Seethiere auf unseren höchsten Gebirgen, so wie die Lage und Form der verschiedenen Schichten, aus welchen die Oberfläche der Erde besteht, sind eben so viele Urkunden, auf welchen die Natur mit unvergänglichen Charakteren jenen ursprünglich flüssigen Zustand unserer Erde bezeichnet hat.
§. 27. (VII. Aus der Abplattung der Erde.) Wenn aber alles dieses so ist, wo sind denn jene Spuren, welche die Rotation der Erde auf ihrer Oberfläche zurückgelassen haben soll? -- Es ist wahr, wir haben bisher die Gestalt unserer Erde kugelför- mig gefunden, denn so stellen sie in der That die Beobachtungen vor, deren wir oben umständlich erwähnt haben. Allein jene Be- obachtungen sind, wenn wir sie genau betrachten, alle der Art, daß sie keiner hohen Schärfe fähig sind, und daher die Gestalt der Erde nur im Allgemeinen zeigen, so daß wir uns gleichsam schon begnügen mußten, zu sehen, daß diese Gestalt jener einer vollkommenen Kugel wenigstens sehr nahe komme, ungeachtet der kleinen, und jetzt vielleicht noch ganz unmerklichen Abweichungen, welche wir später, wenn wir den Gegenstand genauer untersuchen werden, etwa noch daran finden könnten. Es ist dieß einer der Fälle, die so oft in der Astronomie und in allen denjenigen Wis- senschaften vorkommen, die nicht wie die Geometrie oder die Me- taphysik aus selbstgeschaffenen, oder aus uns angeborenen Ideen entstehen, sondern die auf den Gegenständen außer uns und auf den Experimenten beruhen, die wir mit ihnen anstellen müssen, um sie in allen ihren Verhältnissen unter einander zu erkennen. Diese Verhältnisse sind meistens zu verwickelt, um sie sogleich nach allen ihren Beziehungen zu übersehen, und es ist daher nicht nur nothwendig, zuerst nur das Allgemeine der Erscheinung aufzufas- sen und sie gleichsam nur im Rohen darzustellen, und die weitere, feinere Ausbildung derselben eigenen, späteren Untersuchungen vor- zubehalten, sondern es ist zugleich eines der sichersten Kennzeichen des höheren Talentes, gleich Anfangs die entscheidenden Merkmale, die Hauptmomente seines Gegenstandes, zu ergreifen, und sogleich auf sein Ziel loszugehen, ohne sich von den ihn gewöhnlich be- gleitenden Nebenumständen irre machen zu lassen.
Eben so wurde auch hier verfahren. Es mochte dem ersten, der über die Gestalt der Erde nachgedacht hat, vielleicht schwer
Tägliche Bewegung der Erde.
Seethiere auf unſeren höchſten Gebirgen, ſo wie die Lage und Form der verſchiedenen Schichten, aus welchen die Oberfläche der Erde beſteht, ſind eben ſo viele Urkunden, auf welchen die Natur mit unvergänglichen Charakteren jenen urſprünglich flüſſigen Zuſtand unſerer Erde bezeichnet hat.
§. 27. (VII. Aus der Abplattung der Erde.) Wenn aber alles dieſes ſo iſt, wo ſind denn jene Spuren, welche die Rotation der Erde auf ihrer Oberfläche zurückgelaſſen haben ſoll? — Es iſt wahr, wir haben bisher die Geſtalt unſerer Erde kugelför- mig gefunden, denn ſo ſtellen ſie in der That die Beobachtungen vor, deren wir oben umſtändlich erwähnt haben. Allein jene Be- obachtungen ſind, wenn wir ſie genau betrachten, alle der Art, daß ſie keiner hohen Schärfe fähig ſind, und daher die Geſtalt der Erde nur im Allgemeinen zeigen, ſo daß wir uns gleichſam ſchon begnügen mußten, zu ſehen, daß dieſe Geſtalt jener einer vollkommenen Kugel wenigſtens ſehr nahe komme, ungeachtet der kleinen, und jetzt vielleicht noch ganz unmerklichen Abweichungen, welche wir ſpäter, wenn wir den Gegenſtand genauer unterſuchen werden, etwa noch daran finden könnten. Es iſt dieß einer der Fälle, die ſo oft in der Aſtronomie und in allen denjenigen Wiſ- ſenſchaften vorkommen, die nicht wie die Geometrie oder die Me- taphyſik aus ſelbſtgeſchaffenen, oder aus uns angeborenen Ideen entſtehen, ſondern die auf den Gegenſtänden außer uns und auf den Experimenten beruhen, die wir mit ihnen anſtellen müſſen, um ſie in allen ihren Verhältniſſen unter einander zu erkennen. Dieſe Verhältniſſe ſind meiſtens zu verwickelt, um ſie ſogleich nach allen ihren Beziehungen zu überſehen, und es iſt daher nicht nur nothwendig, zuerſt nur das Allgemeine der Erſcheinung aufzufaſ- ſen und ſie gleichſam nur im Rohen darzuſtellen, und die weitere, feinere Ausbildung derſelben eigenen, ſpäteren Unterſuchungen vor- zubehalten, ſondern es iſt zugleich eines der ſicherſten Kennzeichen des höheren Talentes, gleich Anfangs die entſcheidenden Merkmale, die Hauptmomente ſeines Gegenſtandes, zu ergreifen, und ſogleich auf ſein Ziel loszugehen, ohne ſich von den ihn gewöhnlich be- gleitenden Nebenumſtänden irre machen zu laſſen.
Eben ſo wurde auch hier verfahren. Es mochte dem erſten, der über die Geſtalt der Erde nachgedacht hat, vielleicht ſchwer
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Tägliche Bewegung der Erde.
Seethiere auf unſeren höchſten Gebirgen, ſo wie die Lage und
Form der verſchiedenen Schichten, aus welchen die Oberfläche der
Erde beſteht, ſind eben ſo viele Urkunden, auf welchen die Natur
mit unvergänglichen Charakteren jenen urſprünglich flüſſigen Zuſtand
unſerer Erde bezeichnet hat.
§. 27. (VII. Aus der Abplattung der Erde.) Wenn aber
alles dieſes ſo iſt, wo ſind denn jene Spuren, welche die Rotation
der Erde auf ihrer Oberfläche zurückgelaſſen haben ſoll? — Es
iſt wahr, wir haben bisher die Geſtalt unſerer Erde kugelför-
mig gefunden, denn ſo ſtellen ſie in der That die Beobachtungen
vor, deren wir oben umſtändlich erwähnt haben. Allein jene Be-
obachtungen ſind, wenn wir ſie genau betrachten, alle der Art,
daß ſie keiner hohen Schärfe fähig ſind, und daher die Geſtalt
der Erde nur im Allgemeinen zeigen, ſo daß wir uns gleichſam
ſchon begnügen mußten, zu ſehen, daß dieſe Geſtalt jener einer
vollkommenen Kugel wenigſtens ſehr nahe komme, ungeachtet der
kleinen, und jetzt vielleicht noch ganz unmerklichen Abweichungen,
welche wir ſpäter, wenn wir den Gegenſtand genauer unterſuchen
werden, etwa noch daran finden könnten. Es iſt dieß einer der
Fälle, die ſo oft in der Aſtronomie und in allen denjenigen Wiſ-
ſenſchaften vorkommen, die nicht wie die Geometrie oder die Me-
taphyſik aus ſelbſtgeſchaffenen, oder aus uns angeborenen Ideen
entſtehen, ſondern die auf den Gegenſtänden außer uns und auf
den Experimenten beruhen, die wir mit ihnen anſtellen müſſen,
um ſie in allen ihren Verhältniſſen unter einander zu erkennen.
Dieſe Verhältniſſe ſind meiſtens zu verwickelt, um ſie ſogleich nach
allen ihren Beziehungen zu überſehen, und es iſt daher nicht nur
nothwendig, zuerſt nur das Allgemeine der Erſcheinung aufzufaſ-
ſen und ſie gleichſam nur im Rohen darzuſtellen, und die weitere,
feinere Ausbildung derſelben eigenen, ſpäteren Unterſuchungen vor-
zubehalten, ſondern es iſt zugleich eines der ſicherſten Kennzeichen
des höheren Talentes, gleich Anfangs die entſcheidenden Merkmale,
die Hauptmomente ſeines Gegenſtandes, zu ergreifen, und ſogleich
auf ſein Ziel loszugehen, ohne ſich von den ihn gewöhnlich be-
gleitenden Nebenumſtänden irre machen zu laſſen.
Eben ſo wurde auch hier verfahren. Es mochte dem erſten,
der über die Geſtalt der Erde nachgedacht hat, vielleicht ſchwer
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/83>, abgerufen am 29.07.2024.
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