Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Kometen.
allgemein unter der Benennung des schwarzen Todes bekannt
wurde. Sie kam von dem nordöstlichen Asien, wie einst die Völ-
kerwanderung, und überzog bald alle bekannten Länder der Erde.
Im ersten Jahre hielt sie sich vorzüglich an den Meeresküsten auf,
aber im Jahre 1348 drang sie auch schon in das Innere der Län-
der und wüthete unter Menschen und Thieren. Die allzuvielen
Todten blieben meistens unbegraben auf den Straßen liegen; die
Aecker wurden nicht mehr besorgt und die Hausthiere irrten auf
den Feldern umher. Bis auf den wildesten Trieb der Selbster-
haltung und einer gränzenlosen Furcht schienen alle andern Leiden-
schaften der Menschen gänzlich erloschen zu seyn. Bagdad, Diarbekir
und Damask starben beinahe ganz aus; in Guza starben in einem
Monate 22000 Menschen, in London 80000, in Paris nahe der
vierte Theil der Einwohner; in Lübek während einer einzigen
Nacht 1600, in Wien starben während drei Monaten täglich gegen
700 bis 800 und zur Zeit der größten Höhe der Krankheit einmal
an einem einzigen Tage 1400 Menschen. Selbst die Kaiser und
Könige dieser Zeit, so sehr sie sich auch schützten, wurden nicht
verschont. Unter den Opfern dieser Pest zählte man den Kaiser
Andronicus in Constantinopel, König Alfons XI. in Spanien, die
Königin Joanna in Portugal und den Zar Iwanowitsch in Mos-
kau mit seinem Bruder und allen seinen sieben Kindern. Diese
Pest dauerte bis 1351 durch fünf Jahre. -- Die Chroniken erwäh-
nen einen größeren Kometen für 1347 und 1351, also einen für
den Anfang und den andern für das Ende der Krankheit. Es
mag daher auch wohl Kometen geben, welche die Krankheiten wie-
der heilen, die andere gemacht haben.

Im Jahre 1356 brach derselbe schwarze Tod durch neue fünf
Jahre zum zweitenmale aus, und richtete, wie die Geschichtsschrei-
ber jener Zeit erzählen, noch größere Verheerungen, als das erste-
mal an. Nach Petrarca, der auch seine Laura daran verlor, und
der sie, so wie Boccaccio, mit den lebhaftesten Farben beschrieben
hatte, sollen in Italien von je 1000 Menschen kaum 10 übrig ge-
blieben seyn. In Köln starben 20000, in Avignon 17000, unter
welchen 5 Kardinäle und 100 Bischöfe, die sich eben daselbst zu
einem Concilium versammelt hatten, und die auch, wie alle an-

Kometen.
allgemein unter der Benennung des ſchwarzen Todes bekannt
wurde. Sie kam von dem nordöſtlichen Aſien, wie einſt die Völ-
kerwanderung, und überzog bald alle bekannten Länder der Erde.
Im erſten Jahre hielt ſie ſich vorzüglich an den Meeresküſten auf,
aber im Jahre 1348 drang ſie auch ſchon in das Innere der Län-
der und wüthete unter Menſchen und Thieren. Die allzuvielen
Todten blieben meiſtens unbegraben auf den Straßen liegen; die
Aecker wurden nicht mehr beſorgt und die Hausthiere irrten auf
den Feldern umher. Bis auf den wildeſten Trieb der Selbſter-
haltung und einer gränzenloſen Furcht ſchienen alle andern Leiden-
ſchaften der Menſchen gänzlich erloſchen zu ſeyn. Bagdad, Diarbekir
und Damask ſtarben beinahe ganz aus; in Guza ſtarben in einem
Monate 22000 Menſchen, in London 80000, in Paris nahe der
vierte Theil der Einwohner; in Lübek während einer einzigen
Nacht 1600, in Wien ſtarben während drei Monaten täglich gegen
700 bis 800 und zur Zeit der größten Höhe der Krankheit einmal
an einem einzigen Tage 1400 Menſchen. Selbſt die Kaiſer und
Könige dieſer Zeit, ſo ſehr ſie ſich auch ſchützten, wurden nicht
verſchont. Unter den Opfern dieſer Peſt zählte man den Kaiſer
Andronicus in Conſtantinopel, König Alfons XI. in Spanien, die
Königin Joanna in Portugal und den Zar Iwanowitſch in Mos-
kau mit ſeinem Bruder und allen ſeinen ſieben Kindern. Dieſe
Peſt dauerte bis 1351 durch fünf Jahre. — Die Chroniken erwäh-
nen einen größeren Kometen für 1347 und 1351, alſo einen für
den Anfang und den andern für das Ende der Krankheit. Es
mag daher auch wohl Kometen geben, welche die Krankheiten wie-
der heilen, die andere gemacht haben.

Im Jahre 1356 brach derſelbe ſchwarze Tod durch neue fünf
Jahre zum zweitenmale aus, und richtete, wie die Geſchichtsſchrei-
ber jener Zeit erzählen, noch größere Verheerungen, als das erſte-
mal an. Nach Petrarca, der auch ſeine Laura daran verlor, und
der ſie, ſo wie Boccaccio, mit den lebhafteſten Farben beſchrieben
hatte, ſollen in Italien von je 1000 Menſchen kaum 10 übrig ge-
blieben ſeyn. In Köln ſtarben 20000, in Avignon 17000, unter
welchen 5 Kardinäle und 100 Biſchöfe, die ſich eben daſelbſt zu
einem Concilium verſammelt hatten, und die auch, wie alle an-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0302" n="292"/><fw place="top" type="header">Kometen.</fw><lb/>
allgemein unter der Benennung des <hi rendition="#g">&#x017F;chwarzen Todes</hi> bekannt<lb/>
wurde. Sie kam von dem nordö&#x017F;tlichen A&#x017F;ien, wie ein&#x017F;t die Völ-<lb/>
kerwanderung, und überzog bald alle bekannten Länder der Erde.<lb/>
Im er&#x017F;ten Jahre hielt &#x017F;ie &#x017F;ich vorzüglich an den Meereskü&#x017F;ten auf,<lb/>
aber im Jahre 1348 drang &#x017F;ie auch &#x017F;chon in das Innere der Län-<lb/>
der und wüthete unter Men&#x017F;chen und Thieren. Die allzuvielen<lb/>
Todten blieben mei&#x017F;tens unbegraben auf den Straßen liegen; die<lb/>
Aecker wurden nicht mehr be&#x017F;orgt und die Hausthiere irrten auf<lb/>
den Feldern umher. Bis auf den wilde&#x017F;ten Trieb der Selb&#x017F;ter-<lb/>
haltung und einer gränzenlo&#x017F;en Furcht &#x017F;chienen alle andern Leiden-<lb/>
&#x017F;chaften der Men&#x017F;chen gänzlich erlo&#x017F;chen zu &#x017F;eyn. Bagdad, Diarbekir<lb/>
und Damask &#x017F;tarben beinahe ganz aus; in Guza &#x017F;tarben in einem<lb/>
Monate 22000 Men&#x017F;chen, in London 80000, in Paris nahe der<lb/>
vierte Theil der Einwohner; in Lübek während einer einzigen<lb/>
Nacht 1600, in Wien &#x017F;tarben während drei Monaten täglich gegen<lb/>
700 bis 800 und zur Zeit der größten Höhe der Krankheit einmal<lb/>
an einem einzigen Tage 1400 Men&#x017F;chen. Selb&#x017F;t die Kai&#x017F;er und<lb/>
Könige die&#x017F;er Zeit, &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;ie &#x017F;ich auch &#x017F;chützten, wurden nicht<lb/>
ver&#x017F;chont. Unter den Opfern die&#x017F;er Pe&#x017F;t zählte man den Kai&#x017F;er<lb/>
Andronicus in Con&#x017F;tantinopel, König Alfons <hi rendition="#aq">XI.</hi> in Spanien, die<lb/>
Königin Joanna in Portugal und den Zar Iwanowit&#x017F;ch in Mos-<lb/>
kau mit &#x017F;einem Bruder und allen &#x017F;einen &#x017F;ieben Kindern. Die&#x017F;e<lb/>
Pe&#x017F;t dauerte bis 1351 durch fünf Jahre. &#x2014; Die Chroniken erwäh-<lb/>
nen einen größeren Kometen für 1347 und 1351, al&#x017F;o einen für<lb/>
den Anfang und den andern für das Ende der Krankheit. Es<lb/>
mag daher auch wohl Kometen geben, welche die Krankheiten wie-<lb/>
der heilen, die andere gemacht haben.</p><lb/>
            <p>Im Jahre 1356 brach der&#x017F;elbe &#x017F;chwarze Tod durch neue fünf<lb/>
Jahre zum zweitenmale aus, und richtete, wie die Ge&#x017F;chichts&#x017F;chrei-<lb/>
ber jener Zeit erzählen, noch größere Verheerungen, als das er&#x017F;te-<lb/>
mal an. Nach Petrarca, der auch &#x017F;eine Laura daran verlor, und<lb/>
der &#x017F;ie, &#x017F;o wie Boccaccio, mit den lebhafte&#x017F;ten Farben be&#x017F;chrieben<lb/>
hatte, &#x017F;ollen in Italien von je 1000 Men&#x017F;chen kaum 10 übrig ge-<lb/>
blieben &#x017F;eyn. In Köln &#x017F;tarben 20000, in Avignon 17000, unter<lb/>
welchen 5 Kardinäle und 100 Bi&#x017F;chöfe, die &#x017F;ich eben da&#x017F;elb&#x017F;t zu<lb/>
einem Concilium ver&#x017F;ammelt hatten, und die auch, wie alle an-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0302] Kometen. allgemein unter der Benennung des ſchwarzen Todes bekannt wurde. Sie kam von dem nordöſtlichen Aſien, wie einſt die Völ- kerwanderung, und überzog bald alle bekannten Länder der Erde. Im erſten Jahre hielt ſie ſich vorzüglich an den Meeresküſten auf, aber im Jahre 1348 drang ſie auch ſchon in das Innere der Län- der und wüthete unter Menſchen und Thieren. Die allzuvielen Todten blieben meiſtens unbegraben auf den Straßen liegen; die Aecker wurden nicht mehr beſorgt und die Hausthiere irrten auf den Feldern umher. Bis auf den wildeſten Trieb der Selbſter- haltung und einer gränzenloſen Furcht ſchienen alle andern Leiden- ſchaften der Menſchen gänzlich erloſchen zu ſeyn. Bagdad, Diarbekir und Damask ſtarben beinahe ganz aus; in Guza ſtarben in einem Monate 22000 Menſchen, in London 80000, in Paris nahe der vierte Theil der Einwohner; in Lübek während einer einzigen Nacht 1600, in Wien ſtarben während drei Monaten täglich gegen 700 bis 800 und zur Zeit der größten Höhe der Krankheit einmal an einem einzigen Tage 1400 Menſchen. Selbſt die Kaiſer und Könige dieſer Zeit, ſo ſehr ſie ſich auch ſchützten, wurden nicht verſchont. Unter den Opfern dieſer Peſt zählte man den Kaiſer Andronicus in Conſtantinopel, König Alfons XI. in Spanien, die Königin Joanna in Portugal und den Zar Iwanowitſch in Mos- kau mit ſeinem Bruder und allen ſeinen ſieben Kindern. Dieſe Peſt dauerte bis 1351 durch fünf Jahre. — Die Chroniken erwäh- nen einen größeren Kometen für 1347 und 1351, alſo einen für den Anfang und den andern für das Ende der Krankheit. Es mag daher auch wohl Kometen geben, welche die Krankheiten wie- der heilen, die andere gemacht haben. Im Jahre 1356 brach derſelbe ſchwarze Tod durch neue fünf Jahre zum zweitenmale aus, und richtete, wie die Geſchichtsſchrei- ber jener Zeit erzählen, noch größere Verheerungen, als das erſte- mal an. Nach Petrarca, der auch ſeine Laura daran verlor, und der ſie, ſo wie Boccaccio, mit den lebhafteſten Farben beſchrieben hatte, ſollen in Italien von je 1000 Menſchen kaum 10 übrig ge- blieben ſeyn. In Köln ſtarben 20000, in Avignon 17000, unter welchen 5 Kardinäle und 100 Biſchöfe, die ſich eben daſelbſt zu einem Concilium verſammelt hatten, und die auch, wie alle an-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/302
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/302>, abgerufen am 22.11.2024.