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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

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Planetensysteme.

§. 124. (Beobachtung der synodischen Revolutionen.) Um
nun irgend eine dieser Umlaufszeiten durch unmittelbare Beob-
achtung zu bestimmen, woraus dann alle andern durch Rechnung
gefunden werden, wird es nothwendig seyn, zwei heliocentri-
sche
Orte des Planeten mit der Zwischenzeit zu kennen, welche,
während der Planet von dem einen dieser Orte zu dem andern ge-
kommen, verflossen ist. Es ist klar, daß man dadurch sofort die
Umlaufszeit des Planeten erhält. Denn wären z. B. jene beiden
heliocentrischen Längen 60° und 210°, und wäre die Zwischenzeit
der Beobachtung 100 Tage, so hätte man für die tropische Re-
volution des Planeten 360 x 100/150 = 240 Tage. Allein woher
soll man diese heliocentrischen oder von der Sonne gesehenen Orte
erhalten, da wir die Planeten nur von der Erde beobachten können?

Zu diesem Zwecke wird man den Planeten zur Zeit seiner
Opposition, oder, wenn es ein unterer Planet ist, zur Zeit einer
seiner beiden Conjunctionen beobachten. Da in diesen beiden
Fällen die von der Erde gesehene Länge des Planeten der von
der Sonne gesehenen entweder gleich oder genau 180 Grade von
ihr verschieden ist (§. 74), so erhält man dadurch sofort die ge-
suchten heliocentrischen Längen. Hat man daher zwey nächste
Oppositionen des Planeten mit der Sonne beobachtet, so würde
die Zwischenzeit beider Beobachtungen auch zugleich die synodische
Revolution des Planeten seyn, woraus man dann die tropische
und siderische Revolution desselben durch die oben angeführten
Rechnungen leicht finden kann.

Allein man wird bald erkennen, daß die synodischen Revolu-
tionen, welche man auf diese Weise erhält, beträchtlich verschieden
sind, wenn man verschiedene Paare von Oppositionen unter sich
vergleicht. Diese Differenzen sind zu groß, als daß man sie den
Beobachtungsfehlern zuschreiben dürfte, da man in der That die
Zeiten und Orte dieser Oppositionen mit großer Genauigkeit beob-
achten kann. Man muß daher voraussetzen, daß uns die Bewe-
gungen der Planeten nicht vollständig bekannt sind, daß ihre Ge-
schwindigkeiten vielleicht nicht gleichförmig, oder daß ihre Bah-
nen um die Sonne vielleicht keine Kreise sind, wie wir doch bis-

Planetenſyſteme.

§. 124. (Beobachtung der ſynodiſchen Revolutionen.) Um
nun irgend eine dieſer Umlaufszeiten durch unmittelbare Beob-
achtung zu beſtimmen, woraus dann alle andern durch Rechnung
gefunden werden, wird es nothwendig ſeyn, zwei heliocentri-
ſche
Orte des Planeten mit der Zwiſchenzeit zu kennen, welche,
während der Planet von dem einen dieſer Orte zu dem andern ge-
kommen, verfloſſen iſt. Es iſt klar, daß man dadurch ſofort die
Umlaufszeit des Planeten erhält. Denn wären z. B. jene beiden
heliocentriſchen Längen 60° und 210°, und wäre die Zwiſchenzeit
der Beobachtung 100 Tage, ſo hätte man für die tropiſche Re-
volution des Planeten 360 × 100/150 = 240 Tage. Allein woher
ſoll man dieſe heliocentriſchen oder von der Sonne geſehenen Orte
erhalten, da wir die Planeten nur von der Erde beobachten können?

Zu dieſem Zwecke wird man den Planeten zur Zeit ſeiner
Oppoſition, oder, wenn es ein unterer Planet iſt, zur Zeit einer
ſeiner beiden Conjunctionen beobachten. Da in dieſen beiden
Fällen die von der Erde geſehene Länge des Planeten der von
der Sonne geſehenen entweder gleich oder genau 180 Grade von
ihr verſchieden iſt (§. 74), ſo erhält man dadurch ſofort die ge-
ſuchten heliocentriſchen Längen. Hat man daher zwey nächſte
Oppoſitionen des Planeten mit der Sonne beobachtet, ſo würde
die Zwiſchenzeit beider Beobachtungen auch zugleich die ſynodiſche
Revolution des Planeten ſeyn, woraus man dann die tropiſche
und ſideriſche Revolution deſſelben durch die oben angeführten
Rechnungen leicht finden kann.

Allein man wird bald erkennen, daß die ſynodiſchen Revolu-
tionen, welche man auf dieſe Weiſe erhält, beträchtlich verſchieden
ſind, wenn man verſchiedene Paare von Oppoſitionen unter ſich
vergleicht. Dieſe Differenzen ſind zu groß, als daß man ſie den
Beobachtungsfehlern zuſchreiben dürfte, da man in der That die
Zeiten und Orte dieſer Oppoſitionen mit großer Genauigkeit beob-
achten kann. Man muß daher vorausſetzen, daß uns die Bewe-
gungen der Planeten nicht vollſtändig bekannt ſind, daß ihre Ge-
ſchwindigkeiten vielleicht nicht gleichförmig, oder daß ihre Bah-
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[256/0268] Planetenſyſteme. §. 124. (Beobachtung der ſynodiſchen Revolutionen.) Um nun irgend eine dieſer Umlaufszeiten durch unmittelbare Beob- achtung zu beſtimmen, woraus dann alle andern durch Rechnung gefunden werden, wird es nothwendig ſeyn, zwei heliocentri- ſche Orte des Planeten mit der Zwiſchenzeit zu kennen, welche, während der Planet von dem einen dieſer Orte zu dem andern ge- kommen, verfloſſen iſt. Es iſt klar, daß man dadurch ſofort die Umlaufszeit des Planeten erhält. Denn wären z. B. jene beiden heliocentriſchen Längen 60° und 210°, und wäre die Zwiſchenzeit der Beobachtung 100 Tage, ſo hätte man für die tropiſche Re- volution des Planeten 360 × 100/150 = 240 Tage. Allein woher ſoll man dieſe heliocentriſchen oder von der Sonne geſehenen Orte erhalten, da wir die Planeten nur von der Erde beobachten können? Zu dieſem Zwecke wird man den Planeten zur Zeit ſeiner Oppoſition, oder, wenn es ein unterer Planet iſt, zur Zeit einer ſeiner beiden Conjunctionen beobachten. Da in dieſen beiden Fällen die von der Erde geſehene Länge des Planeten der von der Sonne geſehenen entweder gleich oder genau 180 Grade von ihr verſchieden iſt (§. 74), ſo erhält man dadurch ſofort die ge- ſuchten heliocentriſchen Längen. Hat man daher zwey nächſte Oppoſitionen des Planeten mit der Sonne beobachtet, ſo würde die Zwiſchenzeit beider Beobachtungen auch zugleich die ſynodiſche Revolution des Planeten ſeyn, woraus man dann die tropiſche und ſideriſche Revolution deſſelben durch die oben angeführten Rechnungen leicht finden kann. Allein man wird bald erkennen, daß die ſynodiſchen Revolu- tionen, welche man auf dieſe Weiſe erhält, beträchtlich verſchieden ſind, wenn man verſchiedene Paare von Oppoſitionen unter ſich vergleicht. Dieſe Differenzen ſind zu groß, als daß man ſie den Beobachtungsfehlern zuſchreiben dürfte, da man in der That die Zeiten und Orte dieſer Oppoſitionen mit großer Genauigkeit beob- achten kann. Man muß daher vorausſetzen, daß uns die Bewe- gungen der Planeten nicht vollſtändig bekannt ſind, daß ihre Ge- ſchwindigkeiten vielleicht nicht gleichförmig, oder daß ihre Bah- nen um die Sonne vielleicht keine Kreiſe ſind, wie wir doch bis-

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/268>, abgerufen am 22.11.2024.