menschen hienieden
dargeboten wird, wenn sie an der Betrachtung der Natur und an
der Kenntniß der Werke ihres über alles erhabenen Schöpfers
Sinn und Freude haben -- welche hohe Genüsse müssen ihnen
vorbehalten seyn, Genüsse, von denen wir uns, auf dem uns an-
gewiesenen Standpunkte, keine weitere Vorstellung machen können,
wir, die wir auf einem kleinen, beinahe unbeweglichen Punkte,
wie Raupen auf ihrem Kohlblatte, leben, während sie mit der
Schnelligkeit des Blitzes auf ihren weitgestreckten, auf ihren pa-
rabolischen oder hyperbolischen Bahnen von einer Sonne, von ei-
ner Welt zur andern fliegen.

Für uns allerdings, für Wesen unserer Art, sind diese Ge-
nüsse nicht bestimmt. Wer von uns könnte jene Extreme von
Licht und Finsterniß, von Hitze und Kälte ertragen, denen sie auf
ihren weiten Bahnen ausgesetzt sind. Die Bewohner der Kometen
von 1680 kamen der Oberfläche der Sonne so nahe, daß die Hitze,
welche dadurch entstand, nach Newtons Berechnung, unsere höchste
Sonnenhitze 26000 mal und selbst die Hitze des weißglühenden Ei-
sens noch 2000 mal übertreffen müßte, und dieselben Wesen sind
wieder, zur Zeit ihres Apheliums, so weit von der Sonne entfernt,
daß sie ihnen nur mehr als einer der kleinsten Fixsterne erscheint,
und daß die in jenen Distanzen herrschende Kälte selbst unsere
Atmosphäre in einen dem Eise ähnlichen festen Körper verwandeln
würde. Welche Organisation müssen jene Wesen haben, wenn sie
diese Wechsel ertragen, wenn sie sich ihrer vielleicht sogar erfreuen
können, wie wir uns an der Abwechslung unserer Tages- und
Jahreszeiten ergötzen. Welche Augen müssen es seyn, die jenes
blendende Licht der Sonne ohne Schmerz ertragen können, wo auch
schon der erste Blick in dieselbe unsere Gesichtsorgane nicht nur
blenden, sondern sogleich in Asche verwandeln würde, während jene

Kometen.
her noch mit der althergebrachten Sokratiſchen Weisheit begnügen
müſſen, die da wenigſtens weiß, daß ſie nichts weiß, obſchon man,
wie Lichtenberg ſagte, für eine ſolche Weisheit heut zu Tage nicht
einmal mehr einen Magiſtertitel an unſeren Univerſitäten geben
würde.

Welcher Art aber auch die Bewohner der Kometen ſeyn mö-
gen: wenn ſie an dem Höchſten, was dem Menſchen hienieden
dargeboten wird, wenn ſie an der Betrachtung der Natur und an
der Kenntniß der Werke ihres über alles erhabenen Schöpfers
Sinn und Freude haben — welche hohe Genüſſe müſſen ihnen
vorbehalten ſeyn, Genüſſe, von denen wir uns, auf dem uns an-
gewieſenen Standpunkte, keine weitere Vorſtellung machen können,
wir, die wir auf einem kleinen, beinahe unbeweglichen Punkte,
wie Raupen auf ihrem Kohlblatte, leben, während ſie mit der
Schnelligkeit des Blitzes auf ihren weitgeſtreckten, auf ihren pa-
raboliſchen oder hyperboliſchen Bahnen von einer Sonne, von ei-
ner Welt zur andern fliegen.

Für uns allerdings, für Weſen unſerer Art, ſind dieſe Ge-
nüſſe nicht beſtimmt. Wer von uns könnte jene Extreme von
Licht und Finſterniß, von Hitze und Kälte ertragen, denen ſie auf
ihren weiten Bahnen ausgeſetzt ſind. Die Bewohner der Kometen
von 1680 kamen der Oberfläche der Sonne ſo nahe, daß die Hitze,
welche dadurch entſtand, nach Newtons Berechnung, unſere höchſte
Sonnenhitze 26000 mal und ſelbſt die Hitze des weißglühenden Ei-
ſens noch 2000 mal übertreffen müßte, und dieſelben Weſen ſind
wieder, zur Zeit ihres Apheliums, ſo weit von der Sonne entfernt,
daß ſie ihnen nur mehr als einer der kleinſten Fixſterne erſcheint,
und daß die in jenen Diſtanzen herrſchende Kälte ſelbſt unſere
Atmoſphäre in einen dem Eiſe ähnlichen feſten Körper verwandeln
würde. Welche Organiſation müſſen jene Weſen haben, wenn ſie
dieſe Wechſel ertragen, wenn ſie ſich ihrer vielleicht ſogar erfreuen
können, wie wir uns an der Abwechslung unſerer Tages- und
Jahreszeiten ergötzen. Welche Augen müſſen es ſeyn, die jenes
blendende Licht der Sonne ohne Schmerz ertragen können, wo auch
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[295/0305] Kometen. her noch mit der althergebrachten Sokratiſchen Weisheit begnügen müſſen, die da wenigſtens weiß, daß ſie nichts weiß, obſchon man, wie Lichtenberg ſagte, für eine ſolche Weisheit heut zu Tage nicht einmal mehr einen Magiſtertitel an unſeren Univerſitäten geben würde. Welcher Art aber auch die Bewohner der Kometen ſeyn mö- gen: wenn ſie an dem Höchſten, was dem Menſchen hienieden dargeboten wird, wenn ſie an der Betrachtung der Natur und an der Kenntniß der Werke ihres über alles erhabenen Schöpfers Sinn und Freude haben — welche hohe Genüſſe müſſen ihnen vorbehalten ſeyn, Genüſſe, von denen wir uns, auf dem uns an- gewieſenen Standpunkte, keine weitere Vorſtellung machen können, wir, die wir auf einem kleinen, beinahe unbeweglichen Punkte, wie Raupen auf ihrem Kohlblatte, leben, während ſie mit der Schnelligkeit des Blitzes auf ihren weitgeſtreckten, auf ihren pa- raboliſchen oder hyperboliſchen Bahnen von einer Sonne, von ei- ner Welt zur andern fliegen. Für uns allerdings, für Weſen unſerer Art, ſind dieſe Ge- nüſſe nicht beſtimmt. Wer von uns könnte jene Extreme von Licht und Finſterniß, von Hitze und Kälte ertragen, denen ſie auf ihren weiten Bahnen ausgeſetzt ſind. Die Bewohner der Kometen von 1680 kamen der Oberfläche der Sonne ſo nahe, daß die Hitze, welche dadurch entſtand, nach Newtons Berechnung, unſere höchſte Sonnenhitze 26000 mal und ſelbſt die Hitze des weißglühenden Ei- ſens noch 2000 mal übertreffen müßte, und dieſelben Weſen ſind wieder, zur Zeit ihres Apheliums, ſo weit von der Sonne entfernt, daß ſie ihnen nur mehr als einer der kleinſten Fixſterne erſcheint, und daß die in jenen Diſtanzen herrſchende Kälte ſelbſt unſere Atmoſphäre in einen dem Eiſe ähnlichen feſten Körper verwandeln würde. Welche Organiſation müſſen jene Weſen haben, wenn ſie dieſe Wechſel ertragen, wenn ſie ſich ihrer vielleicht ſogar erfreuen können, wie wir uns an der Abwechslung unſerer Tages- und Jahreszeiten ergötzen. Welche Augen müſſen es ſeyn, die jenes blendende Licht der Sonne ohne Schmerz ertragen können, wo auch ſchon der erſte Blick in dieſelbe unſere Geſichtsorgane nicht nur blenden, ſondern ſogleich in Aſche verwandeln würde, während jene

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/305>, abgerufen am 05.05.2024.