Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Tägliche Bewegung der Erde.
genug gefallen seyn, sich von dem bisher von Niemand bezweifel-
ten Vorurtheile einer durchaus ebenen Erde zu befreien, und sie
wenigstens im Allgemeinen als eine große Kugel zu erkennen;
aber es würde ihm ohne Zweifel noch viel schwerer, wo nicht ganz
unmöglich gewesen seyn, die wahre Gestalt dieser Erde mit allen
ihren kleinen Abweichungen von der Kugelform zu erkennen. Man
begnügte sich Jahrhunderte durch mit der Voraussetzung, daß sie
eine Kugel sey, und sie genügte auch vollkommen für den gesamm-
ten Zustand der astronomischen Kenntnisse jener Zeiten. Als aber
später die Theorie sowohl, als auch die eigentliche beobachtende
Astronomie und die Verfertigung der neuen Instrumente so große
Fortschritte gemacht hatte, wurde das Bedürfniß, die genaue Kennt-
niß unseres Wohnortes zu erlangen, immer dringender, bis man
endlich seit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts neue Me-
thoden zu diesem Zwecke entworfen, und mit vielem Aufwande an
Zeit und Kosten auch ausgeführt hat. Seit dieser Zeit hat man
in allen Welttheilen und mit der größten Schärfe eigentliche, un-
mittelbare Messungen der Erde vorgenommen, und dadurch
nicht nur die Größe, sondern auch die Gestalt derselben auf das
Genaueste zu bestimmen gesucht. Die Resultate dieser Vermes-
sungen vereinigen sich dahin, daß die Erde allerdings, wie man
bisher angenommen hat, einer Kugel sehr ähnlich, aber doch keine
eigentliche Kugel im strengsten geometrischen Sinne des Wortes,
sondern daß sie ein Körper ist, der durch die Umdrehung einer
dem Kreise sehr nahen Elipse um ihre kleine Axe entsteht. Nach
den neuesten Bestimmungen fand man im Mittel aus allen jenen
Beobachtungen, daß die halbe kleine Axe dieser Elipse oder die
Entfernung des Mittelpunktes der Erde von jedem ihrer Pole
856,55, und daß die halbe große Axe der Elipse oder der Halb-
messer ihres vollkommen kreisförmigen Aequators 859,44 geogr.
Meilen beträgt, wo die geographische Meile gleich dem fünfzehn-
ten Theile eines Grades von dem Umfange des Erdäquators oder
gleich 22.841,84 Pariser Fuß angenommen wird. Demnach hat
also die Erde in der That an ihren beiden Polen eine Abplattung
von nahe drei Meilen, und diese Abplattung gibt uns nicht nur
einen direkten Beweis für die Existenz der Rotation der Erde,
sondern sie bestätigt auch im Allgemeinen die Richtigkeit unserer

Tägliche Bewegung der Erde.
genug gefallen ſeyn, ſich von dem bisher von Niemand bezweifel-
ten Vorurtheile einer durchaus ebenen Erde zu befreien, und ſie
wenigſtens im Allgemeinen als eine große Kugel zu erkennen;
aber es würde ihm ohne Zweifel noch viel ſchwerer, wo nicht ganz
unmöglich geweſen ſeyn, die wahre Geſtalt dieſer Erde mit allen
ihren kleinen Abweichungen von der Kugelform zu erkennen. Man
begnügte ſich Jahrhunderte durch mit der Vorausſetzung, daß ſie
eine Kugel ſey, und ſie genügte auch vollkommen für den geſamm-
ten Zuſtand der aſtronomiſchen Kenntniſſe jener Zeiten. Als aber
ſpäter die Theorie ſowohl, als auch die eigentliche beobachtende
Aſtronomie und die Verfertigung der neuen Inſtrumente ſo große
Fortſchritte gemacht hatte, wurde das Bedürfniß, die genaue Kennt-
niß unſeres Wohnortes zu erlangen, immer dringender, bis man
endlich ſeit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts neue Me-
thoden zu dieſem Zwecke entworfen, und mit vielem Aufwande an
Zeit und Koſten auch ausgeführt hat. Seit dieſer Zeit hat man
in allen Welttheilen und mit der größten Schärfe eigentliche, un-
mittelbare Meſſungen der Erde vorgenommen, und dadurch
nicht nur die Größe, ſondern auch die Geſtalt derſelben auf das
Genaueſte zu beſtimmen geſucht. Die Reſultate dieſer Vermeſ-
ſungen vereinigen ſich dahin, daß die Erde allerdings, wie man
bisher angenommen hat, einer Kugel ſehr ähnlich, aber doch keine
eigentliche Kugel im ſtrengſten geometriſchen Sinne des Wortes,
ſondern daß ſie ein Körper iſt, der durch die Umdrehung einer
dem Kreiſe ſehr nahen Elipſe um ihre kleine Axe entſteht. Nach
den neueſten Beſtimmungen fand man im Mittel aus allen jenen
Beobachtungen, daß die halbe kleine Axe dieſer Elipſe oder die
Entfernung des Mittelpunktes der Erde von jedem ihrer Pole
856,55, und daß die halbe große Axe der Elipſe oder der Halb-
meſſer ihres vollkommen kreisförmigen Aequators 859,44 geogr.
Meilen beträgt, wo die geographiſche Meile gleich dem fünfzehn-
ten Theile eines Grades von dem Umfange des Erdäquators oder
gleich 22.841,84 Pariſer Fuß angenommen wird. Demnach hat
alſo die Erde in der That an ihren beiden Polen eine Abplattung
von nahe drei Meilen, und dieſe Abplattung gibt uns nicht nur
einen direkten Beweis für die Exiſtenz der Rotation der Erde,
ſondern ſie beſtätigt auch im Allgemeinen die Richtigkeit unſerer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0084" n="72"/><fw place="top" type="header">Tägliche Bewegung der Erde.</fw><lb/>
genug gefallen &#x017F;eyn, &#x017F;ich von dem bisher von Niemand bezweifel-<lb/>
ten Vorurtheile einer durchaus ebenen Erde zu befreien, und &#x017F;ie<lb/>
wenig&#x017F;tens im Allgemeinen als eine große Kugel zu erkennen;<lb/>
aber es würde ihm ohne Zweifel noch viel &#x017F;chwerer, wo nicht ganz<lb/>
unmöglich gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, die wahre Ge&#x017F;talt die&#x017F;er Erde mit allen<lb/>
ihren kleinen Abweichungen von der Kugelform zu erkennen. Man<lb/>
begnügte &#x017F;ich Jahrhunderte durch mit der Voraus&#x017F;etzung, daß &#x017F;ie<lb/>
eine Kugel &#x017F;ey, und &#x017F;ie genügte auch vollkommen für den ge&#x017F;amm-<lb/>
ten Zu&#x017F;tand der a&#x017F;tronomi&#x017F;chen Kenntni&#x017F;&#x017F;e jener Zeiten. Als aber<lb/>
&#x017F;päter die Theorie &#x017F;owohl, als auch die eigentliche beobachtende<lb/>
A&#x017F;tronomie und die Verfertigung der neuen In&#x017F;trumente &#x017F;o große<lb/>
Fort&#x017F;chritte gemacht hatte, wurde das Bedürfniß, die genaue Kennt-<lb/>
niß un&#x017F;eres Wohnortes zu erlangen, immer dringender, bis man<lb/>
endlich &#x017F;eit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts neue Me-<lb/>
thoden zu die&#x017F;em Zwecke entworfen, und mit vielem Aufwande an<lb/>
Zeit und Ko&#x017F;ten auch ausgeführt hat. Seit die&#x017F;er Zeit hat man<lb/>
in allen Welttheilen und mit der größten Schärfe eigentliche, un-<lb/>
mittelbare <hi rendition="#g">Me&#x017F;&#x017F;ungen</hi> der Erde vorgenommen, und dadurch<lb/>
nicht nur die Größe, &#x017F;ondern auch die Ge&#x017F;talt der&#x017F;elben auf das<lb/>
Genaue&#x017F;te zu be&#x017F;timmen ge&#x017F;ucht. Die Re&#x017F;ultate die&#x017F;er Verme&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ungen vereinigen &#x017F;ich dahin, daß die Erde allerdings, wie man<lb/>
bisher angenommen hat, einer Kugel &#x017F;ehr ähnlich, aber doch keine<lb/>
eigentliche Kugel im &#x017F;treng&#x017F;ten geometri&#x017F;chen Sinne des Wortes,<lb/>
&#x017F;ondern daß &#x017F;ie ein Körper i&#x017F;t, der durch die Umdrehung einer<lb/>
dem Krei&#x017F;e &#x017F;ehr nahen Elip&#x017F;e um ihre kleine Axe ent&#x017F;teht. Nach<lb/>
den neue&#x017F;ten Be&#x017F;timmungen fand man im Mittel aus allen jenen<lb/>
Beobachtungen, daß die halbe kleine Axe die&#x017F;er Elip&#x017F;e oder die<lb/>
Entfernung des Mittelpunktes der Erde von jedem ihrer Pole<lb/>
856,<hi rendition="#sub">55</hi>, und daß die halbe große Axe der Elip&#x017F;e oder der Halb-<lb/>
me&#x017F;&#x017F;er ihres vollkommen kreisförmigen Aequators 859,<hi rendition="#sub">44</hi> geogr.<lb/>
Meilen beträgt, wo die geographi&#x017F;che Meile gleich dem fünfzehn-<lb/>
ten Theile eines Grades von dem Umfange des Erdäquators oder<lb/>
gleich 22.841,<hi rendition="#sub">84</hi> Pari&#x017F;er Fuß angenommen wird. Demnach hat<lb/>
al&#x017F;o die Erde in der That an ihren beiden Polen eine Abplattung<lb/>
von nahe drei Meilen, und die&#x017F;e Abplattung gibt uns nicht nur<lb/>
einen direkten Beweis für die Exi&#x017F;tenz der Rotation der Erde,<lb/>
&#x017F;ondern &#x017F;ie be&#x017F;tätigt auch im Allgemeinen die Richtigkeit un&#x017F;erer<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0084] Tägliche Bewegung der Erde. genug gefallen ſeyn, ſich von dem bisher von Niemand bezweifel- ten Vorurtheile einer durchaus ebenen Erde zu befreien, und ſie wenigſtens im Allgemeinen als eine große Kugel zu erkennen; aber es würde ihm ohne Zweifel noch viel ſchwerer, wo nicht ganz unmöglich geweſen ſeyn, die wahre Geſtalt dieſer Erde mit allen ihren kleinen Abweichungen von der Kugelform zu erkennen. Man begnügte ſich Jahrhunderte durch mit der Vorausſetzung, daß ſie eine Kugel ſey, und ſie genügte auch vollkommen für den geſamm- ten Zuſtand der aſtronomiſchen Kenntniſſe jener Zeiten. Als aber ſpäter die Theorie ſowohl, als auch die eigentliche beobachtende Aſtronomie und die Verfertigung der neuen Inſtrumente ſo große Fortſchritte gemacht hatte, wurde das Bedürfniß, die genaue Kennt- niß unſeres Wohnortes zu erlangen, immer dringender, bis man endlich ſeit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts neue Me- thoden zu dieſem Zwecke entworfen, und mit vielem Aufwande an Zeit und Koſten auch ausgeführt hat. Seit dieſer Zeit hat man in allen Welttheilen und mit der größten Schärfe eigentliche, un- mittelbare Meſſungen der Erde vorgenommen, und dadurch nicht nur die Größe, ſondern auch die Geſtalt derſelben auf das Genaueſte zu beſtimmen geſucht. Die Reſultate dieſer Vermeſ- ſungen vereinigen ſich dahin, daß die Erde allerdings, wie man bisher angenommen hat, einer Kugel ſehr ähnlich, aber doch keine eigentliche Kugel im ſtrengſten geometriſchen Sinne des Wortes, ſondern daß ſie ein Körper iſt, der durch die Umdrehung einer dem Kreiſe ſehr nahen Elipſe um ihre kleine Axe entſteht. Nach den neueſten Beſtimmungen fand man im Mittel aus allen jenen Beobachtungen, daß die halbe kleine Axe dieſer Elipſe oder die Entfernung des Mittelpunktes der Erde von jedem ihrer Pole 856,55, und daß die halbe große Axe der Elipſe oder der Halb- meſſer ihres vollkommen kreisförmigen Aequators 859,44 geogr. Meilen beträgt, wo die geographiſche Meile gleich dem fünfzehn- ten Theile eines Grades von dem Umfange des Erdäquators oder gleich 22.841,84 Pariſer Fuß angenommen wird. Demnach hat alſo die Erde in der That an ihren beiden Polen eine Abplattung von nahe drei Meilen, und dieſe Abplattung gibt uns nicht nur einen direkten Beweis für die Exiſtenz der Rotation der Erde, ſondern ſie beſtätigt auch im Allgemeinen die Richtigkeit unſerer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/84
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/84>, abgerufen am 25.11.2024.