Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Kometen.
Zeit, über die Folgen eines solchen Zusammentreffens sagt. "Dem
Schrecken, welchen früher die Erscheinung eines Kometen in aber-
gläubischen Gemüthern verbreitete, folgte in unsern Tagen die
Besorgniß, daß einer dieser zahllosen Himmelskörper, welche in
allen Richtungen das Planetensystem durchkreuzen, an die Erde
stoßen und die Lage ihrer Axe verändern möchte. Es ist nicht schwer,
sich die Folgen eines solchen Zusammenstoßes vorzustellen. -- Die
Axe und die Umwälzungszeit der Erde (die Länge des Tages) würden
allerdings eine Aenderung erleiden; die Meere würden ihr altes Lager
verlassen, um sich gegen den neuen Aequator hinzustürzen; ein gro-
ßer Theil der Menschen und Thiere würden in dieser allgemeinen
Wasserfluth oder auch durch den heftigen Stoß, den die Erde er-
halten hat, zu Grunde gehen; ganze Geschlechter von lebenden
Wesen würden ihren Untergang finden und alle Denkmäler des
menschlichen Fleißes und Kunstsinnes würden vernichtet werden u. s. f."

Dieses Gemälde ist finster genug, aber nicht übertrieben. Wer
von uns hat nicht schon selbst die Erfahrung gemacht, daß man,
in einem schnell fahrenden Wagen, wenn die Pferde plötzlich stille
stehen, oder wenn der Wagen an ein nicht zu überwindendes Hin-
derniß stößt, von seinem Sitze gleichsam vorwärts gestoßen
wird, und zwar desto heftiger, je größer die Geschwindigkeit des
Wagens war, die durch jenes Hinderniß aufgehoben oder gestört
worden ist. Ganz dieselbe Erfahrung, nur in einem viel größern
Maaßstabe, würden wir auch zu machen Gelegenheit haben, wenn
wir einmal mit einem Kometen zusammenstoßen sollten. Unsere
Erde ist in der That einem Wagen zu vergleichen, in welchem wir
alle um die Sonne herum fahren, und zwar mit einer so großen
Schnelligkeit, daß wir in jeder Stunde gegen 17000 Meilen, also
120 mal mehr als eine Kanonenkugel zurücklegen, wenn sie eben
aus der Mündung des Geschützes tritt. Wenn nun diese Erde an
einen Kometen von solider Masse anstoßen sollte, so würden wir
und alles, was in dem großen Wagen Bewegliches ist, die
Gewässer der Flüsse und Meere, unsere Häuser selbst und unsere
Felsen, gegen den gestoßenen Punkt der Erde hinstürzen und
gleichsam vorwärts fallen; der ganze Ocean würde sein Gestade
verlassen und von allen Seiten an jenen Ort hineilen, auf sei-

Kometen.
Zeit, über die Folgen eines ſolchen Zuſammentreffens ſagt. „Dem
Schrecken, welchen früher die Erſcheinung eines Kometen in aber-
gläubiſchen Gemüthern verbreitete, folgte in unſern Tagen die
Beſorgniß, daß einer dieſer zahlloſen Himmelskörper, welche in
allen Richtungen das Planetenſyſtem durchkreuzen, an die Erde
ſtoßen und die Lage ihrer Axe verändern möchte. Es iſt nicht ſchwer,
ſich die Folgen eines ſolchen Zuſammenſtoßes vorzuſtellen. — Die
Axe und die Umwälzungszeit der Erde (die Länge des Tages) würden
allerdings eine Aenderung erleiden; die Meere würden ihr altes Lager
verlaſſen, um ſich gegen den neuen Aequator hinzuſtürzen; ein gro-
ßer Theil der Menſchen und Thiere würden in dieſer allgemeinen
Waſſerfluth oder auch durch den heftigen Stoß, den die Erde er-
halten hat, zu Grunde gehen; ganze Geſchlechter von lebenden
Weſen würden ihren Untergang finden und alle Denkmäler des
menſchlichen Fleißes und Kunſtſinnes würden vernichtet werden u. ſ. f.“

Dieſes Gemälde iſt finſter genug, aber nicht übertrieben. Wer
von uns hat nicht ſchon ſelbſt die Erfahrung gemacht, daß man,
in einem ſchnell fahrenden Wagen, wenn die Pferde plötzlich ſtille
ſtehen, oder wenn der Wagen an ein nicht zu überwindendes Hin-
derniß ſtößt, von ſeinem Sitze gleichſam vorwärts geſtoßen
wird, und zwar deſto heftiger, je größer die Geſchwindigkeit des
Wagens war, die durch jenes Hinderniß aufgehoben oder geſtört
worden iſt. Ganz dieſelbe Erfahrung, nur in einem viel größern
Maaßſtabe, würden wir auch zu machen Gelegenheit haben, wenn
wir einmal mit einem Kometen zuſammenſtoßen ſollten. Unſere
Erde iſt in der That einem Wagen zu vergleichen, in welchem wir
alle um die Sonne herum fahren, und zwar mit einer ſo großen
Schnelligkeit, daß wir in jeder Stunde gegen 17000 Meilen, alſo
120 mal mehr als eine Kanonenkugel zurücklegen, wenn ſie eben
aus der Mündung des Geſchützes tritt. Wenn nun dieſe Erde an
einen Kometen von ſolider Maſſe anſtoßen ſollte, ſo würden wir
und alles, was in dem großen Wagen Bewegliches iſt, die
Gewäſſer der Flüſſe und Meere, unſere Häuſer ſelbſt und unſere
Felſen, gegen den geſtoßenen Punkt der Erde hinſtürzen und
gleichſam vorwärts fallen; der ganze Ocean würde ſein Geſtade
verlaſſen und von allen Seiten an jenen Ort hineilen, auf ſei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0286" n="276"/><fw place="top" type="header">Kometen.</fw><lb/>
Zeit, über die Folgen eines &#x017F;olchen Zu&#x017F;ammentreffens &#x017F;agt. &#x201E;Dem<lb/>
Schrecken, welchen früher die Er&#x017F;cheinung eines Kometen in aber-<lb/>
gläubi&#x017F;chen Gemüthern verbreitete, folgte in un&#x017F;ern Tagen die<lb/>
Be&#x017F;orgniß, daß einer die&#x017F;er zahllo&#x017F;en Himmelskörper, welche in<lb/>
allen Richtungen das Planeten&#x017F;y&#x017F;tem durchkreuzen, an die Erde<lb/>
&#x017F;toßen und die Lage ihrer Axe verändern möchte. Es i&#x017F;t nicht &#x017F;chwer,<lb/>
&#x017F;ich die Folgen eines &#x017F;olchen Zu&#x017F;ammen&#x017F;toßes vorzu&#x017F;tellen. &#x2014; Die<lb/>
Axe und die Umwälzungszeit der Erde (die Länge des Tages) würden<lb/>
allerdings eine Aenderung erleiden; die Meere würden ihr altes Lager<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en, um &#x017F;ich gegen den neuen Aequator hinzu&#x017F;türzen; ein gro-<lb/>
ßer Theil der Men&#x017F;chen und Thiere würden in die&#x017F;er allgemeinen<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;erfluth oder auch durch den heftigen Stoß, den die Erde er-<lb/>
halten hat, zu Grunde gehen; ganze Ge&#x017F;chlechter von lebenden<lb/>
We&#x017F;en würden ihren Untergang finden und alle Denkmäler des<lb/>
men&#x017F;chlichen Fleißes und Kun&#x017F;t&#x017F;innes würden vernichtet werden u. &#x017F;. f.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;es Gemälde i&#x017F;t fin&#x017F;ter genug, aber nicht übertrieben. Wer<lb/>
von uns hat nicht &#x017F;chon &#x017F;elb&#x017F;t die Erfahrung gemacht, daß man,<lb/>
in einem &#x017F;chnell fahrenden Wagen, wenn die Pferde plötzlich &#x017F;tille<lb/>
&#x017F;tehen, oder wenn der Wagen an ein nicht zu überwindendes Hin-<lb/>
derniß &#x017F;tößt, von &#x017F;einem Sitze gleich&#x017F;am <hi rendition="#g">vorwärts ge&#x017F;toßen</hi><lb/>
wird, und zwar de&#x017F;to heftiger, je größer die Ge&#x017F;chwindigkeit des<lb/>
Wagens war, die durch jenes Hinderniß aufgehoben oder ge&#x017F;tört<lb/>
worden i&#x017F;t. Ganz die&#x017F;elbe Erfahrung, nur in einem viel größern<lb/>
Maaß&#x017F;tabe, würden wir auch zu machen Gelegenheit haben, wenn<lb/>
wir einmal mit einem Kometen zu&#x017F;ammen&#x017F;toßen &#x017F;ollten. Un&#x017F;ere<lb/>
Erde i&#x017F;t in der That einem Wagen zu vergleichen, in welchem wir<lb/>
alle um die Sonne herum fahren, und zwar mit einer &#x017F;o großen<lb/>
Schnelligkeit, daß wir in jeder Stunde gegen 17000 Meilen, al&#x017F;o<lb/>
120 mal mehr als eine Kanonenkugel zurücklegen, wenn &#x017F;ie eben<lb/>
aus der Mündung des Ge&#x017F;chützes tritt. Wenn nun die&#x017F;e Erde an<lb/>
einen Kometen von &#x017F;olider Ma&#x017F;&#x017F;e an&#x017F;toßen &#x017F;ollte, &#x017F;o würden wir<lb/>
und alles, was in dem großen Wagen Bewegliches i&#x017F;t, die<lb/>
Gewä&#x017F;&#x017F;er der Flü&#x017F;&#x017F;e und Meere, un&#x017F;ere Häu&#x017F;er &#x017F;elb&#x017F;t und un&#x017F;ere<lb/>
Fel&#x017F;en, gegen den ge&#x017F;toßenen Punkt der Erde hin&#x017F;türzen und<lb/>
gleich&#x017F;am vorwärts fallen; der ganze Ocean würde &#x017F;ein Ge&#x017F;tade<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en und von allen Seiten an jenen Ort hineilen, auf &#x017F;ei-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[276/0286] Kometen. Zeit, über die Folgen eines ſolchen Zuſammentreffens ſagt. „Dem Schrecken, welchen früher die Erſcheinung eines Kometen in aber- gläubiſchen Gemüthern verbreitete, folgte in unſern Tagen die Beſorgniß, daß einer dieſer zahlloſen Himmelskörper, welche in allen Richtungen das Planetenſyſtem durchkreuzen, an die Erde ſtoßen und die Lage ihrer Axe verändern möchte. Es iſt nicht ſchwer, ſich die Folgen eines ſolchen Zuſammenſtoßes vorzuſtellen. — Die Axe und die Umwälzungszeit der Erde (die Länge des Tages) würden allerdings eine Aenderung erleiden; die Meere würden ihr altes Lager verlaſſen, um ſich gegen den neuen Aequator hinzuſtürzen; ein gro- ßer Theil der Menſchen und Thiere würden in dieſer allgemeinen Waſſerfluth oder auch durch den heftigen Stoß, den die Erde er- halten hat, zu Grunde gehen; ganze Geſchlechter von lebenden Weſen würden ihren Untergang finden und alle Denkmäler des menſchlichen Fleißes und Kunſtſinnes würden vernichtet werden u. ſ. f.“ Dieſes Gemälde iſt finſter genug, aber nicht übertrieben. Wer von uns hat nicht ſchon ſelbſt die Erfahrung gemacht, daß man, in einem ſchnell fahrenden Wagen, wenn die Pferde plötzlich ſtille ſtehen, oder wenn der Wagen an ein nicht zu überwindendes Hin- derniß ſtößt, von ſeinem Sitze gleichſam vorwärts geſtoßen wird, und zwar deſto heftiger, je größer die Geſchwindigkeit des Wagens war, die durch jenes Hinderniß aufgehoben oder geſtört worden iſt. Ganz dieſelbe Erfahrung, nur in einem viel größern Maaßſtabe, würden wir auch zu machen Gelegenheit haben, wenn wir einmal mit einem Kometen zuſammenſtoßen ſollten. Unſere Erde iſt in der That einem Wagen zu vergleichen, in welchem wir alle um die Sonne herum fahren, und zwar mit einer ſo großen Schnelligkeit, daß wir in jeder Stunde gegen 17000 Meilen, alſo 120 mal mehr als eine Kanonenkugel zurücklegen, wenn ſie eben aus der Mündung des Geſchützes tritt. Wenn nun dieſe Erde an einen Kometen von ſolider Maſſe anſtoßen ſollte, ſo würden wir und alles, was in dem großen Wagen Bewegliches iſt, die Gewäſſer der Flüſſe und Meere, unſere Häuſer ſelbſt und unſere Felſen, gegen den geſtoßenen Punkt der Erde hinſtürzen und gleichſam vorwärts fallen; der ganze Ocean würde ſein Geſtade verlaſſen und von allen Seiten an jenen Ort hineilen, auf ſei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/286
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/286>, abgerufen am 19.05.2024.